Diese Perspektive mutet wenig erbaulich an: Die katholischen Bischöfe sehen die Gefahr heraufziehen, dass sich "die Bewertung von Gesundheit, Krankheit und Behinderung sowie das Verständnis von ,Normalität' verändert und sich schleichend eine Diskriminierung derjenigen durchsetzt, die sich einer prädiktiven Gendiagnostik verweigern" - also jenen modernen Gentests, die eine Veranlagung zu erst später auftretenden Krankheiten ermitteln. So steht es in einer Analyse, die vom Kommissariat der Oberhirten für eine Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem von den Grünen vorgelegten Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes ( 16/3233 ) erarbeitet wurde. Für Grundsatzdiskussionen über solche Szenarien blieb bei dem Hearing am 7. November keine Zeit. Streitpunkte wie das von den Grünen geforderte Verbot von Benachteiligungen aufgrund von Genanalysen in der Arbeitswelt und im Versicherungswesen, die Beratung bei Diagnosen oder das Prinzip absoluter Freiwilligkeit bei solchen Untersuchungen offenbarten genug Konfliktstoff.
Professorin Irmgard Nippert von der Uni Münster führt den Abgeordneten vor Augen, welche Konsequenzen bereits die pränatale Diagnostik haben könne: Würden für Kinder Krankheiten vorhergesagt, komme es nicht selten zu Schwangerschaftsabbrüchen. Für die Gesundheitsforscherin ist deshalb eine Beratungspflicht vonnöten.
Dieses Beispiel illustriert die prinzipiellen Einwände der drei Professoren Jochen Graw (Gesellschaft für Genetik), Jochen Taupitz (Deutsche Forschungsgemeinschaft) und Peter Propping (Bundesärztekammer) gegenüber dem Gesetzentwurf: Nicht die Diagnosemethode müsse geregelt werden, sondern der Umgang mit prognostizierten Krankheiten. Aus Sicht Proppings bringt die Beschränkung einer gesetzlichen Regelung auf die Gendiagnostik Widersprüche mit sich: "Eine genetisch bedingte Krankheitsveranlagung braucht dann einem Privatversicherer nicht gemeldet zu werden, eine ähnlich gelagerte Krankheit muss hingegen mitgeteilt werden." Diese Kritik führt hinein in einen Konflikt, bei dem sich Arbeitgeber und Privatversicherer auf der einen sowie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Verbraucherorganisationen auf der anderen Seite gegenüberstehen. Der DGB pocht darauf, dass der Zugang zu Jobs oder privaten Kranken- und Lebensversicherungen nicht von genetischen Risiken abhängen dürfe: "Niemand darf zu Gentests gezwungen und aufgrund eines vorhandenen oder fehlenden Gentests diskriminiert werden." Deshalb ist für Ingolf Hübner von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege eine gesetzliche Regelung "dringend nötig". Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen betonte, dass das Moratorium der privaten Versicherungswirtschaft, die bis 2011 von sich aus auf Gentests verzichten will, "keine rechtsverbindliche Grundlage bietet".
Diese freiwillige Regelung führt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ins Feld. Genetische Untersuchungen generell zu verbieten, sei mit den vertraglichen Prinzipien dieser Versicherungen nicht zu vereinbaren. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände will von einem Gesetz, sofern es die Arbeitswelt betrifft, ebenfalls nichts wissen: Schon heute seien im Arbeitsrecht Gentests "grundsätzlich unzulässig". Jochen Taupitz von der Forschungsgemeinschaft ist ohnehin der Meinung, man solle "die Probleme der Gendiagnostik erst einmal innerhalb des jetzigen Medizinrechts klären". Sorgt der Umgang mit der Prognose genetisch bedingter Krankheiten für Streit, so ruhen auf der Gendiagnostik im Blick auf die bessere Behandlung von Krankheiten und damit auf den medizinischen Fortschritt große Hoffnungen. Doch zwischen den Diagnose- und Therapiekapazitäten klafft eine große Lücke, wie die Forschungsgemeinschaft klagt: Vor diesem Hintergrund zeige sich, "dass der biomedizinischen Grundlagenforschung eine zentrale Bedeutung zukommt".