DARFUR
Bis zu 4,5 Millionen Menschen wurden bisher aus ihrer Heimat vertrieben - Reportage aus einer geschundenen Region
Fatima wohnt in einer Hütte aus Dornen. Sie hat diese am gewölbten Dach angebracht, die niedrige Tür aus Stroh ist mit Stacheln bespickt. Die Dornen sollen sie schützen - vor Räubern, Vergewaltigern, Rebellen. Auch um ihr Zuhause hat Fatima in einem Radius von zwei Metern Dornenbüsche aufgestellt. "Ich habe noch immer Angst", sagt sie, "fast jede Nacht wache ich auf und denke, die Mörder kommen zurück." Dass die vertrockneten Dornensträucher sie vor bewaffneten Milizen schützen können, ist wohl nur eine Illusion, aber sie hilft Fatima, ein wenig Ruhe zu finden.
Fatima lebt seit zwei Jahren im Flüchtlingslager Gaga. Es ist eines von zwölf Lagern im Osten des Tschad entlang der Grenze zur sudanesischen Provinz Darfur. In Gaga leben rund 20.000 der bis zu 400.000 Flüchtlinge aus Darfur, die sich in dem Gebiet aufhalten sollen. Am Rande der staubigen Wege, die durch das Labyrinth geduckter Hütten in Gaga führen, liegen Kadaver - zumeist sind es tote Esel, die dort verwesen, die Beine steif in den Himmel gereckt. Kinder spielen zwischen den toten Leibern mit einem dürren Grasbüschel Fußball. Die Kinder aus Darfur sind den Anblick des Todes gewöhnt, sie sind damit aufgewachsen.
Fatimas Mann ist tot, ermordet in Darfur. "Als es dunkel war, kamen die Reitermilizen in unser Dorf", erzählt Fatima. "Unsere Männer mussten mit ihnen gehen und kamen nicht mehr zurück. Sie haben sie getötet. Auch viele Frauen und einige Kinder haben sie umgebracht. Wir wussten nicht wohin, wir sind einfach immer weiter gegangen. Bis wir hier ankamen. Wie durch ein Wunder haben alle meine Kinder überlebt. Aber immer, wenn es dunkel wird, sehe ich sie zurückkommen."
Die Reitermilizen, Dschandschawid genannt, die in Fatimas Dorf kamen, sind eine von zahlreichen Gruppen, die Darfur unsicher machen. Im Jahr 2003 begannen die Kämpfe zwischen schwarzafrikanischen Bauern und arabischen Nomaden. Doch im Prinzip kämpft in Darfur heute jeder gegen jeden. Banditentum ohne jegliche ideologische oder parteiliche Anbindung ist weit verbreitet. In vielen Teilen der Region herrscht Anarchie. Das Morden und die Rechtlosigkeit haben riesige Flüchtlingsbewegungen ausgelöst, die bis jetzt anhalten. Bisher wurden Schätzungen zufolge bis zu 4,5 Millionen Menschen vertrieben. Mehr als eine Million Binnenflüchtlinge, so genannte Internally Displaced People oder IDPs, leben nach UN-Schätzungen innerhalb der Provinz Darfur. Viele fliehen aus der Krisenregion in Richtung Osten - in andere Teile des Sudan. Zuverlässige Zahlen dazu, wie viele IDPs dort umherziehen, gibt es nicht.
Andere Flüchtlinge aus Darfur versuchen, den Verfolgungen zu entgehen, indem sie in Richtung Westen fliehen und dabei in das Nachbarland Tschad gelangen, so wie Fatima. Vielen Flüchtlingen aus Darfur, erzählt sie, fehle jedes Gefühl für Orientierung. In Darfur und den umliegenden Gebieten gibt es wenige natürliche Grenzen wie Flüsse, Berge oder Wälder. Fatima wusste nicht, dass sie nicht mehr in Dafur war, als sie auf tschadischem Territorium weiterflohen. Jetzt ist sie allein und kämpft im Lager ums Überleben - um ihr eigenes und das ihrer sieben Kinder. Fatima hat kräftige Arme, ihren hochgewachsenen Körper umhüllt sie mit einem hellblauen Schleier. Sie betet zu Allah, fünfmal am Tag in Richtung Osten. So solle es sein, sagt sie, denn sie will die Regeln des Islam befolgen. Sie betete selbst auf der Flucht. Ihren Glauben teilt Fatima mit den Häschern, die hinter ihr und all den anderen her sind. Es geht nicht um Religion in diesem Konflikt, dem schon Hunderttausende zum Opfer gefallen sind.
Ihre Hütte hat Fatima selbst errichtet, ein niedriger Bau, in dem sie kaum aufrecht stehen kann: das Dach aus Stroh, die Wände aus Plastikmüll und Tierhäuten. Kaum ein Lichtstrahl fällt in das Dunkel des Inneren, in dem sich nur eine Schlafstatt aus Fellen befindet.
Das Lager wird von Mitarbeitern des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, UNHCR, überwacht. Die sollten eigentlich für den Schutz der Bewohner sorgen. Doch sie können sich nicht einmal selber schützen. Auf einem kleinen knatterigen Moped fährt einer der UN-Mitarbeiter an Fatimas Hütte vorbei und hält an. Immer wieder, so berichtet der UN-Mitarbeiter, würde das Lager von Rebellen angegriffen, Nahrungsmittel oder sogar Fahrzeuge würden geraubt. Ein anderes Problem sei, dass Rebellen das Lager auch zur Rekrutierung von Nachwuchs nutzten. "Die traurige Wahrheit ist", sagt er resigniert, "dass wir hier die Kämpfer von morgen haben, die nach Darfur gehen und sich dort rächen wollen." Seit 2006 habe die UN immer wieder gedroht, ihre Hilfe im Tschad einzustellen, sollte die Infiltrierung durch Rebellen und das Anheuern von Nachwuchs in den Lagern nicht aufhören. "Geändert hat sich nichts", sagt der Mitarbeiter. Für die Flüchtlinge in dem Lager geht damit der Alptraum weiter, der vor Jahren in Darfur begann.
Viele der Menschen in dem Lager gehören zum Stamm der Fur. Nach ihnen ist das Land im Westen des Sudan benannt - "Darfur" bedeutet "Land der Fur". Seit Jahrhunderten leben die Fur als sesshafte Bauern in der Region. Konflikte gibt es, solange die Menschen dort zurückdenken können. Ähnlich wie im Südsudan ist es eine Rivalität zwischen sesshaften Schwarzafrikanern und arabischen Stämmen, die in Dafur als Nomaden umherziehen. Jahrhundertelang gelang es Afrikanern und Arabern trotz Konflikten, nebeneinander leben zu können. Fehden wurden lokal ausgetragen, nach uralten Stammesgesetzen. Als moderne Waffen nach Darfur gelangten, eskalierte die Situation.
Das sudanesische Regime soll nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) den Genozid an den Menschen in Darfur geplant haben und unterstützt die Dschandschawid bei ihren Morden und Plünderungen. Was in Darfur geschehe, werde aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum mehr als 1.000 Kilometer weiter östlich gelenkt, so HRW.
Khartum ist die erste Anlaufstelle für Hilfsorganisationen, die im Sudan tätig sind - so wie die Welthungerhilfe. Jörg Heinrich arbeitet für die deutsche Welthungerhilfe, die seit 2004 im Sudan tätig ist und dort nach eigenen Angaben mehr als 500.000 Menschen mit Lebensmitteln versorgt. Seit wenigen Wochen hat die Welthungerhilfe nun ihre Verteilung von Hilfsgütern eingestellt - weil die Sicherheitssituation sich dramatisch verschlechtert habe. "Wir können keinen Fuß vor die Tür setzen, ohne dass wir Gefahr laufen, überfallen zu werden", sagt Jörg Heinrich, für den Sudan zuständiger Programmmanager. "Die humanitäre Situation ist in letzter Zeit wieder schlechter geworden", urteilt er, "weite Gebiete sind wegen der ständigen Bedrohung für uns nicht mehr erreichbar."
Dabei sollte gerade jetzt die Arbeit der Hilfsorganisationen einfacher werden. Denn seit Juli 2007 wird die so genannte Darfur Mission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, UNAMID, im Sudan aufgebaut. Das Mandat ist auf bis zu 20.000 Soldaten ausgelegt, die vor allem Zivilisten und humanitäre Operationen wie die der Welthungerhilfe schützen sollen. "Doch UNAMID ist mit ihren Mitteln noch nicht in der Lage, die Situation zu kontrollieren, die sind für so etwas bisher nicht ausgerüstet", sagt Jörg Heinrich. Die Vereinten Nationen haben die Situation in Darfur seit Jahren wiederholt als die "schwerste humanitäre Krise der Welt" bezeichnet. Gebessert hat sich die Lage bis jetzt nicht. Daran habe auch UNAMID seit Mitte 2007 nichts ändern können, sagt Jörg Heinrich.
Die UNAMID ist mit Stellungnahmen zu den Rahmenbedingungen, unter denen sie operieren muss, zurückhaltend. Es herrscht Nachrichtensperre. "Denn", so sagt ein anonymer Mitarbeiter der UNAMID, "das Regime in Khartum reagiert auf Kritik schnell mit Ausweisung." Zwar sind die UN mit ihren großen, weißen Wagen und der deutlichen UN-Bemalung in Khartum allgegenwärtig, doch von voller Einsatzbereitschaft sind sie offenbar weit entfernt. "Wir retten Menschen das Leben", sagt der UNAMID-Mitarbeiter, "es könnten nur viel mehr sein, wenn wir mehr Mittel hätten und noch mehr politischer Druck da wäre."
Auf der tschadischen Seite der Grenze zu Darfur, ein paar Autostunden westlich von Gaga, flattert weithin sichtbar eine Europaflagge im Wind. Hier in Abeche liegt die Operationsbasis der Eufor im Osten des Tschad.
Seit Mitte 2008 ist eine Eufor-Truppe entlang der Grenze zum Sudan stationiert, insgesamt 3.700 Soldaten, mit bedeutender französischer, irischer und polnischer Beteiligung. Die Stationierung der Eufor ist notwendig geworden, weil sich der bewaffnete Konflikt aus Darfur immer weiter über die Grenze in den Tschad verlagert.
"Die Kämpfe drohen das Dreiländereck Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik ins Chaos zu stürzen, ein Flächenbrand droht", sagt der französische Oberstleutnant Jean Axelos. Eine vorsichtige Umschreibung für einen Krieg, der schon in vollem Gange ist. Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir und Tschads Staatschef Idris Deby stehen sich verfeindet gegenüber. Ihre Rivalität tragen sie zunehmend über verschiedene Rebellengruppen aus, die im Territorium des jeweiligen Gegners operieren. Anfang 2008 kam es bereits einmal zur Eskalation, als Rebellen auf die Hauptstadt N'Djamena marschierten, um die Regierung des Tschad zu stürzen. Vieles spricht dafür, dass sie vom Regime in Khartum unterstützt wurden. Der tschadische Präsident scheint sich seinerseits zu rächen und fördert Milizen, die in Darfur gegen sudanesische Truppen kämpfen. Einmal mehr geraten die Menschen, die in dem Kampfgebiet leben zwischen die Fronten, sterben oder fliehen. So kommen jeden Tag neue Flüchtlinge aus Darfur in Gaga und den anderen Lagern entlang der Grenze an. In kleinen Gruppen nähern sie sich, die Frauen in bunte Schleier gehüllt, die Männer in der traditionellen Thoub, einem langen, weißen Gewand. Sie kommen meist vormittags, denn schon wenige Stunden später wimmelt es außerhalb der Lager von Milizen und Rebellen. Abends ist jeder Aufenthalt draußen lebensgefährlich. Ihren Kindern erzählt Fatima häufig von der Heimat. Denn die kleinsten, vier und fünf Jahre alt, kamen auf die Welt, kurz bevor Fatima fliehen musste. Sie haben keine Erinnerung an das Land, in dem ihr Stamm Jahrhunderte lebte. Aber wenn Fatima von dem Leben in ihrer Heimat berichtet, dann gibt es nur eines, was ihr einfällt: "Es hat immer nur Krieg gegeben", erinnert sie sich. Dennoch hat sie nach Jahren als Flüchtling nur einen Wunsch: "Mein Herz will zurückkehren."