EU-ENTWICKLUNGSPOLITIK
Die EU-Staaten haben sich zu höheren Zahlungen verpflichtet. In Zeiten knapper Kassen gerät das aber allzu leicht in Vergessenheit
Vergangene Woche sorgten zwei Meldungen für Schlagzeilen, die recht widersprüchliche politische Botschaften aussandten. Während Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) für die Zukunft mehr Hilfsgelder für die ärmsten Länder versprach, drohte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) damit, seiner Kabinettskollegin die Etathoheit zu entziehen. Denn die Selbstverpflichtung der europäischen Mitgliedsstaaten, bis 2015 insgesamt 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungsprojekte auszugeben, stört seinen Sparkurs.
Anfang März forderte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die reichen Länder auf, ihre Zusagen einzuhalten. Die EU-Staaten hatten sich im Juli 2005 auf dem G8-Gipfel in Schottland verpflichtet, bis 2010 zunächst 0,56 Prozent ihres BIP für Entwicklungsförderung bereit zu stellen, fünf Jahre später dann 0,7 Prozent. Zwar gelang es Wieczorek-Zeul auf dem Milleniumsgipfel im September desselben Jahres in New York nicht, die USA mit ins Boot zu holen. Doch die Europäer blieben bei ihren Zusagen. Darauf verweist Wieczorek-Zeul nun bei ihren Etatplänen.
Rückendeckung hat die deutsche Entwicklungsministerin nun aus Brüssel bekommen. Vergangene Woche veröffentlichte die EU-Kommission die Empfehlung, dass jedes Mitgliedsland einen Zeitplan aufstellen solle, wie es seine Entwicklungshilfe steigern will. Länder wie Spanien, die einen solchen Plan bereits haben, können ihre 2005 gemachten Zusagen einhalten, viele andere nicht.
Insgesamt ist die EU-Entwicklungshilfe nach einem Anstieg auf 47,7 Milliarden für 2006 vergangenes Jahr auf 46,1 Milliarden gesunken. Damit sind die 27 Mitgliedstaaten plus EU-Kommission zusammengerechnet noch immer der größte Geber in der Welt. Im internationalen Vergleich steht Europa gut da: Auf jeden EU-Bürger entfallen jährlich 93 Euro Entwicklungshilfe, auf jeden US-Amerikaner nur 53 Euro, auf jeden Japaner 44 Euro. Doch die Versprechen von 2005 können dennoch so nicht eingelöst werden
Dieses Jahr bringe für die Europäer einen "Glaubwürdigkeitstest", sagte Entwicklungskommissar Louis Michel vergangene Woche. In Meinungsumfragen werde immer wieder deutlich, dass die Bürger von den Politikern mehr Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit erwarteten. Die Empfängerländer bräuchten Planungssicherheit, um mit dem Geld auch wirtschaften zu können. Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, Entwicklungshilfe sei nicht nur ein Akt der Menschlichkeit sondern "eine rationale politische Entscheidung". Es gehe darum, "Seuchen wie Aids zu bekämpfen, dem Terrorismus den Boden zu entziehen und den Migrationsdruck auf Europa zu mindern."
Die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsländern und der EU-Kommission, die Koordinierung der Hilfe vor Ort, die vor einigen Jahren heftig in die Kritik geraten war, hat sich nach Einschätzung von Barroso verbessert. Noch im Jahr 2000 hatte der damals für die Außenpolitik der EU zuständige Kommissar Chris Patten die Brüsseler Entwicklungshilfepolitik als "lausig" bezeichnet. Gelder konnten damals nicht abfließen, weil zu wenige Beamte bereitgestellt wurden, um die Mittel zu verwalten. Die Koordination zwischen Kommission und anderen Gebern sowie zwischen den Mitgliedsstaaten funktionierte nicht.
Auch die Entwicklungsorganisation Oxfam stellt der EU mittlerweile ein besseres Zeugnis aus. "Doch es bleibt noch eine Menge zu tun", sagte Oxfam-Vertreter Alexander Woollcombe dieser Zeitung:"Die eurokratischen Prozeduren sind zu langwierig. Das Geld aus dem Europäischen Entwicklungsfonds fließt zu zäh ab. Nach wie vor hapert es daran, dass die Mitgliedsländer ihre Arbeit nicht besser aufeinander abstimmen."
Die nun von der Kommission veröffentlichten Empfehlungen an die Mitgliedsländer beurteilt Woollcombe sehr positiv. "Wir sind ja nicht oft einer Meinung. Die von der Kommission forcierten Partnerschaftsabkommen lassen den armen Ländern zu wenig Vorbereitungszeit. Die EU-Agrarsubventionen haben verheerende Folgen. Das Bekenntnis zum Klimaschutz ist eine leere Formel. Aber die Schwerpunkte zur Entwicklungspolitik sind richtig gesetzt." Louis Michel will erreichen, dass die Mitgliedsländer mittelfristig fünfzig Prozent ihrer Hilfe in Form von Haushaltszuschüssen zahlen.
Die Forderung wird von Oxfam unterstützt. "Natürlich muss sorgfältig kontrolliert werden, dass solche Zuschüsse in die richtigen Kanäle fließen. Wenn das gewährleistet ist, handelt es sich um die beste Form der Unterstützung, weil die Regierungen ärmerer Länder langfristig planen können," urteilt Woollcombe.
In vier Stichworten lässt sich die Botschaft der EU-Kommission an die Mitgliedsländer zusammenfassen: Mehr Geld, bessere Koordinierung, mehr Marktöffnung und bessere Abstimmung mit anderen EU-Politiken. Vor allem das Klimaschutzprogramm kommt den Entwicklungszielen heftig in die Quere. Neben schlechten Ernten und veränderten Essgewohnheiten in Asien ist es vor allem die Umwidmung von Lebensmitteln zu Biotreibstoffen, die die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais und Weizen auf den Weltmärkten hat steigen lassen. Hungerdemonstrationen in Ägypten, Mexiko und Haiti führen die Folgen dieser Politik deutlich vor Augen.
Dennoch betonte Kommissionspräsident Barroso letzte Woche, er wolle an dem Ziel festhalten, bis 2010 zehn Prozent des Treibstoffs aus Bioenergie zu gewinnen. "Fossile Brennstoffe haben einen sehr negativen Effekt auf das Klima", betonte er. Der Vormarsch von Biodiesel sei weltweit nicht mehr aufzuhalten. Wenn sich die EU von dieser Entwicklung abkopple, vergebe sie die Möglichkeit, Einfluss auf die Produktionsmethoden zu nehmen. "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass strenge Nachhaltigkeitskriterien erarbeitet und eingehalten werden. Die Mitgliedsländer beraten derzeit in Brüssel darüber, wie diese Nachhaltigkeitskriterien aussehen sollen. Hauptsorge ist, dass die Artenvielfalt durch sich ausbreitenden Raps-, Mais-, und Weizenanbau für Biotreibstoff leiden könnte. Gestritten wird auch darüber, ab welcher CO2-Einsparquote Bioenergie als nachhaltig eingestuft wird.
Die Grünen im Europaparlament forderten letzte Woche erneut, die Nöte der "schwächsten Bevölkerungsgruppen und ärmsten Länder" im Auge zu behalten. "Die EU muss bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der europäischen und globalen Ernährungssicherung Vorrang geben. Sonst tragen wir Mitverantwortung an den sich ankündigenden Versorgungsengpässen und sozialen Unruhen in der Welt", warnte der grüne Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses ist. Die Illusion, volle Tanks und volle Teller seien rein technisch und ohne politische Prioritätensetzung möglich, sei geplatzt.
"Politische Prioritätensetzung" verlangt auch die EU-Kommission. Sie setze nur um, was die Regierungschefs selber beschlossen hätten, erklärte Kommissionschef Barroso. In Zeiten boomender Konjunktur hätten sich Länder wie Frankreich, Italien und Großbritannien für höhere Entwicklungshilfezahlungen stark gemacht. Nun würden sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Deutschland tadelte der Kommissionspräsident nicht. Wenn Finanzminister Steinbrück sein Sparkonzept durchhalten will, könnte sich das bald ändern.