PARLAMENTARIERKONFERENZ
Entscheidung über EU-Vertrag soll nicht weiter aufgeschoben werden
Sie verbrachten eine schöne Zeit miteinander bis sie eines Tages - allen Warnungen zum Trotz - geöffnet wurde: Die Büchse der Pandora. Mit diesem Gleichnis aus der griechischen Mythologie, das beschreibt wie Pandora nach der Heirat mit Epimetheus ihre Büchse öffnet und sich Krankheit, Elend und Not über die Erde ergießen, brachten bei der 3. Gemeinsamen Parlamentarierkonferenz gleich mehrere Abgeordnete ihre Sorge über die Zukunft des Europäischen Verfassungsvertrages zum Ausdruck. Sie fürchten, dass das vor vier Jahren durch ein EU-Konvent mühselig ausgearbeitete Vertragswerk wieder "aufgeschnürt" werden könnte und dabei nicht nur an Substanz verliert. Zehn Tage vor dem entscheidenden EU-Gipfel am 21. und 22. Juni in Brüssel diskutierten Abgeordnete des Europaparlaments und der nationalen Parlamente gemeinsam, wie der ins Stocken geratene Verfassungsvertrag doch noch den Weg durch die Zielgerade finden könnte.
Organisiert wurde das Treffen im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft vom Bundestag und dem Europaparlament unter dem Titel: "Die Zukunft Europas: Gemeinsam...aber wie?" Die Frage des "wie" stellte sich an diesen beiden Tagen um so drängender, da die polnische Regierung kurz zuvor damit gedroht hatte, die anstehenden Verhandlungen mit ihrem Vetorecht zu blockieren. Der Grund: Warschau sieht sich durch das im Verfassungsentwurf vereinbarte Verfahren einer doppelten Mehrheit benachteiligt. Das Land fordert mit dem so genanten "Quadratwurzelmodell" ein anderes System der Stimmengewichtung bei Abstimmungen.
Auf diese Meldung reagierten der Präsident des Europaparlaments Hans-Gert Pöttering und Bundestagspräsident Norbert Lammert ungewöhnlich deutlich. "Kein Land, sei es groß, mittelgroß oder klein, darf einem anderen seinen Willen aufzwingen", sagte Pöttering und fügte hinzu: "Polen würde am meisten sich selbst durch ein solches Veto schaden." Lammert betonte zum Auftakt des Parlamentariertreffens, dass die Substanz des Verfassungsvertrages aufrechterhalten werden müsse. "Wir sehen keinen Grund, hinter diesen Konsens zurückzufallen", sagte er und warnte eindringlich vor einem Scheitern des Reformprozesses. Dies würde nicht nur neue Erweiterungen unmöglich machen, sondern auch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bedeuten. Dass dies nicht im Interesse der nationalen Parlamente ist, zeigte das Treffen nur allzu deutlich. Ein Teil der Abgeordneten hatte selbst von 2002 bis 2003 am Verfassungskonvent teilgenommen und in unzähligen Sitzungen um Worte und Formulierungen gerungen.
Auch der Europaparlamentarier Jo Leinen (PSE) gehörte damals dazu. Er forderte vehehment, dass von den Parlamentariern ein starkes Signal ausgehen müsse, den Vertrag zu retten. Der italienische Innenminister Giuliano Amato, der stellvertretender Vorsitzender des Konvents gewesen war, warnte ebenfalls vor einem Misserfolg: "Das wäre das Scheitern eines Europas von drei Generationen", so Amato. Gleichzeitig rief er dazu auf, zu verhindern, dass die Union als "ein Europa der Eliten verstanden werde". Es sei falsch, Reformen vom Verfassungsvertrag fernzuhalten, sagte er mit Blick auf die gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden. Dass der Vertrag nicht in der ursprünglichen Fassung, die im Jahr 2004 von den damals noch 25 EU-Staaten unterzeichnet worden war, erneut verabschiedet wird, gilt als sicher. Offen ist aber weiter, wie Änderungen am Verfassungsvertrag konkret aussehen könnten.
In drei Arbeitsgruppen brachten die Parlamentarier dazu ihre Ideen zum Ausdruck. Enriqué Barón Crespo aus dem Europaparlament zeigte auf, dass das Thema Klimawandel und Energiesicherheit für alle Parlamentarier an Bedeutung gewonnen hat. Dass dieser Aspekt auch Eingang in einen neuen Verfassungstext finden könnte, gilt als wahrscheinlich. In der Arbeitsgruppe "Architektur und Substanz eines zukünftigen Vertrages" sprach sich Michael Roth (SPD) vom Deutschen Bundestag für einen engen Zeitkorridor aus: "Bis 2009 muss die EU auf eine neue Grundlage gestellt werden - daran darf nicht gerüttelt werden", betonte er kämpferisch. Mit Blick auf den kommenden Gipfel sagte er: "Die Regierungen sollten sich an unseren Beratungen ein Vorbild nehmen." Eine dritte Arbeitsgruppe, der der Bundestagsabgeordnete Markus Löning (FDP) vorsaß, beschäftigte sich mit der Rolle der nationalen Parlamente. Darin erteilten die Abgeordneten dem niederländischen Vorschlag, den nationalen Regierungen - über das Subsidiaritätsrecht hinaus - eine Art Vetorecht ("Rote Karte") zu geben, eine klare Absage.
Diese Idee sieht vor, dass die EU-Kommission künftig einen Gesetzesvorschlag ändern müsste, wenn ein Drittel der Parlamente darin einen Vorstoß gegen nationale Entscheidungsrechte sähe. Was auf den ersten Blick nach mehr Rechten für die Parlamente aussieht, könnte sich aber als "vergifteter Apfel" erweisen: Denn dadurch würden die Parlamente eine Art 3. Kammer und folglich ein Akteur auf EU-Ebene werden. Das lehnt ein Großteil der Abgeordneten jedoch ab: "Wir haben genug Möglichkeiten unsere Regierungen zu kontrollieren", sagte dazu Ulrike Lunacek, Abgeordnete aus Österreich. Auch gegen eine weitere Institutionalisierung der COSAC, der Konferenz der Europaausschüsse, sprach sich eine Mehrheit der Parlamentarier aus. Am Ende stellte der portugisische Berichterstatter Jorge Tadeu Morgado zufrieden fest: "Die Büchse der Pandora wurde nicht geöffnet". Eines wird beim Vergleich mit der griechischen Mythologie oft vergessen. In der Büchse der Pandora blieb beim Öffnen etwas zurück, das später doch noch auf die Welt kam: Die Hoffnung. Die kann Europa für den kommenden Gipfel gut gebrauchen.