US-Präsidenten
Ronald D. Gerste erzählt die Geschichte der Wahlen seit George Washington bis heute
Mein Land, in all seiner Weisheit, hat das unwichtigste Amt geschaffen, das der Mensch je hat erfinden oder in seiner Phantasie hat erdenken können." Dieses vernichtende Urteil mag so gar nicht passen zur aktuellen und hitzigen Kontroverse über die Nominierung von Sarah Palin für das Amt des Vizepräsidenten durch den republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain. Und wahrscheinlich würde John Adams - zweiter Präsident der Vereinigten Staaten und acht Jahre lang Vizepräsident unter seinem Vorgänger George Washington - diesen Satz heute so auch nicht mehr formilieren. Denn die Nummer Zwei ist im wahrsten Sinne des Wortes "nur einen Herzschlag von der Präsidentschaft weg", wie Ronald D. Gerste in seinem "Duell ums Weiße Haus" zu erzählen weiß.
Mit dem Tod von Präsident William H. Harrison im Jahr 1840 setzte der präsidiale Herzschlag zum ersten Mal aus und beförderte dessen Stellvertreter John Tyler auf den Präsidentenstuhl. Nicht selten war es jedoch kein gewöhnlicher Sterbefall, sondern eine Kugel, die den Vizepräsidenten zur Nummer Eins im Staate machte: Mit Abraham Lincoln, James Garfield, William McKinley und John F. Kennedy wurden vier der 43 US-Präsidenten ermordet. Präsident Gerald Ford entging gleich zwei Attentatsversuchen und beim Anschlag auf Ronald Reagan vefehlte die Kugel sein Herz nur um wenige Zentimeter.
Ronald D. Gerste ist etwas gelungen, was nur wenigen Autoren vergönnt ist: ein politisches Fachbuch zu schreiben, das der Laie nicht schon nach wenigen Seiten gelangweilt oder schlicht überfordert zur Seite legt. Mit seiner Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftswahlen seit George Washington gelingt ihm der Balance-Akt zwischen handfester Information und unterhaltender Lektüre. Die Fähigkeit zur stilistisch guten und verständlichen Schreibe ist zum einen sicherlich seiner Tätgkeit als Journalist - er berichtet aus den USA für die "Neue Zürcher Zeitung", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Die Zeit" - geschuldet. Vielleicht haben auf den in der Nähe von Washington DC. lebenden promovierten Historiker aber auch die amerikanischen Verhältnisse abgefärbt. Denn dort haben selbst angesehene Wissenschaftler keine Scheu, sich in die vermeintlichen Niederungen der Populärwissenschaft zu begeben.
Seine Darstellung beginnt Gerste mit einem packenden Rückblick auf das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen George W. Bush und Al Gore sowie das Debakel bei der maschinellen und höchst umstrittenen Stimmenauszählungen in Florida. Zuletzt untersagte das Oberste Bundesgericht, mit fünf zu vier Stimmen eine erneute Auszählung der Stimmen und entschied die Wahl damit zugunsten von Bush. Zum vierten Mal in der Geschichte der USA zog somit ein Präsident ins Weiße Haus ein, der landesweit weniger Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte als sein Kontrahent - eine Folge des amerikanischen Wahlmännersystems.
"Die Wahl des Jahres 2000", so analysiert Gerste die damalige Stimmung in den USA und dem Rest der Welt, "erschütterte das Vertrauen vieler Amerikaner in ihr weltweit höchst eigentümliches Wahlsystem - ein System, das in vielen anderen Demokratien mit einer Mischung aus Amüsement und Unverständnis betrachtet wird." Trotz aller Diskussionen über eine mögliche Reform habe das Procedere der Präsidentenkür jedoch "insgesamt zu der bemerkenswerten verfassungsrechtlichen und politischen Stabilität der USA" mit beigetragen. Letztlich sei auch die Wahl von 2000 nur ein weiteres Kapitel in jener "Saga von oft dramatischen Duellen, von Weichenstellungen, die nicht nur die Geschicke des Landes, sondern auch jene der ganzen Welt dramatisch beeinflussten".
Im Zentrum von Gerstes Darstellung stehen die Präsidenten selbst, ihre Kontrahenten und die zeitgeschichtlichen Hintergründe der Wahlen. Die USA seien zwar "aus einer Rebellion gegen einen fernen König, gegen die priviligierte Aristokratie des Muterlandes England" geboren worden. Aber "bei allem Egalitarismus - ein Faible für große Namen haben sich die Amerikaner stets bewahrt". Und so seien es auch immer wieder die Familienclans mit hohem gesellschaftlichen Rang gewesen, die die Geschichte der Präsidentschaftwahlen prägten. Ein Unikum sei es jedoch, dass über 28 Jahre von 1980 bis 2008 gleich zwei Familiennamen die Kandidatenlisten so deutlich dominierten: Bush und Clinton.
Eingebettet in das chronologisch aufbereitete Buch finden sich kurze Kapitel, die die Besonderheiten und Eigentümlichkeiten des amerikanischen Wahlsystem erläutern - immer griffig an Beispielen erzählt: zu den "primaries" und "conventions", zu den "midterm elections" und zum "second term blues" oder den "swing states".
Zu wünschen bleibt letztlich nur, dass Gerste "am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November" - an diesem Tag wird seit 1845 der Präsident gewählt - beginnt, sein Buch um das neueste spannende Kapitel der Präsidentschaftswahlen zu erweitern.
Ronald D. Gerste:
Duell ums Weiße Haus.
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008; 226 S., 19,90 ¤