HOCHSCHULEN
Während des Berufslebens an die Uni zurückzukehren, ist in Deutschland immer noch die große Ausnahme. Einige Universitäten richten sich aber inzwischen auf die neue Klientel ein. Endlich!
Am Anfang seines akademischen Lebens hat Thomas Kirbach alles so gemacht wie alle anderen: Mit dem Abitur in der Tasche wechselte er an die Uni; sein Studium der International Business Administration in Frankfurt an der Oder zog er in Rekordzeit durch. Nach sechs Semestern hielt er seinen Bachelor in der Hand - um dann einen Schritt zu machen, den nicht viele gehen: Anstatt gleich den Master draufzusatteln, bewarb er sich bei einer großen Unternehmensberatung als Consultant. "Nach drei Jahren Theorie dachte ich: Du musst die Praxis kennenlernen," erklärt der 24-Jährige. "Zum Weiterlernen bleibt mir doch auch später noch Zeit." Dass der Bachelor nicht sein letzter Abschluss ist, steht für ihn felsenfest: "Den Master zu machen war für mich immer selbstverständlich. Nur eben nicht sofort."
Was Thomas Kirbach plant, ist ein Ziel des Bologna-Prozesses. Die europaweite Umstellung auf vergleichbare Studiengänge mit den einheitlichen Abschlüssen Bachelor und Master soll Studierende nicht nur schneller als in Deutschland bisher üblich zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen. Sie soll auch lebenslanges Lernen stärker an den Universitäten verankern - nicht nur, aber auch durch einen Mastertitel, der in anderen Ländern längst selbstverständlich in oder nach einer Phase der Berufstätigkeit erworben wird.
In zwei oder drei Jahren, schätzt Thomas Kirbach, fühlt er sich wieder reif für die Uni. Wenn er sich immatrikuliert, hat er zwei Möglichkeiten: Entweder erwirbt er als Vollzeit-Student binnen ein bis zwei Jahren den Master. Oder er erwirbt berufsbegleitend über mehrere Jahre in einer Kombination aus Fernlernen und Präsenzzeiten jene 120 Punkte, die ihm zum Master fehlen.
In Deutschland ist so ein Vorgehen immer noch die Ausnahme. Die ersten Jahre des Bologna-Prozesses zeigen: Wer einen Master machen will, macht ihn in der Regel gleich. Zu tun habe das nicht nur mit Gewohnheit und der allgemeinen Unsicherheit über den Marktwert eines Bachelor, meint Jutta Allmendinger, Mitglied des Wissenschaftsrats. "Wer einen Platz im Masterstudium hat, nimmt ihn schon deswegen, weil er befürchtet, nie wieder einen zu bekommen." Neben mehr Studienplätzen mahnt Allmendinger eine Flexibilisierung der Studienangebote an: mehr Teilzeitstudiengänge, mehr modulare Angebote, kurz, mehr Chancen, Beruf, Bildung und Familie zu vereinbaren.
Dass deutsche Hochschulen längst keine Stätten lebenslangen Lernens sind, hat auch das Hochschul-Informations-System (HIS) 2007 wissenschaftlich erwiesen. Während in Finnland schon mehr Menschen in Weiter- als in Erstausbildung studieren, bilden deutsche Universitäten zu 90 Prozent junge Leute aus, die gerade Abitur gemacht haben. Andernorts, schreiben die Forscher in ihrem Sieben-Länder-Vergleich, seien zudem die Grenzen zwischen grundständiger und Weiterbildung längst nicht mehr so klar wie in Deutschland. In einer weiteren Studie hat das Bundesbildungsministerium errechnet, dass der Anteil der Universitäten am Weiterbildungsmarkt bei gerade mal drei Prozent liegt.
Dahinter stehen nicht zuletzt handfeste finanzielle Gründe: Zwar ist Weiterbildung laut Hochschulrahmengesetz eine Kernaufgabe der Universitäten. Anders als die überwiegend aus Steuern finanzierte grundständige Bachelor- und Masterausbildung ist sie aber privatrechtlich organisiert und muss sich selbst tragen. Der Hochschule entstehen so nicht nur zwei getrennte Geschäftsfelder; Sie müssen eins davon auch so attraktiv machen, dass es sich allein durch Gebühren rechnet. "Die Entwicklung von Studienangeboten und erst recht ihre Vermarktung sind teuer", konstatiert Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin. "beides in großem Umfang zu schultern ist für eine Uni in Eigenregie kaum möglich." Es gibt aber noch einen weiteren, geradezu perfiden Grund, an der Weiterbildung oft scheitert: Die professorale Lehrver- pflichtung von acht bis zwölf Stunden bezieht sich ausschließlich auf das grundständige Studium. Mehr Unterricht ist erstens freiwillig und kann zweitens sogar angefochten werden. Erwischen abgewiesene Bewerber zulassungsbeschränkter Studiengänge "ihre" potenziellen Lehrenden bei der Weiterbildung, kann das schon mal Anlass für eine Kapazitätsklage sein.
Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland in weiterer Hinsicht hinterher: In Finnland, Frankreich oder Großbritannien, so das HIS, öffneten sich Hochschulen viel stärker auch für Menschen unterschiedlicher Bildungswege; nur Österreich und Deutschland zeigten sich "sehr geschlossen." Auch nach Angaben des Nationalen Bildungsberichts haben mehr als 90 Prozent der Studierenden an Universitäten das Abitur; nur ein bis drei Prozent werden wegen ihrer beruflichen Qualifikation aufgenommen. Jutta Allmendinger plädiert dafür, das Abitur nur als eins von mehreren möglichen Auswahlkriterien zu betrachten und insbesondere den Weg vom Beruf ins Studium mehr Menschen zu ebnen. Das Argument dahinter: Nach Ansicht des Wissenschaftsrats benötigen 35 Prozent eines Altersjahrganges eine akademische Ausbildung. Bisher macht nur jeder Fünfte einen solchen Abschluss.
Völlig unerhört verhallen Forderungen nach mehr akademischer Bildung nicht. Die Berliner Humboldt-Universität wirbt seit einem Jahr offensiv auch um Nicht-Abiturienten als Studierende. Wer einen Realschulabschluss und eine Berufsausbildung hat, kann sich dort gezielt über einen Weg ins Studium beraten lassen. Die Universität Augsburg hat eine Vorreiterrolle in akademischer Weiterbildung inne. Ein eigenes "Zentrum für Weiterbildung und Wissenstransfer" kümmert sich dort mit mehr als 50 Mitarbeitern um internationale Kooperationen, Firmenkontakte, berufsbegleitende Master-Studiengänge und Aufbaukurse. An der Universität Rostock übernimmt - wenn auch in kleinerem Umfang - das "Zentrum für Qualitätssicherung in Studium und Weiterbildung" dieselbe Aufgabe. "Bologna heißt: Ich gehe von der Universität fort - und immer wieder an sie zurück", erklärt Sabine Teichmann, die Leiterin des Zentrums. "Wer das ermöglichen will, muss alt hergebrachte universitäre Strukturen aufbrechen: Ehemalige oder aktive Berufstätige wollen und müssen anders lernen als Erstsemester nach dem Abitur."
Die Freie Universität Berlin schafft zurzeit ein ganz neues Angebot: Gemeinsam mit der privaten Stuttgarter Klett-Gruppe will sie die erste Weiterbildungs-Universität Deutschlands gründen. Der für 2007 angekündigte Start verzögerte sich zunächst. Nun ist es aber soweit: "Die Genehmigung liegt vor. Wir stehen in den Startlöchern," freut sich Uni-Präsident Dieter Lenzen. Angesiedelt werden soll die Einrichtung auf dem Gelände der Freien Universität in Berlin-Dahlem. Außer der Immobilie stellt die Freie Universität ihr wissenschaftliches Know-How und ihre Erlaubnis, akademische Abschlüsse zu verleihen. Das Kapital stellt die Klett-Gruppe. Angeboten werden sollen Studiengänge in Bereichen wie Management, Gesundheit, Kommunikation und Bildung - vermutlich vorausgesetzt, sie rechnen sich.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.