NACHWACHSENDE ROHSTOFFE
Die Energiegewinnung wirft ökologische Probleme auf. Zugleich werden Lebensmittel teurer.
Der wirtschaftliche Anreiz entfällt." Katherina Reiche hofft, dass der Markt für "unerwünschtes" Palmöl zusammenbrechen wird. Die für Umweltpolitik zuständige Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag verweist auf die Nachhaltigkeitsverordnung, die das Bundeskabinett am 5. Dezember verabschieden will. Danach wird die Verfeuerung von Palmöl in Kraftwerken nur noch dann über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit seinen garantierten Abnahmepreisen für Strom gefördert, wenn dieser Rohstoff aus zertifiziertem umweltverträglichen Anbau stammt.
Jährlich werden mehrere Hunderttausend Tonnen Palmöl importiert, vor allem aus Malaysia und Indonesien. Reiche beklagt, "dass in Südamerika und Südostasien Regenwälder gerodet werden, um Platz für neue Palmölplantagen zu schaffen". Umweltminister Sigmar Gabriel kritisiert, dass der Einsatz eines so produzierten Palmöls nicht den EEG-Zielen entspreche. Schon zu Jahresbeginn warnte der SPD-Politiker vor der vermehrten Verwendung dieses Rohstoffs. Ministeriumssprecher Tobias Dünow gibt sich überzeugt, dass sich die Verbrennung von Palmöl ohne den entsprechenden Bonus für "Nawaros" (nachwachsende Rohstoffe) im EEG nicht mehr lohnen werde.
Die Nachhaltigkeitsverordnung nimmt vor allem Biosprit ins Visier. Dessen Anteil an Kraftstoffen soll von jetzt fünf Prozent bei Diesel und zwei Prozent bei Benzin EU-weit auf zehn Prozent im Jahr 2020 steigen, die Bundesregierung peilt sogar bis zu 20 Prozent an. Biosprit kann in Zukunft auf diese Quote aber nur noch dann angerechnet werden, wenn Mindestanforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen gewährleistet werden. Nationale und internationale Zertifizierungssysteme existieren indes noch nicht, deren Entwicklung ist jetzt angelaufen.
Die Neuregelung ist die Konsequenz aus der sich verstärkenden Kritik am Einsatz von Biomasse als Energieträger: Dieser Konflikt mutet paradox an, sollen doch Nawaros als regenerative Energie den Klimaschutz voranbringen. Konkrete Folgen dürfte die Verordnung bereits für ein 60-Megawatt-Pflanzenölkraftwerk im saarländischen Saarlouis haben, in dem auch Palmöl verfeuert werden soll. Der Streit um dieses Projekt des Unternehmens "Renergie" schlägt republikweit Wellen. CDU-Landtagsabgeordnete warnen vor der "Brandrodung" von Urwäldern, der SPD-Parlamentarier Peter Gillo bemängelt, dass dieser Rohstoff oft von Plantagen stamme, "für die tropischer Regenwald zerstört wurde". Die Linkspartei an der Saar wettert gegen einen "ökologischen und ökonomischen Sündenfall". Auch im Blick auf die neue EEG-Subventionspolitik zeigt sich Manfred Hayer, Bauderzernent in Saarlouis, "eher skeptisch, dass es zu dem Kraftwerk kommt".
Bei näherem Hinsehen ist die Klimabilanz der Nawaros doch nicht so gut. Es entstehen Monokulturen, das Beispiel Palmöl illustriert den Raubbau an der Natur, und nicht zuletzt treibt die Verdrängung agrarischer Nutzgewächse durch Energiepflanzen die Lebensmittelpreise nach oben. Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, mahnt, nun nicht einfach "Nein zu Bioenergien" zu sagen. Begonnen hat aber eine differenzierte Neubewertung der Nawaros. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen meint in einem Sondergutachten zum "Klimaschutz durch Biomasse" ( 16/6340 ), die Bioenergie berge die Gefahr von Fehlentwicklungen in sich. Im Rahmen einer integrierten Strategie müssten ökologische Anforderungen für den Biomasseanbau berücksichtigt werden. Strom, Wärme und Benzin aus Mais, Raps, Palmen, Zuckerrohr, Soja oder Weizen: Es ist ökologisch eine runde Sache, diese Nawaros in Kraftwerken zu verbrennen oder in Raffinerien in Benzin umzuwandeln. So werden Kohle, Öl und Gas ersetzt, die wegen des Kohlendioxidausstoßes bei der Energieerzeugung die Erderhitzung forcieren. Die Verfeuerung von Energiepflanzen hingegen ist klimaneutral. Es wird nur so viel Kohlendioxid frei wie die Gewächse zuvor während ihrer Reifung über die Fotosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen haben. Zwar wird bei der Produktion von Sprit etwa aus Raps, wie es hierzulande verbreitet ist, oder aus Zuckerrohr, wie es in Brasilien üblich ist, Energie benötigt und deshalb Kohlendioxid in die Luft geblasen. Insgesamt aber ist, so der erste Blick, die Klimabilanz bei der Biomasse besser als bei Kohle oder Öl.
Der Boom bei den Nawaros verwundert nicht. Seit 2004 subventioniert die EU den Anbau von Energiepflanzen mit 45 Euro je Hektar, jüngst wurden die Beihilfen angesichts der enormen Nachfrage um 30 Prozent gekürzt. In Deutschland tut die EEG-Förderung ihre Wirkung. Zudem war Biodiesel viele Jahre von Steuern befreit, die inzwischen stufenweise angehoben werden, wobei die nächste Erhöhung zum 1. Januar auf dann 15 Cent je Liter in der Koalition umstritten ist. In der Bundesrepublik gedeiht bereits auf über 1,5 Millionen Hektar Biomasse für die Energieherstellung, EU-weit sind es gut 2,8 Millionen Hektar. In Deutschland soll sich laut CSU-Agrarminister Horst Seehofer der mit Energiepflanzen bewirtschaftete Teil der Ackerfläche bis 2020 auf mindestens 25 Prozent verdoppeln. In Brasilien wird auf drei Millionen Hektar Zuckerrohr für Sprit gezüchtet. "Lateinamerika wird der Persische Golf für Biotreibstoffe", prognostiziert die Interamerikanische Entwicklungsbank. In den USA landet schon ein Fünftel der Maiserzeugung in Benzin oder Biogas.
In der EU eröffnen Nawaros Bauern neue Einnahmequellen. Biokraftstoffe, so Seehofer, seien "eine große Chance für die Wirtschaft und zugleich für die Entwicklung im ländlichen Raum". Der Trend weist weltweit nach oben. Will die EU ihre Biospritquote auf zehn Prozent erhöhen, so ist dies nur über vermehrte Importe zu schaffen. Die Nawaros verdrängen zusehends Weiden für Kühe und Agrarterrain für Getreide. Die Konsequenz: Die Preise für Lebensmittel klettern. Dabei spielt auch die wachsende Nachfrage etwa nach Milchprodukten in Staaten wie Indien oder China eine Rolle. Der Effekt der Biomasse lässt sich jedoch nicht kleinreden. Die OECD sagt global drastisch steigende Preise für Getreide, Milchpulver und Butter voraus.
Ein erstes Fanal haben mexikanische Hausfrauen mit ihren Demonstrationen gegen schwindelerregende Preise für Tortillas gesetzt. Das dortige Grundnahrungsmittel wird aus Mais gefertigt, der zum Teil aus den USA stammt, wo er wegen der verstärkten Verwendung als Energieträger immer teurer wird. Am schlimmsten wird die Dritte Welt getroffen. Der UN-Sonderbeauftragte für Ernährung, Jean Ziegler (Schweiz), schlägt Alarm: Es sei "unannehmbar, dass die wachsende Produktion von Biotreibstoffen zu mehr Hunger in der Welt führt", es drohe ein "Wettlauf um Getreide zwischen 800 Millionen Autobesitzern und den zwei Milliarden ärmsten Menschen der Welt". Für die Bundesrepublik sieht Seehofer hingegen nicht schwarz: Wegen der Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft werde die Erzeugung von Nahrungsmitteln unter dem Aufschwung der Biomasse nicht leiden.
Nicht zu übersehen sind die ökologischen Tücken der Energiegewinnung aus Nawaros. Dies gilt nicht nur für das Palmöl, für dessen Herstellung auch Regen- und Urwälder gerodet werden, die ihrerseits Kohlendioxid absorbieren. Umweltexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker, Professor in Kalifornien, befürchtet eine massive Bedrohung der Artenvielfalt wegen des Trends hin zu Nawaro-Monokulturen: "Biotreibstoffe sind der größte Angriff auf die Biodiversität." Weizsäcker: "Es findet ein großer Raubbau an der Natur statt, den man nicht mit dem Heiligenschein Klimaschutz bemänteln sollte."
Nach Berechnungen des Mainzer Chemie-Nobelpreisträgers Paul Crutzen wird wegen der Stickstoffdüngung von Raps und Mais, den "Marktführern" unter den Nawaros in Deutschland, viel klimaschädliches Lachgas freigesetzt. Ohnehin mehren sich die Stimmen, die besonders dem Biobenzin eine eher schlechte Ökobilanz attestieren. Zu einem ernüchternden Ergebnis kommt eine im Fachblatt "Science" publizierte britische Studie: Werde eine Fläche, auf der Energiepflanzen gedeihen, stattdessen aufgeforstet, so werde der Kohlendioxidgehalt in der Luft um ein Vielfaches vermindert.
Mittlerweile wird in vielen Labors experimentiert, um die Klimabilanz von Nawaros aufzuwerten. In Leipzig will die Bundesregierung ein Biomasse-Forschungszentrum errichten. Hoffnungen ruhen auf Pflanzen, die eine bessere Energieausbeute ermöglichen als Nawaros der ersten Generation wie Mais oder Raps. Als vielversprechend gelten Zuckerhirse, Sudangras, Topinambur oder der Korbblütler Silphie. Zum anderen soll Öko-Sprit der zweiten Generation auch aus Holz und aus Bioabfällen wie Gülle, Stroh oder Holzschnitzeln gewonnen werden.
Aus Sicht Bernd Frankes vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung nutzt das Heizen mit Holz dem Klima mehr und ist zudem billiger als die Erzeugung von Biotreibstoff: Eine Tonne Kohlendioxid mit Hilfe von Sprit zu vermeiden koste 200 Euro, Holz in Kraftwerken schlage dagegen mit nur 10 Euro je Tonne zu Buche. Aber auch diese Strategie stößt auf Widerstände. Im badischen Mahlberg wehren sich eine Bürgerinitiative, der Gemeinderat und Rathauschef Dietmar Benz gegen den Bau eines Holzkraftwerks: Benz befürchtet "Lärm, Staub und Gestank".