Altersmischung
Viele Schulen bleiben skeptisch
Wer heute Grundschulen betritt, muss aufpassen, wohin er seine Füße setzt: Es kann sein, dass Flure übersät sind von Perlenschnüren, Karteikärtchen, Buchstaben und Zahlen in jeder erdenklichen Farbe. Dazwischen sitzen Kinder, die über Aufgaben brüten. Manche Schüler sind erst fünf oder sechs Jahre alt und zählen gerade bis 10, andere sind sieben und können schon im Hunderterbereich addieren.
Was in Grundschulen von Rosenheim bis Kiel passiert, nennt man "Jahrgangsübergreifendes Lernen" (Jül) oder "Altersmischung". Dahinter verbirgt sich ein Reformkonzept für die ersten beiden Schuljahre: Erst- und Zweitklässler werden zusammen unterrichtet, weil auf diese Weise weit entwickelte Erstklässler schon die Aufgaben der zweiten Klasse lösen können, während langsam lernende Zweitklässler zusammen mit den "Kleinen" noch mal den Stoff der ersten Klasse durchgehen können.
Wenn man die Jahrgangsmischung konsequent umsetzen will, braucht man viel Raum, denn jede der vielen kleinen Lerngruppen benötigt ihr eigenes Plätzchen, an dem sie ihre speziellen Aufgaben abarbeiten kann. Im Idealfall dürfen sie auf einen Nebenraum ausweichen oder gleich den ganzen Flur in Beschlag nehmen. Am Ende der Stunde und auch zwischendurch geht der Lehrer herum, gibt Tipps und spornt an.
In der Praxis ist dieses Konzept jedoch umstritten: Viele Lehrer halten nichts von der Reform, weil sie fürchten, dass das selbständige Arbeiten vor allem jene Kinder überfordert, die soziale Defizite haben. Andere Lehrer wollen sich einfach nicht vom vertrauten Frontalunterricht verabschieden. Auch Eltern waren skeptisch. Diese Abwehrhaltung fiel aber erst auf, als das jahrgangsübergreifende Lernen im Land Berlin verpflichtend eingeführt werden sollte. Bis dahin war es hier und anderswo nur auf freiwilliger Basis erprobt worden. Sobald aber klar war, dass alle Grundschulen mitmachen sollten, meldeten sich kritische Stimmen. Nach zwei Jahren Streit gab der Senat schließlich nach: Berlins Schulen werden zum Sommer doch nicht gezwungen, die Reform umzusetzen. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hat nicht einmal einen Termin gesetzt, bis zu dem die Altersmischung spätestens umgesetzt werden muss. Etwa 30 Prozent der Schulen haben bisher um Aufschub gebeten.
Andere Länder waren von Anfang an vorsichtiger. Bayern und Brandenburg etwa halten zwar viel von der Reform, belassen es aber bei der Freiwilligkeit. Sie haben einen zusätzlichen Pluspunkt der Jahrgangsmischung entdeckt: In geburtenschwachen Regionen kann man Schulstandorte erhalten, wenn man allzu kleine Jahrgänge zusammenlegt.