US-POLITIK
Joe Kleins Lamento über stromlinienförmige Präsidenten und Wahlkampfregisseure
Das "Ende der Geschichte" hatte Anfang der Neunziger der Politologe Francis Fukuyama ausgerufen. Danach gab es weitere Abgesänge auf diverse Konzepte, darunter die Globalisierung oder die Anonymität. Nun also steht das "Ende der Politik" bevor, wie uns der Titel des Buches des amerikanischen Journalisten Joe Klein Glauben machen will. Wobei Klein im Original mit dem Titel "Politics Lost" dem politischen Betrieb eher eine Orientierungskrise attestiert als ein bevorstehendes Ende. Kleins eigentliche These ist dagegen in Untertitel gut zusammengefasst: "Wie Meinugsforscher und Wahlkampfstrategen die Demokratie ruinieren." Wie tun sie das laut Klein, der durch den anonym veröffentlichten Schlüsselroman "Mit aller Macht" bekannt wurde und der seit Jahrzehnten zum Insiderinventar von Washington gehört?
Meinungsforscher, so Klein, raubten mit ihren Umfragen und den daraus resultierenden Erkenntnissen, von vorne bis hinten durchgetesten Reden und inszenierten Auftritten der Demokratie und dem öffentlichen Leben ihre Vitalität. Politik werde durch Berater "allzu vorsichtig, zynisch, mechanisch und farblos". Politiker verlören dadurch ihre Authentizität - wenn sie denn überhaupt jemals authentisch gewesen sein sollten. So merzten Strategen die "leidenschaftlichen Wurzeln" des Demokraten Jimmy Carter aus, war Ronald Reagan, eigentlich ein Mann mit Gespür für die Bedürfnisse seines Publikums, seinen Wahlkampfregisseuren ausgeliefert und so wurde Al Gore verboten, die Umwelt zum Thema seines Wahlkampfes zu machen.
"Rübentag" ist eines der Schlüsselworte Kleins. Der demokratische Präsident Harry Truman hatte 1948 in einer Rede eine Bauernweisheit zitiert, die ihm jeder Berater aus seiner Ansprache gestrichen hätte, weil sie hinterwäldlerisch gewirkt hätte. Doch ein vorbereitetes Manuskript gab es nicht, und damit rutschte auch der "Rübentag" durch. Der Journalist Klein wünscht sich mehr solcher Momente. Politiker bräuchten vor allem "Stärke, Originalität und gelebte Menschlichkeit". Stattdessen regiere die Tyrannei der Zahlen.
Das ist zwar ein wenig pathetisch formuliert, aber für jeden aufmerksamen, politisch denkenden Staatsbürger eine aufgrund eigener Erfahrung nachvollziehbare Kritik. Man sehnt sich nach unverbrauchten Gesichtern und Formulierungen. Der Instinkt-Politiker Bill Clinton sei ein "Mensch gewordener Rübentag gewesen", schreibt Klein. Und auch George W. Bush, dessen zweimalige Wahl die meisten Europäer verwundert hat, sei durch menschliche Fehler vielen Wählern näher gewesen als etwa ein distanzierter John Kerry.
Um seine im Text immer wiederkehrende Botschaft auf über 300 Seiten zu strecken, erzählt Klein viel über einzelne Kampagnen von Präsidentschaftskandidaten und plaudert aus dem Nähkästchen der Beraterzunft. Für deutsche Leser ist das alles aber ein wenig zu detailliert geschildert. Kleins höchst subjektiver Blick auf die Präsidenten seit Carter und die Beschreibung des Weges zur "permanenten Kampagne" ist dennoch trotz einiger Längen relevant, weil sie deutschen Lesern die amerikanische Perspektive auf ihre Präsidenten recht nahe bringt.
Aha-Momente gibt es in diesem Buch trotzdem eher am Rande. So fegte der Demokrat Lyndon B. Johnson seinen republikanischen Konkurrenten Barry Goldwater 1964 mit einem einzigen Fernsehspot aus dem Rennen ins Weiße Haus. In dem Film zupft ein kleines Mädchen die Blütenblätter einer Margerite ab, woran sich ein Countdown für eine Nuklearexplosion anschließt. Ohne Goldwater beim Namen zu nennen, hatte Johnson ihn der Kriegslüsternheit verdächtigt - und gewonnen. Der Spot begründete einen Mythos und sichert seither Beratern einen Platz gleich neben dem Kandidaten.
Vom Ende der Politik.
Propyläen Verlag, Berlin 2008; 335 S., 22,90 ¤