Ich bin Journalist und ergreife weder Partei noch weiß ich, wer siegen wird. John McCain hat jedoch gute Chancen. Das Land ist zwar enttäuscht von Bush und den Republikanern, aber Präsidentenwahlen folgen eigenen Gesetzen. Der Präsident regiert das Land nicht nur - er verkörpert es. Die Wähler erwarten "Charakter" und "Urteilskraft". McCains Ruf als Kriegsheld und unabhängiger republikanischer Senator begünstigt ihn im Vergleich mit Barack Obamas geringer Erfahrung und linker Ideologie. Das wäre auch so, wenn Obama keine dunkle Hautfarbe hätte und nicht Hussein mit zweitem Vornamen hieße. Präsident wird nicht, wer landesweit die meisten Stimmen erhält. In den 50 Staaten (plus Washington D.C.) wird getrennt ausgezählt, der Sieger bekommt alle Wahlmänner dieses Staates. Präsident wird, wer mindestens 270 der 538 Wahlmänner gewinnt. Obama wird in den Industrieregionen im Nordosten, an den Großen Seen, in Kalifornien und im Nordwesten hoch führen, weil es dort viele Liberale, Schwarze und andere Minderheiten gibt. Die kleineren Staaten im Süden und Mittleren Westen sind kulturell konservativ und wählen verlässlich Republikaner. McCain wird sie ebenso gewinnen wie Bush 2004.
Bleiben die "Swing states" Ohio, Florida, Nevada und New Mexico mit zusammen 57 Wahlmännern. Wenn McCain Ohio (20) und Florida (27) gewinnt wie Bush 2004 - laut Umfragen liegt er nahe daran -, braucht er nur noch Nevada (5) oder New Mexico (5), um über die 270 zu kommen. Obama kann dank begeisterter Jungwähler und Schwarzer überwältigende Mehrheiten in New York, Illinois und Kalifornien erzielen. Siegt McCain aber knapp in Ohio, Florida und Nevada, wird er Präsident -auch wenn landesweit mehr Bürger Obama wählten. Wir hatten schon mehrere solche "Minderheitspräsidenten", darunter Bush im Jahr 2000.