NACHQUALIFIZIERUNG
Einzelprojekte, um Hilfsarbeitern zu einem Berufsabschluss zu verhelfen, gibt es genug. Jetzt soll ein bundesweites Ausbildungssystem enstehen
Sarah Hillebrand legt die rechteckigen Metallklötze gelassen in das vorgesehene Bett der Drehmaschine und platziert den silberfarbenen Würfel darauf. Christian Just dreht eine Kurbel, Würfel und Stützklötze sind jetzt fest eingespannt in einem Bock, rechts und links von Metallblöcken am Platz gehalten. Die junge Frau biegt einen dünnen Schlauch am Apparat über dem Würfel zurecht, Kühlflüssigkeit spritzt auf den Bohrer. Ein paar Knopfdrucke später fräst sich der Metallstift fast geräuschlos durch den Würfel, hinterlässt eine Rille auf seiner Oberfläche.
Praxisunterricht in der Werkstatt des beruflichen Fortbildungszentrums der Bayerischen Wirtschaft (bfz) in Bamberg. Die elf Männer und eine Frau im Alter von Mitte 20 bis 40 üben an den großen grünen Maschinen Metallstücke zu drehen, zu fräsen und zu schleifen. Von montags bis mittwochs werkeln sie hier. Ein Teil der Arbeiten steht in einer Vitrine im Bürotrakt des Gebäudes, ein kleiner Roboter etwa oder eine Dampfmaschine. Donnerstags und freitags steht Theorie auf dem Stundenplan. Nach zwei Jahren wollen sie ihren Abschluss als Zerspanungsmechaniker in der Tasche haben. Die Maßnahme finanziert das Arbeitsamt. Alle Teilnehmer waren zu Beginn des Projekts arbeitslos oder wären es kurz darauf geworden. Zerspanungsmechaniker sind Metallarbeiter, die beispielsweise im Maschinen- oder Fahrzeugbau arbeiten. Viele der Maschinen, an denen sie ihre kleinen Teile bearbeiten, sind computergesteuert. Die Facharbeiter müssen oft mit einem Computerprogramm berechnen, wie sie das Metall bearbeiten wollen, bevor sie sich an die Maschinen begeben. Die Ausbildung dauert normalerweise drei Jahre, hier im bfz ist sie auf zwei komprimiert, inklusive neun Monate Praktika in Betrieben. Die Berufsaussichten sind gut, in der Umgebung gibt es viele Unternehmen, die händeringend gut ausgebildete Fachkräfte suchen.
Hillebrand und Just sehen einem Kollegen zu, wie er an der Drehmaschine übt. Der Lärm hält sich in Grenzen, finden sie, und so arg dreckig sei es auch nicht, sie tragen ja ihre Blaumänner. Hillebrand ist 26, ihr Kollege ein Jahr jünger. Beide haben noch keine abgeschlossene Berufsausbildung. Dabei sah es bei beiden gut aus. Hillebrand ging aufs Gymnasium, Just machte einen qualifizierten Hauptschulabschluss und begann eine Lehre als Elektroinstallateur. Und dann? Hillebrand lacht und sagt: "Ich bin nicht dumm, aber ich war zu faul." Sie habe zu spät angefangen zu lernen, sei durchgefallen. Danach habe sie die Fachoberschule besucht und Fachabitur nach der 12. Klasse gemacht. Um die 13. Jahrgangsstufe besuchen zu können, musste sie sich an einer anderen Schule bewerben. Als sie von dort eine Absage bekam, hat sie sich um eine Ausbildung bemüht -und erhielt eine Ablehnung nach der nächsten. Ein Arbeitgeber nannte ihr wenigstens den Grund. "Sie sind zu alt, hat er gesagt. Im gebär- und heiratsfähigen Alter. Als ob ich in meiner Situation nicht dran denken würde, die Familienplanung noch aufzuschieben", brummt Hillebrand und schüttelt verständnislos den Kopf.
Die kräftige junge Frau mit dem energischen Zug um den Mund und den zupackenden Händen nahm einen Aushilfsjob als Briefzustellerin an. Ihr Vertrag wurde so lange verlängert, bis die Post sie hätte fest einstellen müssen. Das wollte das Unternehmen nicht. In der Arbeitsagentur hörte sie von der Maßnahme des bfz, kämpfte dafür, sie besuchen zu dürfen. "Ich rechne und tüftele gerne, das habe ich schon als Kind mit Lego gemacht", nennt sie einen Grund. Wenn sie wolle, könne sie später mit ihrem Abschluss sogar die Universität besuchen. "Aber ein Ingenieurstudium würde noch mal vier bis fünf Jahre dauern, da gehe ich lieber erstmal arbeiten."
Auch Just freut sich auf eine abgeschlossene Ausbildung und die Chancen auf einen festen Job mit guter Bezahlung. Nach abgebrochener Elektroinstallateur-Ausbildung und anderthalb Jahren Dienst bei der Bundeswehr jobbte er bei Zeitarbeitsfirmen. Doch ohne abgeschlossene Ausbildung hatte er auch hier wenig Chancen. "Man kann nicht planen und man ist immer nur der Depp vom Dienst", so Just.
Just und Hillebrand gehören zu den "Härtefällen", Menschen, die keine Ausbildungsstelle mehr bekommen werden und meist als Hilfsarbeiter enden. Für junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren soll es in Bamberg, aber auch in anderen Orten Deutschlands, langfristig mehr als nur einzelne Umschulungsmaßnahmen wie die zum Zerspanungsmechaniker geben. Dafür haben sich an diesem Tag zwei Organisatorinnen des bfz mit zwei Wissenschaftlerinnen des Forschungsinstituts für Betriebliche Bildung aus Nürnberg (f-bb) abseits der Werkstatt, in einem der Besprechungsräume, zusammengesetzt. Der Name des Bamberger Projekts: "NANO - Nachqualifizierung Nordbayern". Der Rahmen: Das Bundesprogramm "Perspektive Berufsabschluss". Die Idee des bfz ist eine von 49 Initiativen, die der Bund über vier Jahre fördert. Das f-bb hat die wissenschaftliche Begleitung übernommen.
Das bfz Bamberg bietet seit 25 Jahren Berufsorientierung für Jugendliche, Umschulungen und Fortbildungen an. Es ist eines von 180 bfz-Schulungsorten in Bayern. Kontakte zu Firmen bestehen und natürlich auch zu den Arbeitsagenturen, die die meisten Projekte finanzieren. Gute Voraussetzungen für das Projekt, das die vier Frauen an diesem Tag besprechen. "Die Unternehmen beklagen sich über Fachkräfte- mangel und merken oft nicht, dass in ihren Angestellten ein großes Potenzial steckt", sagt Christiane Alter. Sie koordiniert "NANO", das zusätzlich aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert wird, seit dem 1. Mai für das bfz. Alter stimmt die Aktivitäten mit sieben weiteren Stand- orten ab.
Nein, eine konkrete Umschulung wie die von Sarah Hillebrand und Christian Just wird durch das Bundesprogramm nicht finanziert, sagt Alter. Ansätze, wie ungelernte Arbeiter mit so genannten Modulen, also Ausbildungsblöcken, so fortgebildet werden, dass sie nicht nur schwierigere Aufgaben im Betrieb übernehmen können, sondern auch schrittweise einen Abschluss erlangen, gibt es schon seit gut zehn Jahren. Jetzt sollen sie breitenwirksam etabliert werden - in einem Netzwerk, das auch nach dem Auslaufen der Förderperiode weiterbesteht. "In unserem Projekt wollen wir alle Beteiligten zusammenbringen, um genau zu gucken, was die Betriebe brauchen, welcher Bildungsträger welche Maßnahmen anbieten kann und wer die Fortbildungen finanziert", sagt Alter.
"Wir brauchen mehr Öffentlichkeitsarbeit, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass genug Facharbeiterpotenzial vorhanden ist und um Wege aufzuzeigen, wie man dieses nutzbar machen kann", nennt Dominique Dauser vom f-bb, ein Problem. Zum einen müssten die Unternehmen das Potenzial ihrer Hilfsarbeiter erkennen. "Das sind ja keine unbeschriebenen Blätter, die sind ja schon seit Jahren im Unternehmen." Außerdem seien die Möglichkeiten, finanzielle Hilfe vom Staat zu bekommen, meist nicht bekannt genug. "Die Zertifizierung der einzelnen Module sowie die spätere Zulassung zur Externenprüfung müssen erleichtert werden, die Bildungsträger müssen sich mit ihren Qualifizierungsangeboten abstimmen und wir müssen eventuell Sprachkurse für Migranten ergänzen", zählen Alter und Dauser einige Aufgaben für die nächsten Jahre auf. Die ersten Briefe an die möglichen Kooperationspartner sind hinausgeschickt, im November wird es eine offizielle Auftaktveranstaltung geben. Danach aber, da fängt die Arbeit erst richtig an.
Die Autorin ist Volontärin von "Das Parlament".