MODULARISIERUNG
Berufsausbildung soll moderner werden. Ein schweres Projekt
Aus Verlierer in der beruflichen Bildung sollen Gewinner werden. Neben dem vom Bundestag bereits verabschiedeten Ausbildungsbonus und anderen Hilfen soll künftig auch das neue "Connect"-Projekt zur Modularisierung von beruflichen Ausbildungen dazu beitragen, dass junge Menschen ohne oder mit einem schlechten Schulabschluss eine Berufsausbildung abschließen können.
Bei "Connect" geht es darum, bestimmten Jugendlichen eine anerkannte Ausbildung in "Bausteinen" zu vermitteln - entweder um einen Einstieg in die Lehre zu erleichtern oder einen Wiedereinstieg nach einem Lehrabbruch zu ermöglichen.
Deutlicher als bisher wird bei allen Maßnahmen herausgestellt, dass das System der dualen Berufsausbildung mit seinen anerkannten Abschlüssen die Leit- und Orientierungsrolle bekommen soll. Ziel ist dabei langfristig die Qualifikation von Fachkräften. Das Bundesbildungsministerium wird in diesem August ein Eckpunktepapier für ein Ausbildungsbausteineprogramm für 14 Berufe aus Industrie, Handel und Handwerk vorlegen. Die Modularisierung der drei- bis dreieinhalbjährigen Berufsausbildung in Deutschland war lange umstritten. Auch jetzt sind noch nicht alle Kritiker überzeugt.
Das "Connect"-Modularisierungsprojekt ist eine unmittelbare Folge der "Zehn Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung", die ein von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) eingesetzter Innovationskreis im Sommer vergangenen Jahres vorgelegt hat. Mit ihren Reformvorschlägen gehen die Experten auf den grundlegenden Wandel in der beruflichen Bildung ein. Nicht mehr 70 Prozent - wie noch Mitte der 90er Jahre - sondern nur noch rund 50 Prozent eines Altersjahrganges erwerben ihre berufliche Qualifikation heute im deutschen dualen System - dem Zusammenspiel von betrieblicher Ausbildung, staatlicher Berufsschule und einer anerkannten Kammerprüfung.
Zugleich wird nach Lösungen für die offen aufgetretenen Probleme des Berufsbildungssystems gesucht: Rückgang der Ausbildungsbereitschaft in vielen Betrieben bei absehbar größer werdendem Fachkräftebedarf, schneller wechselnde Qualifikationsanforderungen in vielen Berufsfeldern, höhere Qualifikationsanforderungen bei weiter sinkenden Arbeitsmarktchancen für Ungelernte und gering Qualifizierte. Laut Bildungsbericht von Bund und Ländern durchläuft heute nahezu jeder zweite 14- bis 15-jährige Schulabgänger zunächst eine etwa einjährige "Warteschleife", bevor er in eine reguläre berufliche Ausbildung einsteigen kann.
Über die Modularisierung von beruflichen Ausbildungswegen wurde lange gestritten. Auch heute sind nicht alle Skeptiker überzeugt. Lange Zeit fürchteten die Gewerkschaften, die Arbeitgeber wollten damit nur eine Billig-Lohngruppe einführen und den Tarifvertrag unterlaufen. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung um den Industrieelektroniker, der in nur zwei Jahren ausgebildet werden soll. Aber hier ist auch das Arbeitgeberlager nicht einer Meinung. Nicht wenige fürchten, dass in einer nur zweijährigen Berufsausbildung zu wenig solide Grundlagen für einen Beruf in einer High-Tech-Branche vermittelt werden können.
Das Eckpunktepapier des Bundesbildungsministeriums trägt jetzt dieser langjährigen kritischen Debatte Rechnung. Betont wird: "Die Entwicklung der Struktur der Ausbildungsbausteine ist darauf ausgerichtet, zu einer Abschlussprüfung zu führen." Das heißt: Die Ausbildungsbausteine sollen den Einstieg in die berufliche Ausbildung erleichtern - gleichzeitig aber auf Dauer doch zu einer anerkannten Abschlussprüfung führen, die vor der Kammer abgelegt wird. Das kann dann durchaus auch später nach einer Phase der weiteren berufspraktischen Qualifizierung erfolgen.
Vor dem Hintergrund dieser kritischen Debatte um das Für und Wider einer Modularisierung von Ausbildungsordnungen fällt nun auch das Projekt des Bundesbildungsministeriums deutlich bescheidener aus als zunächst geplant. Das Programm konzentriert sich nur noch auf vier Bereiche: Altbewerber, Benachteiligenförderung, Berufsschulangebote und Nachqualifizierung. Das Bundesministerium will noch in diesem Jahr 30 Projekte zur Erprobung von Ausbildungsbausteinen auswählen und dann von Anfang 2009 an fördern. Zu den 14 Berufen, die ausgewählt wurden, zählen aus dem Bereich Industrie und Handel der Einzelhandelskaufmann, die Fachkraft für Lagerlogistik und der Industriemechaniker. An handwerklichen Ausbildungen wurden unter anderem der Kraftfahrzeugmechatroniker, der Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk und der Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ausgesucht.
Das Programm birgt noch einige Risiken. Zentrale Frage ist, ob sich die Betriebe dafür gewinnen lassen, die Jugendlichen nach der Absolvierung von Ausbildungsmodulen tatsächlich zu einem anerkannten Abschluss zu führen. Denn dabei sind Entgegenkommen und Engagement auf beiden Seiten erforderlich. Die bisherigen Erfahrungen mit der Anerkennung des schulischen Berufsgrundbildungsjahres und anderen Berufsfachschulen sind nicht verheißungsvoll. Offen ist auch noch, wie weit die Länder mitmachen. Den diese müssen ihr bisheriges Übergangssystem in den Berufsschulen für die 14 Berufe mächtig umbauen - und das kostet Geld und Personal. Hinzu kommt noch eine Erfahrung: Wird die modularisierte Ausbildung für die betroffenen Jugendlichen komplett in der Berufsschule gemacht, dann sind ihre Beschäftigungschancen in der Regel deutlich geringer als bei den betrieblich ausgebildeten.
Gleichwohl: Die Sorge von Bundesregierung wie Wirtschaft nach einem qualifiziertem Fachkräftenachwuchs zwingen zum Handeln. Auch der internationale Druck wächst. Laut deutschem Bildungsbericht sind die älteren Generationen der Erwerbstätigen, also die heute 45- bis 55-Jährigen, von ihren Bildungsabschlüssen her gesehen formal qualifizierter als die Generation der 35- bis 45-Jährigen - auch eine späte Folge des großen Lehrstellenmangels in den 80er Jahren und der damaligen Abschreckungspolitik vor dem Studium - mit den damals üblichen Warnungen vor einer "Akademikerschwemme" und der Stammtischfiktion des "Taxifahrenden Dr. Arbeitslos".
Allen ist aber heute klar, dass die Arbeitsmarktchancen für Niedrig-Qualifizierte weiter sinken werden und es volkswirtschaftlich geboten ist, die Reserven besser auszunutzen. Oberstes Ziel der Initiative ist es deshalb, "allen Jugendlichen, die ausbildungsfähig und -willig sind, die Chance auf eine qualifizierte und arbeitsmarktrelevante Ausbildung zu eröffnen", heißt es in dem Eckpunktepapier. Ein vereinbarter Schwerpunkt der Modellversuche wird bei den Altbewerbern liegen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie Jugendliche, die sich oft länger als ein Jahr vergeblich um eine Lehrstelle bemüht haben, Zug um Zug mit Hilfe von Ausbildungsbausteinen zu einem regulären Berufsbildungsabschluss geführt werden können. Eine Verzahnung mit anderen Fördermaßnahmen wird hierbei angestrebt. Regionale "Kümmerer" sollen dabei die Planung, Koordination und Abstimmung mit den zu beteiligenden Berufsbildungsinstitutionen vornehmen und zugleich im Rahmen einer Vereinbarung mit den Altbewerbern deren Durchlaufen der einzelnen Ausbildungsbausteine regeln und begleiten.
Ausbildungsbausteine können in Betrieben und Schulen, aber auch durch überbetriebliche Bildungsstätten vermittelt werden. Auch bei der Benachteiligtenförderung der Bundesagentur für Arbeit nach dem Sozialgesetzbuch III sollen Ausbildungsbausteine insbesondere bei außerbetrieblichen Ausbildungen zum Einsatz kommen. Ziel ist, die bisher oft unzureichende Verzahnung von Maßnahmen vor einer Ausbildung und folgender Ausbildung zu verbessern, mehr Fachbezug und Transparenz in den Fördermaßnahmen zu erreichen und insbesondere leistungsstärkeren Jugendlichen eine Brücke in eine reguläre Ausbildung zu eröffnen. Des Weiteren sollen Ausbildungsbausteine an der Schnittstelle zwischen schulischer Ausbildung und Übergang in die betriebliche Ausbildung wirken. Im Rahmen von Modellprojekten sollen schulische Bildungsgänge an Berufsfachschulen (insbesondere die einjährigen Bildungsgänge) konzeptionell auf die Ausbildungsbausteine umorientiert werden. Dadurch soll ein Ausbildungsabschluss mit Kammerprüfung ermöglicht werden.
Auch in der Nachqualifizierung sollen die neuen Ausbildungsbausteine eingesetzt werden. "Ziel ist es, Maßnahmen der Nachqualifizierung für junge un- und angelernte Erwachsene, also im wesentlichen die Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen, durch Ausbildungsbausteine besser zu strukturieren und für Anbieter und Nutzer transparente und anrechnungsfähige Teilqualifikationen mit Abschlussperspektive zu etablieren", heißt es in dem Eckpunktepapier.
Das Projekt wird als eigenständige Linie im Jobstarterprogramm umgesetzt. Ein Beirat aus Vertretern der Gewerkschaften, der Wirtschaftsverbände, des Bundesinstituts für Berufsbildung, der Wissenschaft, der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz soll die Projekte begleiten. Die Erprobungsphase soll wissenschaftlich evaluiert werden.
Der Autor ist Redakteur der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.