G8-gipfel in Heiligendamm
Die Einheimischen sehen das Ereignis gelassen - zum Ärger der Gegendemonstranten
Schön sieht das Ding nicht aus", sagt ein Bauer, der mit seinem Trecker gerade eine der wenigen noch offenen Zaunstellen bei Vorder Bollhagen passiert. Aber man habe sich daran gewöhnt. "Ist ja auch besser so, da sind wir in Heiligendamm wenigstens geschützt vor den Krawallbrüdern", sagt er.
"Das Ding" wird in den Unterlagen der Polizei als "komplexes technisches Sperrwerk" geführt. Es ist ein zwölf Kilometer langer und drei Meter hoher, grün angestrichener Metallzaun, dessen Pfosten in massiven Betonwürfeln im Boden stecken. Das mit Stacheldraht gekrönte Bauwerk samt seinen Signalanlagen und Kameras soll Demonstranten und Protestierer drei Kilometer vom Konferenzort des G8-Gipfels, dem Kempinski-Hotel im Ostseebad Heiligendamm, auf Distanz halten. Unsichtbar setzt sich die Sperre in der Ostsee fort, wo noch einmal kilometerlang Netze gespannt wurden, um das direkt am Strand liegende Tagungshotel vor Attacken - von wem auch immer - zu schützen.
Die Leute in Vorder Bollhagen, einem Nachbarort von Heiligendamm, wären auch lieber hinter dem Zaun. Aber ihr Ort ist "draußen" geblieben, "auf dem Schlachtfeld", wie ein Dorfbewohner sagt. Seinen Namen nennen will er nicht. "Da werden Sie auch keinen finden hier, der das macht", meint er. "Sonst stehen wir in der Zeitung, und dann kommen die Chaoten und machen uns hier alles kaputt." Dass sein Ort während des Gipfels von mehr als 1.000 Polizisten geschützt werden soll, beruhigt den Mann wenig. "Da kommen Zehntausende, auch aus dem Ausland, und alle haben nur das eine Ziel - den Zaun. Die halten doch so ein paar Polizisten nicht auf", ist er überzeugt.
Gut 15 Kilometer Luftlinie ostwärts, im Rostocker Stadtteil Ewershagen, steht eine heruntergekommene Plattenbauschule. Hier residiert das Organisationskomitee, das während der Aktionswoche vom 1. bis 8. Juni die "Gesamtchoreografie des Protestes" gegen den G8-Gipfel übernehmen wird. Zu den Aktionen gehören Demonstrationen, Blockaden, die Diskussionsveranstaltungen auf dem Alternativgipfel in Rostock - und der Zaun von Heiligendamm, auch wenn darüber keiner offiziell sprechen mag. Er ist aber das magische Ziel der Gipfelgegner: Wenigstens einer soll es schaffen, ihn zu bezwingen. "Das wäre schon ein Zeichen", sagt auch Philipp Hersel. Der 35-Jährige aus Berlin gehört zu den ersten Organisatoren, die hier ihr Büro eingerichtet haben.
Die Schule, die eigentlich in diesem Frühjahr abgerissen werden sollte, steht wie ein Fremdkörper in dem Viertel mit seinen bunt-sanierten Plattenbauten. Seit Wochen haben die Gipfelgegner das Haus wieder bewohnbar gemacht, haben Elektroleitungen und Steckdosen verlegt, kaputte Fenster repariert, die Toiletten instand gesetzt und das Treppenhaus gemalert. Alles auf eigene Kosten.
Philipp Hersel vertritt in dem Haus die "Demo AG", die die Demonstration am 2. Juni in Rostock vorbereitet. Immer wieder wird er gefragt, wie viele denn nun kommen werden. Die schon früh in die Medien gelangte Zahl 100.000 erweist sich für die Organisatoren zunehmend als schwere Hypothek. "Natürlich wäre das ein Kracher, wenn wir auch nur in die Nähe dieser Zahl gelangten", sagt Hersel. "Aber seit die G8 ihre Treffen aus den Großstädten raus in die Pampa verlegt hat, wird es immer schwerer, die Massen zu mobilisieren." Und dann gibt es da ja auch noch zur gleichen Zeit den Kirchentag, der Teilnehmer aus dem kirchlichen Milieu kosten wird, und die ebenfalls am 2. Juni geplante Anti-G8-Demo der NPD in Schwerin. "Die Antifas und Gewerkschafter von dort haben uns schon mitgeteilt, dass sie den Nazis nicht das Feld überlassen werden, also fallen sie auch für uns aus", sagt er.
Hersel hofft darauf, dass sich viele Leute aus der Region an der Demonstration beteiligen. "Wir planen eine friedliche, bunte Demo, zu der auch Familien kommen können", sagt er. Zu diesem Zweck touren schon seit Wochen spezielle Infogruppen durch das Land und erklären die politischen Ideen der Gipfelgegner.
Inhaltlich orientieren sich die Proteste an den Schwerpunkten des Gipfelprogramms. Die Regierungschefs der G8-Staaten werden vor allem eine nachhaltige wirtschaftliche Aufbauhilfe für die ärmsten Länder Afrikas beraten und über weitere Schritte für den Klimaschutz diskutieren, insbesondere über quantitative Ziele für die Reduktion des Kohlendioxidausstoßes. Manfred Rätz von attac Deutschland, der zu den Hauptorganisatoren der Großdemonstration am 2. Juni in Rostock gehört, gibt schon mal die Klimaschutzziele vor: "Schon in den nächsten Jahren muss es eine Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 30 Prozent gegenüber 1990 geben, bis 2050 sollte die Vorgabe 80 Prozent betragen", sagt Rätz. Und was die Afrika-Hilfe anbelangt, formuliert Martina Wasserloos-Strunk von der evangelischen Organisation Reformierter Bund konkrete Forderungen an den G8-Gipfel: "Afrika braucht eine Unterstützung, die die emanzipatorischen Kräfte der Zivilgesellschaft fördert und zum Aufbau einer eigenen, den afrikanischen Bedürfnissen entsprechenden Wirtschaft beiträgt", sagt sie.
Der größte Erfolg für die Demonstrationsveranstalter liegt jedoch schon darin, dass sie die zersplitterte und zerstrittene Linke zu einem gemeinsamen Aufmarsch zusammen bekommen haben. Das ging nur über Kompromisse. So einigten sich die Gruppen im Vorfeld lediglich auf gemeinsame politische Positionen, die aber nicht als Forderungen an den G8-Gipfel zu verstehen sind. Der Grund dafür liegt darin, dass zwar alle die Legitimität der - wie sie das G8-Gremium nennen - "Weltregierung" in Frage stellen.
Gruppen wie attac nehmen das Gremium gleichwohl als Gesprächspartner ernst, während beispielsweise die "Interventionistische Linke", unter deren Dach sich die Linksradikalen versammeln, die G8 grundsätzlich ablehnen.
Hinter dem Zaun, in Heiligendamm, nehmen es die Leute gelassen, dass ihr Ort seit Monaten zu einem Synonym in der politischen Diskussion um Globalisierung, Krieg und Widerstand geworden ist. Hanno Ahrens von der Deutschen Bahn etwa, der täglich mit der Bäderbahn "Molly" nach Heiligendamm hinein dampft, schwärmt vom "derzeit sichersten Ort in Deutschland". Weil so viel Polizisten in Heiligendamm sind, könne er hier sogar sein Auto offen stehen lassen, ohne dass etwas passiert. Andere Heiligendammer freuen sich, dass sie nun endlich eine DSL-Leitung in den Ort gelegt bekamen und die Fußgängerwege samt Straßenbeleuchtung erneuert wurden.
"Wir haben den großen Krieg überstanden, dann schaffen wir das hier auch", sagt Wilhelm Knuds. Der 85-Jährige sitzt mit seiner zwei Jahre jüngeren Frau Lotte gerade einer jungen Polizistin gegenüber. Die Frau erklärt ihnen, dass die Einwohner des Ortes einen Spezialausweis bekommen, mit dem sie vom 30. Mai bis 9. Juni den dann hermetisch geschlossenen Sicherheitszaun an zwei Schleusen passieren können. Ob sie denn Besuch von außerhalb während des G8-Gipfels empfangen darf, fragt Frau Knuds. Na ja, die Gäste müssten angemeldet werden, das kann etwas dauern, antwortet die Polizistin. "Es ist besser, wenn Sie den Personenkreis klein halten in der Zeit", sagt sie. In Ordnung, antworten die Knuds.
Frauke Müller darf sogar bis in die innerste Sicherheitszone. Die Berlinerin ist seit gut einem Jahr PR-Managerin im Kempinski Grand Hotel, dem Tagungsort des G8-Gipfels. "Wir treten in der Zeit unser Hausrecht an das Auswärtige Amt ab", sagt sie. "Dann hat hier von unseren Leuten nur noch der Küchenchef was zu sagen."
Ärgerlich darüber aber dürfte im Management des Hauses wohl niemand sein. Denn nicht nur dort raunt man, dass der G8-Gipfel die letzte Chance für das Luxushotel sein dürfte, aus den tiefroten Zahlen herauszukommen. Seit seiner Eröffnung im Jahre 2003 stehen im Kempinski die Zimmer und Suiten häufiger leer, als sie vermietet werden. Die Auslastung von 43,6 Prozent im vergangenen Jahr hat die Fundus-Gruppe, die die Hotelanlage für mehrere hundert Millionen Euro restauriert hat, in finanzielle Turbulenzen gebracht. Eine kostenlose weltweite Werbung, wie sie der G8-Gipfel verspricht, kommt da zur rechten Zeit.
Einen Automatismus gibt es da allerdings nicht. Nach dem Deutschlandbesuch von George W. Bush im vergangenen Jahr etwa, als der US-Präsident in der zum Hotel gehörenden Hohenzollern-Burg nächtigte, flimmerten zwar auch Bilder des Luxusanwesens über die Fernsehschirme. Mehr Anfragen zahlungskräftiger Touristen aus Deutschland oder gar den USA gab es deshalb aber nicht.
Von den Gipfelgegnern blieb das Hotel bislang erstaunlich unbeachtet. Lediglich am letzten Tag des alten Jahres hatten Unbekannte drei mit Farbe gefüllte Weihnachtskugeln an die weiße Hotelfassade geworfen. Seitdem herrscht Ruhe um das Areal. Wenn mal jemand demonstriert, dann sind es Vertreter der Heiligendammer "Bürgerinitiative für Öffentlichkeit". Deren Aktivisten fordern freien Zutritt auf das seit letztem Jahr abgesperrte Gelände des Luxushotels. Um jede Schranke und jeden Weg werde in der Stadtvertreterversammlung gerungen, als gebe es nicht Wichtigeres, sagt Frauke Müller. "Der kniehohe Zaun um das Hotelareal regt die Leute mehr auf als der Sicherheitszaun für den G8-Gipfel."
In seinem Büro in Rostock-Ewershagen wundert sich Demo-Organisator Philipp Hersel darüber nicht. "Diese Gleichgültigkeit, das ist das Schlimmste", sagt er. Viel lieber würde er sich mit Leuten streiten, die ihm sagen, sie teilten seine Position nicht, weil sie die Sache so oder so sehen. Aber die Leute regten sich bestenfalls noch darüber auf, was der Gipfel kostet, sagt er. "Was da politisch abläuft, interessiert kaum noch jemanden." Andreas Förster z