Staatsfinanzen
Oettinger und Struck wollen mit Zinshilfen für arme Bundesländer eine Schuldenbremse befördern
Es könnte hoch her gegangen sein, als die Mitglieder der Föderalismuskommission II am 26. Juni hinter verschlossenen Türen das heiße Eisen anpackten, und mutmaßlich dürfte die Stimmung beim nächsten Treffen am 3. Juli nicht lockerer sein. In der Öffentlichkeit liefern sich jedenfalls Regierungschefs, Minister und Abgeordnete heftige Wortgefechte. Anlass für die Aufwallungen ist das vom baden-württembergischen CDU-Kabinettschef Günther Oettinger und vom SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Peter Struck präsentierte "Eckpunktepapier", das mit Vorschlägen für eine noch nicht näher präzisierte Schuldenbegrenzung der öffentlichen Hand und für Finanzhilfen zugunsten armer Länder die Richtschnur weisen soll für die heiße Phase der Debatte über eine Neuordnung der staatlichen Finanzarchitektur.
Das Konzept der beiden Kommissionsvorsitzenden scheint nicht gerade ein großer Wurf zu sein, und so meldete sich prompt ein vielstimmiger Chor von Kritikern zu Wort. In München grollt CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein und fordert ein "hartes" Neuverschuldungsverbot. Bodo Ramelow, Vizefraktionschef der Linkspartei im Bundestag, spricht von "Stückwerk" und verlangt eine nachhaltige Entschuldung finanzschwacher Länder. FDP-Kommissionsmitglied Ernst Burgbacher bemängelt, das Modell sei "mutlos" und lasse "noch immer zu viel Spielraum fürs Schuldenmachen". Oettinger meldete sich nach seinem Auftritt mit Struck ebenfalls zu Wort und wirft der SPD-Bundestagsfraktion vor, "weiter einen strukturellen Schuldenkorridor" behalten zu wollen. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen proklamiert, die SPD müsse "springen". SPD-Fraktionsvize Joachim Poß wiederum pocht darauf, seine Partei habe einen seriösen und effektiven Vorschlag präsentiert. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) aus Bremen mahnt, die Politik könne es sich nicht leisten, "das Problem Staatsverschuldung einfach unbearbeitet liegen zu lassen". Der saarländische CDU-Finanzminister Peter Jacoby lobt die avisierten Zinshilfen für arme Länder als "Schritt in die richtige Richtung", fordert jedoch wie Linnert Unterstützung beim Abtragen der gewaltigen Altschuldenberge.
Das Getöse darf wohl interpretiert werden als Positionsgerangel für die anlaufende entscheidende Phase, die im Herbst in ein Gesamtkonzept des Gremiums und im Frühjahr in eine Verfassungsänderung münden soll, die der öffentlichen Hand auf Dauer rigidere Regeln für Kreditaufnahme auferlegt - was freilich die politischen Spielräume der in der Zukunft gewählten Parlamente massiv einengt. Struck: "Herr Oettinger und ich sind wild entschlossen, zu einem Ergebnis zu kommen." Erst einmal sollen vier Arbeitsgruppen die offenen Fragen des "Eckpunktepapiers" klären.
Kernstück der Reform soll die Schuldenbremse sein. Die Kreditaufnahme müsse "im Interesse nachfolgender Generationen deutlich eingeschränkt werden", unterstreicht Struck. Ziel der Vorsitzenden ist es, Bund und Länder über einen Konjunkturzyklus von mehreren Jahren hinweg auf ausgeglichene Etats zu verpflichten. Allerdings konnten sich Oettinger und Struck nicht über die Höhe der in normalen Zeiten erlaubten Schuldenquote verständigen. Der CDU-Politiker macht sich für null Prozent stark, die SPD-Fraktion plädiert hingegen bei Bund und Ländern zusammen für eine Marge von bis zu 0,75 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung - das wären momentan höchstens 18 Milliarden Euro. SPD-Finanzminister Peer Steinbrück favorisiert eine Quote von 0,5 Prozent, das wären maximal 12 Milliarden Euro im Jahr. "Es gibt keine übereinstimmende Meinung zwischen Herrn Oettinger und mir", meint Struck trocken. Bisher scheint am ehesten eine Einigung auf Steinbrücks Linie denkbar. In konjunkturschwachen Phasen und in Ausnahmesituationen wie etwa bei Naturkatastrophen sollen höhere Kreditaufnahmen möglich sein.
Für die nächsten Jahre vom Tisch ist aus Sicht Oettingers und Strucks die Idee des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch eines von Bund und Ländern finanzierten Altschulden-Fonds, aus dem über mehrere Jahrzehnte die bei der öffentlichen Hand aufgelaufenen Kreditbelastungen von 1,6 Billionen Euro getilgt werden. Dieser Fonds sei "noch nicht entscheidungsreif". Bleibt es beim Konzept der Vorsitzenden, so verflüchtigt sich auch die Hoffnung armer Länder wie Bremen, Schleswig-Holstein, Saarland und Berlin auf Zuschüsse des Bundes und der reichen Länder zur Bewältigung ihrer gewaltigen Altschuldenberge. Immerhin schlagen Oettinger und Struck einen je zur Hälfte vom Bund und von wohlhabenden Ländern bestückten Topf in Höhe von jährlich bis zu 1,2 Milliarden Euro vor, der Ländern mit besonders hohen Zinslasten unter die Arme greift. In Betracht für solche Zinshilfen kämen zunächst Saarbrücken, Bremen und Kiel, später vielleicht auch Berlin. Allerdings hatte Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) gedroht, ohne Unterstützung bei der Tilgung von Altschulden würden arme Länder einer Schuldenbremse nicht zustimmen, da sie ansonsten ihre Haushalte nicht ohne neue Kredite ausgleichen könnten.
Ein "Stabilitätsrat", dessen Kompetenzen noch nicht feststehen, soll die Etatpolitik überwachen. Keine Chance hat offenbar die Bundessteuerverwaltung, da viele Länder Widerstand leisten. Nun wird über eine effizientere Kooperation der verschiedenen Verwaltungsebenen etwa im IT-Bereich beraten. Bereits entschieden ist, dass die Kfz-Steuer an den Bund geht und die Länder einen Ausgleich erhalten. Geprüft wird, ob einzelne Länder bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer abweichende Sätze festlegen können.
Oettinger und Struck geben den Experten ein Aufgabenbündel mit auf den Weg. Vielleicht wird aber von Ende September an so mancher gordische Knoten durchschlagen: Dann ist die bayerische Landtagswahl vorbei, und bis dahin dürfte sich wenig bewegen.