FRANKREICH
Duale Ausbildung hatte nie einen hohen Stellenwert. Das ändert sich langsam
Arbeitgeberverbände und Politiker aus Frankreich blicken fast neidvoll über den Rhein. Das duale deutsche Ausbildungssystem genießt bei ihnen höchstes Ansehen. Und das, obwohl die klassische Berufsausbildung in Frankreich traditionell wenig zählt. Das liegt zum einen an der Bildungsoffensive, die Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg startete. Inzwischen machen über 70 Prozent eines Jahrgangs Abitur. Grund ist zum anderen aber auch das tiefverankerte Misstrauen der Franzosen gegenüber Unternehmen, die schnell in Verdacht geraten, kapitalistische Ausbeuter zu sein.
Die Berufsausbildung ist in Frankreich deshalb noch immer überwiegend Sache des Staates. So gab es zu Beginn des letzten Schuljahres 710.000 Schüler im beruflichen Bildungswesen, aber nur 397.000 Lehrlinge, die eine duale Ausbildung durchliefen. 30 Prozent der französischen Schüler gehen nach dem mit der deutschen Sekundarstufe I vergleichbaren Collège auf ein berufsbildendes oder ein technisches Gymnasium, wo sie innerhalb von drei Jahren ein berufsbezogenes Abitur oder einen Technikerabschluss machen. Neben der Theorie erfolgt die praktische Ausbildung in speziellen Schulwerkstätten und während der vorgeschriebenen Praktika in Betrieben. Die französischen Universitäten bieten ebenfalls berufsbezogene Kurzstudiengänge an, die in der Regel zwei Jahre dauern. Häufig beinhalten sie eine duale Ausbildung in Unternehmen und an der Hochschule. Auf dem Arbeitsmarkt haben die Kurzstudien aber einen geringeren Stellenwert als ein normales Studium. Das Gleiche gilt für das berufsorientierte und technische Abitur. Viele Unternehmen werfen der verschulten Ausbildung zudem vor, sich nicht genügend an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anzupassen. Die duale Lehre, die in Unternehmen und Lehrzentren erfolgt, wurde in Frankreich ursprünglich als Instrument im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit eingeführt. Allerdings brachte sie nicht den gewünschten Erfolg, denn mit 19,4 Prozent im vergangenen Jahr liegt Frankreich noch immer deutlich über dem EU-Durchschnitt. Entsprechend groß waren anfangs die Vorurteile gegenüber den Jugendlichen, die eine solche Lehre machen. Deshalb haftet der dualen Ausbildung heute noch der Ruf an, die letzte Chance für diejenigen zu sein, die es in der Schule nicht geschafft haben.
Bei den Unternehmen hat aber inzwischen ein Umdenken eingesetzt. Immer mehr Betriebe realisieren, welche Chancen ihnen die duale Ausbildung bietet. "Für Veolia Environnement ist die Lehre eine neue Einstellungsform geworden", sagt Dominique Ordinaire von dem auf Umweltdienstleistungen spezialisierten Konzern. "Das ist eine Wette auf die Zukunft." Ziel sei es, Jugendliche an das Unternehmen zu binden und ihnen dort die besten Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Für Isabelle La Chimia von dem Personaldienstleister Adecco France bietet die duale Lehre den Vorteil, Menschen für die spezifischen Aufgaben des Unternehmens ausbilden zu können. Da ein Betrieb in die Ausbildung investiere, habe er auch ein großes Interesse daran, einen Lehrling nach Abschluss seiner Ausbildung zu halten. Etwa 60 Prozent der Lehrlinge würden deshalb bei Adecco übernommen.