Am Ende lässt sich die Gänsehaut der Zuschauer nahezu erspüren. Fast dunkel ist es auf der Bühne, Lana flüstert ins Mikrofon: "Brandon hat mich nicht geküsst wie eine Frau. Er hat mich geliebt wie ein Mann." Ihre Freundin fragt: "Was issen der Unterschied?" Lana, noch leiser: "Ich weiß es nicht." Es wird dunkel. Ein paar Sekunden dauert es, dann braust tosender Beifall im Theater an der Parkaue auf.
Zu Recht. Das Stück "Boy's don't Cry" das die Zuschauer in dem ausverkauften Haus gesehen haben, ist ein beeindruckendes Dokument jugendlicher Identitätssuche. Katrin Friedrich, die Hauptdarstellerin, spielt als Mädchen, das sich als Junge fühlt, eine grandiose Rolle. Mehr als zwei Stunden zieht sie als junger Transsexueller Brandon Teena die Zuschauer in ihren Bann: Breitbeinig und cool ist sie als Brandon in der Öffentlichkeit, verletzlich und verzweifelt, wenn sie sich zurückzieht; panisch, wenn sie ihre Tage bekommt und sich als Junge in Anwesenheit seiner Kumpels kaum Tampons kaufen kann. Am Ende wird Brandon Teena, den es in den 90er-Jahren in den USA tatsächlich gegeben hat, Opfer brutaler Gewalt.
Auch wenn dem Theater an der Parkaue im Osten Berlins ein großes Stück gelungen ist - die Öffentlichkeit wird kaum davon erfahren. Was Kinder- und Jugendtheater aufführen, gilt gemeinhin nicht als Hochkultur und findet in den Feuilletons nicht statt. Nicht einmal, wenn, wie im Theater an der Parkaue, allein in der laufenden Saison 17 Premieren auf die Bühne gebracht werden. Dabei lohnt sich das Hingucken: spielerisch wie in kultureller Bildung wird hier Großartiges geleistet. Eine Stunde lang diskutiert das Ensemble nach der Aufführung mit dem Publikum, in dem mehrere Schulklassen sitzen. Vorbereitet haben diese sich nicht nur durch das Zuschauen, sondern auch im Unterricht, mit Hilfe eines Begleithefts, das die Theaterpädagogin Kristina Stang zusammengestellt hat. "Wir bemühen uns immer, Themen zu behandeln, die mit dem Leben der Jugendlichen zu tun haben," sagt Kristina Stang, "im besten Fall bietet das, was wir hier machen, viel Stoff für Diskussion - hier wie im Unterricht."
Im größten Kinder- und Jugendtheater der Republik können Kinder und Jugendliche sich auch auf der Bühne ausprobieren. In Theaterclubs und Akademien recherchieren sie zu altersgerechten Themen und entwickeln kleine Stücke. Die jüngsten, die mitmachen, sind neun, die ältesten 20 Jahre alt.
Außerdem wird jede Aufführung von einer "Premierenklasse" begleitet: Die Schüler dieser Klasse begleiten die Entstehung eines Stücks, bekommen Proben zu sehen und beraten anschließend Schauspieler und Regie. Die Zusammenarbeit mit Schulen, sagt Kristina Stang, sei nicht zuletzt im Zeitalter von Turbo-Abitur und gestiegenen Anforderungen an den Unterrichts- stoff wichtig: "Schüler brauchen nicht nur Mathe und Deutsch. Sie brauchen auch Kultur - und Gelegenheit, sich auszu- probieren."