STAATSANGEHÖRIGKEIT
SPD und Opposition laufen Sturm gegen Fragebogen
Sie stammen aus Westafrika, der Türkei, aus Pakistan und Südamerika. Und sie haben ein gemeinsames Ziel: Noch einmal auf die Schulbank und lernen für die deutsche Staatsangehörigkeit. Das multikulturelle Grüppchen, das sich Anfang September in der Berliner Volkshochschule zusammenfand, gehört als Pilotprojekt zu den ersten, die per VHS-Kurs auf den Einbürgerungstest und den in der Koalition heftig umstrittenen Fragebogen vorbereitet werden. Zahlreiche SPD-Politiker, angeführt vom Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy, werfen dem Innenministerium vor, bei der Erstellung des Fragebogens unprofessionell gearbeitet zu haben.
Der Fragebogen ist seit dem 1. September bei Einbürgerungen Pflicht. Wie das Innenministerium in Berlin mitteilt, wird von jedem, der eingebürgert werden will, die Teilnahme an dem Test verlangt. Insgesamt wurden 300 bundesweit geltende Fragen vorbereitet. 33 Fragen werden jedem Einbürgerungswilligen vorgelegt. Dann hat der Kandidat eine Stunde Zeit, den Fragebogen zu beantworten. 17 Antworten müssen richtig sein. Aber nicht jeder Einbürgerungswillige muss an dem Test teilnehmen. Wer mindestens einen deutschen Hauptschulabschluss vorweisen kann, ist befreit. Befreit sind auch alle, die unter 16 Jahre alt oder krank, behindert oder durch Alter beeinträchtigt sind.
Das erste Treffen der ersten 20 Prüflinge im Berliner Stadtteil Neukölln erinnerte an eine Einschulung, nur dass diesmal die Eltern nicht die Kinder zur Schule brachten, sondern die Kinder mit zur Volkshochschule kamen. Eine Südamerikanerin erzählt, man könne sich auf den Fragebogen, der überwiegend politische Themen wie Staatsaufbau oder staatliche Symbole behandelt, auch im Internet vorbereiten. Eigentlich könne man den Test auch ohne den Kurs bestehen, sagt die Südamerikanerin in gutem Deutsch. Das gilt aber nicht für alle Interessenten. Die Volkshochschule will keinen reinen Pauklehrgang anbieten und den Katalog von insgesamt 300 Fragen abarbeiten, "sondern wir vermitteln Grundwissen", sagt Michael Weiß, der den VHS-Kurs konzipiert hat.
Im Berliner Innenministerium ist man sicher, dass der Fragebogen zu schaffen ist: "Wer bereits an einem Integrationskurs teilgenommen hat und auf das dort im Integrationskurs erworbene Wissen und seine gewachsene Vertrautheit mit den Lebensverhältnissen in Deutschland setzen kann, braucht keine Scheu vor dem Einbürgerungstest zu haben", heißt es im Ministerium von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Auch die Berliner Kursleiterin Petra Voss sagt: "Die Teilnehmer haben erstaunlich viel Vorwissen. Ich bin sicher, dass alle den Test schaffen können." Daher wird bei der VHS überlegt, in Zukunft nicht nur einen Vorbereitungskurs über 60 Stunden, sondern auch einen Crash-Kurs mit nur 20 Stunden für Menschen mit besseren politischen Kenntnissen anzubieten.
Ergebnisse liegen naturgemäß noch nicht vor. Die Volkshochschulen, die bundesweit Vorbereitungskurse anbieten und auch die Prüfungen abnehmen werden, sind noch bei der Planung. Mit den ersten Prüfungen wird ab dem 20. September gerechnet. Wie hoch der Andrang sein wird, ist schwer abzuschätzen. Im bayerischen Innenministerium ist von ein paar Hundert Tests im Monat die Rede. Bundesweit gab es 2006 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 125.000 Einbürgerungen. Davon war ein Viertel Türken.
Obwohl noch kein Test geschrieben ist, verlangt der SPD-Politiker Edathy Veränderungen an dem Fragebogen. In einem Brief an Schäuble wies Edathy auf 72 problematische Fragen und Antworten hin. Teilweise seien Fragen und Antworten missverständlich und mehrdeutig, teilweise auch überflüssig: "Dass nicht das Jugendamt Kindergeld auszahlt, muss man nicht wissen", sagt Edathy. Schäuble weigerte sich, noch Änderungen vorzunehmen: "Der von allen Beteiligten gewünschte Start des bundeseinheitlichen Einbürgerungstests sollte nicht von letztendlich akademischem Streit über Formulierungen in einzelnen Testfragen beeinträchtigt werden."
Edathy hält die Antwort des Ministers für "absolut unbefriedigend". Schäuble habe nur die Aussicht eröffnet, dass man in ein oder zwei Jahren zu einer Überprüfung kommen könne, "was ich angesichts der objektiven eklatanten Mängel nicht nachvollziehen kann. Ich habe den Eindruck, dass ein erhebliches Maß an Uneinsichtigkeit im deutschen Innenministerium vorhanden zu sein scheint, für das ich kein Verständnis habe", so Edathy zu dieser Zeitung. "Der Test ist qualitativ ausgesprochen dürftig, und ich wundere mich schon, warum ein so schlampig gestalteter Text von einem deutschen Ministerium durchgewunken worden ist."
Edathy steht mit seiner Kritik nicht allein. Der Grünen-Innenexperte Josef Winkler kam auf 61 problematische Fragen. "Der Test ist Ausdruck des Misstrauens und des Willens zur Abschreckung gegenüber einbürgerungswilligen Personen", so Winkler. "Ob Fragen nach dem Rosenmontag oder den Abendgymnasien geeignet sind, zu erkennen, ob die Voraussetzung für eine Einbürgerung vorliegen, darf bezweifelt werden", so die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz. Jede Diskussion über den Schwierigkeitsgrad einzelner Fragen hält die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, für müßig: "Es geht nicht um einzelne Fragen, sondern darum, wie demokratisch unser Einbürgerungsrecht sein soll." Der Test werde zu weniger Einbürgerungen führen.
Abschaffen will Edathy den Fragebogen nicht: "Der Test hat einen wesentlichen Vorzug, da er zu einem bundesweit einheitlichen Einbürgerungsverfahren beiträgt." Vor zwei Jahren hätten Länder wie Hessen und Baden-Württemberg "Gesinnungsfragen" stellen wollen. Das halte er nicht für hinnehmbar.
Der Test müsse die Funktion haben, ein grobes Orientierungswissen bezüglich Geschichte, Kultur und demokratischer Struktur in Deutschland abzufragen. Das sei nicht der Fall. Stattdessen werde gefragt, "wo ich meinen Hund anmelden muss". Daher verlangt Edathy von Innenminister Schäuble, den Test kurzfristig zu verändern.
Der Kleinkrieg in der Koalition wird also fortgesetzt.