MENSCHENRECHTE
EU-Parlamentarier wollen künftig enger zusammenarbeiten
Die Stimmung ist ausgelassen an diesem Morgen, "Good Morning, how are you", fragt Herta Däubler-Gmelin lachend den Herrn zu ihrer Linken und lotst ihn und die anderen Gäste zielstrebig ins Foyer zum Gruppenfoto. Die gute Laune hat einen Grund, dieser 15. Juni ist ein wichtiger Tag für die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag: Erstmals sind auf ihre Einladung Kollegen aus 15 EU-Ländern nach Berlin gekommen, allesamt Vorsitzende der Menschenrechtsausschüsse in den jeweiligen Volksvertretungen. Außerdem die Vorsitzende des Europäischen Parlaments, Hélène Flautre, und Riina Kionka vom Europäischen Rat, die Javier Solana in Menschenrechtsfragen berät. Ziel der Konferenz: Gründung eines parlamentarischen Netzwerkes für Menschenrechtsfragen. Künftig sollen die nationalen Ausschüsse enger zusammenarbeiten, sie sollen Informationen austauschen, gegenseitige Kontakte nutzen und ihre Aktivitäten bündeln, um damit "die Menschenrechtspolitik endlich zu einem unverzichtbaren Bestandteil der so genannten ,harten' Politik zu machen", wie es sich Däubler-Gmelin seit langem wünscht. Doch sie ist sich bewusst: "Das ist eine Sisyphus-Arbeit."
Der Anfang ist hier und heute gemacht, und der Optimismus unter den Teilnehmern groß. "Die Macht von Parlamenten ist einzigartig", ist sich Riina Kionka sicher. "Parlamentarier können viel freier reden als Regierungen, sie können Dinge aussprechen, die Regierungen nicht aussprechen können oder sollten, und viel leichter Deklarationen verabschieden oder Briefe schreiben. Sie können zweifellos eine Vorreiterrolle in Menschenrechtsfragen einnehmen."
Als EU-Ratsmitglied und enge Beraterin Javier Solanas weiß Kionka, wovon sie spricht: Die Vorstellungen von Menschenrechtspolitik sind selbst innerhalb der europäischen Regierungen nicht immer kompatibel. Die 1996 revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta haben beispielsweise erst zwölf Staaten ratifiziert. In ihr wurde unter anderem das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung festgeschrieben. Kaum besser sieht es beim Zusatzprotokoll zur UN-Folterkonvention (OPCAT) aus: 2002 verabschiedet, haben es bis heute nur 56 Staaten ratifiziert - Deutschland, Österreich und die Schweiz gehören nicht dazu.
Insgesamt, betont Günter Nooke, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, "müssen wir anerkennen, dass auch im Menschenrechtsrat in Genf und im UN-Sicherheitsrat in New York harte Machtpolitik betrieben wird und sich die Regierungen in Menschenrechtsfragen nicht gern hineinreden lassen wollen". Umso wichtiger sei es, sich innerhalb der EU der eigenen Werte bewusst zu sein und sich in die Lage zu versetzen, sie auch gemeinsam zu verteidigen. "Daher begrüße ich das heute gegründete parlamentarische Netzwerk in Menschenrechtsfragen sehr. Das ist ein ganz notwendiger Schritt", sagte Nooke.
Notwendig schon deshalb, weil es auch in der EU Verwerfungen gibt, über die die Parlamente dringend reden sollten: Wie Amnesty International berichtet, sind Folter, Fälle systematischer Polizeigewalt und sogar Todesfälle bei Abschiebungen immer wieder ein Thema. Außerdem, nur ein Beispiel von vielen, leben in ganz Europa knapp zwölf Million Roma; insbesondere in den osteuropäischen Ländern sind sie oft bettelarm. Minderheitenschutz? Ein wunder Punkt, fast überall.
Selbstkritik ist daher auch in Deutschland angebracht: "Fremdenfeindlichkeit, der Umgang mit Flüchtlingen und Menschen ohne gültige Ausweispapiere, all das sind auch hierzulande große Probleme", betonte Däubler-Gmelin, und auch ihr griechischer Kollege sprach ganz offen: In seinem Land sei man infolge der Flüchtlingswelle, die von 1989 an aus dem Osten hinüberschwappte, ziemlich ins Schwimmen geraten. "Sie führte zu einer großen politischen Verunsicherung und nicht zuletzt zu einem Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus." Auch Vertreter anderer Länder berichteten von ihren Problemen - einige verteilten sogar umfangreiche Dossiers, um über die Menschenrechtssituation in ihrem Land zu informieren.
Engagement und der Wille zusammenzuarbeiten sind an diesem Tag groß. Glaubt man Amnesty, ist die Kooperation auch unbedingt notwendig: In einem 2004 erschienenen Bericht heißt es: "Die Menschenrechtspolitik in der EU wird traditionell eher mit den Außenbeziehungen assoziiert denn als kollektive Aufgabe innerhalb der eigenen Grenzen verstanden. Insbesondere der Rat hat sich immer wieder erstaunlich gleichgültig gegenüber Menschenrechtsverletzungen innerhalb der EU gezeigt." Herbe Kritik, aber vor allem eine Herausforderung für die Parlamentarier, es besser zu machen - vielleicht sogar mit einer starken Stimme mehr Harmonie in den frappierend vielstimmigen Chor der internationalen Menschenrechtspolitik zu bringen.
Noch am Nachmittag machten die Ausschussvorsitzenden Nägel mit Köpfen: Einstimmig verabschiedeten sie die "Berliner Erklärung über die Gründung des parlamentarischen Menschenrechtsnetzwerks in Europa". Sehr bald schon will man sich wieder treffen und konkrete Themen beraten.
Am Morgen hatte Herta Däubler-Gmelin die Losung des neuen Netzwerks ausgegeben: "Wir wollen die Menschenrechtspolitik in den Mainstream rücken", kündigte sie an, und vertraut man den Anfängen, war es dafür ein guter Tag.