Stellungnahme zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG |
Mai 2008 |
Mit dem Antrag (Drucksache Nr. 16/ 9070) „Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft – Die Bahnreform weiterentwickeln“ soll der Deutsche Bundestag eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG beschließen. Ich bin ausgesprochen skeptisch, ob diese Entscheidung wirklich den Kunden bzw. den Beschäftigten der DB AG langfristig helfen wird und neige deshalb dazu, den Beschluss nicht mit zu tragen. Ich war bereits 1993/94, als die Organisationsprivatisierung der Bahn beschlossen wurde, Verkehrspolitikerin. Damals war die SPD-Fraktion als Oppositionspartei bis ganz kurz vor der Entscheidung klar gegen die Privatisierung. Erst in der Woche vor der Abstimmung, als uns erklärt wurde, auch die Gewerkschaft (damals GdED) sei inzwischen dafür, weil es alle notwendigen Sicherheiten für die Arbeitnehmer gäbe, kippte die Meinung in der Fraktion – vor allem aufgrund der Überzeugungskraft unseres derzeitigen verkehrspolitischen Sprechers Klaus Daubertshäuser, der sich selbstverständlich die Berichterstattung in diesem wichtigen Thema selbst vorbehalten hatte. Wenige Monate nach dem Beschluss über die Organisationsprivatisierung der Bahn wechselte Klaus Daubertshäuser vom Parlament in den Vorstand der DB AG. Heute hängt für uns viel vom Verhalten der Transnet ab, die sich als einzige Gewerkschaft unter den DGB-Gewerkschaften ständig für die Teilprivatisierung eingesetzt hat. Norbert Hansen, Vorsitzender der Transnet bis unmittelbar vor der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages, ist jetzt bereits designierter Arbeitsdirektor der DB AG. Eine merkwürdige Ähnlichkeit von Personalstrukturen. 1994 hatte die Bahn 355.000 Mitarbeiter. Heute wird die Zahl der Mitarbeiter der DB AG mit 237.000 ausgewiesen. Laut Homepage der DB AG sind davon ca. 39.000 Beamte und ca. 55.000 Mitarbeiter im Ausland beschäftigt. Hauptländer sind dabei die USA und China. In Deutschland verbleiben also ca. 143.000 Mitarbeiter, denen unsere Sorgfalt bei Entscheidungen gelten sollte, für die Tarifverträge und Beschäftigungssicherungsvertrag Bedeutung haben. Für mich bleibt eine Reihe von Fragen bisher unbeantwortet. Vom Verfahren, das am Montag, den 26.05.08, eine dreistündige Anhörung von Experten vorsieht, die Auswertung aber den teilnehmenden Parlamentariern allein überlassen wird, weil schon am 29.05. der Beschluss im Bundestag gefasst werden soll, erwarte ich nicht unbedingt, dass meine Fragen überzeugend geklärt werden. Wenn dies nicht gelingt, sehe ich mich nicht in der Lage, dem Beschluss zuzustimmen. Dies gründet auch auf der Erfahrung, dass die Bahn, 1993/94 völlig entschuldet, inzwischen wieder 16,4 Mrd. Euro Schulden angesammelt hat und in Deutschland ca. 200.000 Arbeitnehmer weniger beschäftigt hat. Zu meinen skeptischen Fragen, die sich auf die Unterpunkte im Antrag beziehen: Zu Punkt 1 – Einfluss der Investoren: Es heißt dort, die Investoren bekämen „keinen unternehmensbestimmenden Einfluss auf den Kernbereich der Unternehmenspolitik der DB AG“. Die Unternehmenspolitik bestimmt im Wesentlichen der Vorstand der DB AG – wie vorher. Das Parlament oder die Regierung haben – wie zuvor – keinen Einfluss. Ob also die DB AG sich an Ausschreibungen beteiligt oder gerade nicht (wie vor kurzem in meinem Wahlkreis, wo entsprechend viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz trotz Beschäftigungssicherungsvertrag verloren haben – weil sie keinen neuen Arbeitsplatz in China haben wollten?), ob sie Tochterfirmen gründet, die ggf. mit untertariflich Beschäftigten an Ausschreibungen teilnimmt (wie derzeit gerade die „Heidekrautbahn“), darüber entscheidet nur der Vorstand der DB AG. Sollte ein Privatinvestor ein Mitglied seines Vertrauens im Vorstand haben, könnte er ggf. Einfluss nehmen. Zu Punkt 2 – Privatisierungsanteil von 24,9 %: Statt einer Festschreibung von 24,9 %, die allerdings auch per Gesetz oder neuem Beschluss jederzeit veränderbar gewesen wäre, heißt es jetzt nur noch, dass die DB AG die Aktienmehrheit an der neu zu gründenden Gesellschaft behält. Die CDU-Fraktion hat bereits angekündigt, dass der nächste Bundestag neu entscheiden solle und dass sie die 24,9 % als Einstieg in einen höheren Privatisierungsanteil ansieht. Wenn das so klar ist, müsste die SPD-Fraktion diese Türöffnung m. E. nicht selbst herstellen und als Erfolg ansehen. Zu Punkt 3 - Eisenbahninfrastruktur verbleibt beim Bund: Im Grundgesetz ist nur die Mehrheitsbeteiligung des Bundes an den EIU festgeschrieben. In diesem Rahmen ist jede Veränderung einfachgesetzlich möglich – jetzt und später. Zu Punkt 4 – Beteiligungsvertrag des Bundes mit der DB AG: Das Parlament soll diesem Vertrag mit diesem Beschluss quasi blanco zustimmen, denn es beschließt, dass der Beteiligungsvertrag, in dem immerhin die Daseinsvorsorgeverpflichtung des Bundes (Kosten und Leistung) geregelt wird, lediglich dem Haushaltsausschuss und dem Verkehrsausschuss vorgelegt wird: Vorlegen heißt „Kenntnisnahme ohne Einwirkungsmöglichkeit“. Ein Zustimmungsvorbehalt des Parlaments wird vom Bundesverkehrsminister abgelehnt. Daraufhin befragt, erklärte der Minister, dass die Verhandlungen zwischen seinem Ministerium und der DB AG schon schwer genug seien, da wolle er nicht noch einen Zustimmungsvorbehalt des Parlaments als zusätzliche Komplikation dazwischen haben. Mit „Blanco-Schecks“, zumal wenn sie das Verhältnis von Kosten und Leistung bezüglich der Daseinsvorsorgeverpflichtung des Bundes betreffen, sollten Parlamentarier vorsichtig sein … Zu Punkt 5 – Konzerninterner Arbeitsmarkt und Tarifvertrag: Die SPD-Fraktion empfindet sich als Retter des konzerninternen Arbeitsmarkts. Durch die Nichtbeteiligung der DB AG an der Ausschreibung einer Strecke in meinem Wahlkreis (Hamburg – Cuxhaven) haben viele Mitarbeiter der DB AG erfahren müssen, wie wenig Wert der konzerninterne Arbeitsmarkt wirklich für sie hatte. Bei der Stilllegung des Atomkraftwerks Stade hat der konzerninterne Arbeitsmarkt von Eon auch ohne Bundestag funktioniert, allerdings haben viele Beschäftigte lieber Angebote anderer Unternehmen aus der Region angenommen, weil sie ihren Lebensmittelpunkt und den ihrer Familie nicht aufgeben wollten. „Konzerninterner Arbeitsmarkt“ kann also mit und ohne Beschluss des Bundestages viele Facetten haben. Zum Tarifvertrag: ja, richtig, den können wir nur zur Kenntnis nehmen. Aber: Die Beschäftigungssicherung nach 2010 ist lediglich als Option enthalten. Diese Option gilt bis 2023. Nach 2010 soll unter Neubewertung der Erfahrungen mit der Teilprivatisierung neu verhandelt werden – so steht es im Tarifvertrag. Es heißt darin auch, dass es „Anpassungen an betriebliche Erfordernisse“ geben soll – das wären dann möglicherweise „Heidekrautbahnverhältnisse“? Ausgeschlossen werden z. B. auch „durch die Privatisierung ursächlich bedingte Beendigungskündigungen“: da ist es wirklich erheblich einfacher, sich schlicht an unerwünschten Strecken an Ausschreibungen nicht zu beteiligen. Wie soll jemals jemand nachweisen wollen, eine solche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wäre durch die Teilprivatisierung bedingt? So unklug kann man kaum denken, als dass eine privatisierungsbedingte Kündigung möglich wäre. Zu Punkt 6 – Verwendung des Veräußerungserlöses: Über den Veräußerungserlös kann derzeit nur spekuliert werden. Meistens ist dabei von ca. 6 Mrd. Euro die Rede – würde heißen, dass je 2 Mrd. entfallen auf den BMF, das BMVBS und die DB AG. Die 2 Mrd. € des BMVBS werden sicherlich in das „Zukunftsprogramm der Bahn“ gesteckt. Was damit alles finanziert werden soll, sehen Sie hier. Allerdings gibt es eine böse Erfahrung, die wir Verkehrspolitiker gemacht haben: Auch die LKW-Maut sollte ursprünglich zusätzlich zu den normalen Haushaltsmitteln in den Verkehrshaushalt fließen. Leider ist das nie erfolgt. Die „normalen“ Haushaltsmittel aus dem Verkehrsbereich wurden so zusammengekürzt, dass nur incl. der LKW-Mautmittel wieder etwa die alten Mittel erreicht wurden. Auch die eingenommenen Trassenpreise der Bahn, die immerhin im Jahr ca. 4,3 Mrd. € ausmachen, sind nie in die Schieneninfrastruktur in Deutschland investiert worden. Ob das Drittel der Einnahmeerlöse also tatsächlich zusätzlich zum Verkehrshaushalt ausschließlich für die Schiene eingesetzt wird, bleibt abzuwarten. Insbesondere ist dies sicher auch mit eine Entscheidung des zukünftigen Haushaltsgesetzgebers… Ob die DB AG ihr Drittel der Verkaufserlöse wirklich in die deutsche Schieneninfrastruktur investiert, ist eine „Erwartung“ des Parlaments, die mit keinerlei Gewissheit unterlegt ist. Wahrscheinlicher dürfte sein, dass dies Drittel dort hingeht, wo auch die Trassenpreiseinnahmen geblieben sind – weltweit in Beteiligungen und Aufkäufen des globalen Wettbewerbers DG AB. Die DB AG hat aufgrund von Vorstandsentscheidungen in den letzten Jahren weltweit (Kalifornien, Spanien, Holland, England u. a.) Unternehmen aufgekauft, in Deutschland aber lt. Bilanz 16,4 Mrd. € Schulden angesammelt. Wirklich interessant wird wohl erst, wie die neue Gesellschaft ihre Gewinne (ohne Gewinnabführungsvertrag) einsetzen wird und welche Renditeerwartungen die privaten Investoren mitbringen. Zu Punkt 7 – keine diskriminierenden Einflüsse auf die EIU Bei einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes an den Aktien der DB AG dürfte ein diskriminierender Einfluss ausgeschlossen sein. Wie sich allerdings spätere Mehrheitsverhältnisse auswirken könnten, falls einmal 49,9 % der Verkehrs- und Logistik Gesellschaft veräußert würden und zusätzlich ein zukünftiger Gesetzgeber beschließen würde, die laut Grundgesetz mögliche 49,9%ige Veräußerung der DB – Holding (incl. der Eisenbahninfrastrukturunternehmen) vorzunehmen, dann wären Konstellationen denkbar, die zumindest einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftspolitik der DB AG erlauben könnten. Zu Punkt 8 – Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) Die LuFV soll dem Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden – das stimmt zuversichtlich. Allerdings: Beschlossen wird, dass die LuFV „auf der Basis einer haushaltsgesetzlichen Ermächtigung“ erfolgen soll. Diese Formulierung lässt kritische Parlamentarier eher vermuten, dass die LuFV selbst sich dem Einfluss des Parlaments entzieht, weil das Parlament in Gestalt einer Ermächtigung (der Bundesregierung, die LuFV abzuschließen) als einen Punkt des Haushaltsgesetzes „beschließt“. Herr Mehdorn hat gegenüber dem Verkehrsausschuss mehrfach persönlich betont, wie wenig ihn der Abschluss der vorher üblichen „Finanzierungsvereinbarungen“ interessiert hat. Es bleibt zu hoffen, dass die zukünftige LuFV eine bessere Wirkung hat – dies zu beurteilen ist es allerdings viel zu früh. Interessant ist, dass die CDU-Fraktion immer betont hat, sie wolle zunächst eine Laufzeit der LuFV von einem Jahr abwarten, um im Lichte der Erfahrungen über die Teilprivatisierung zu beschließen. Auch die SPD-Fraktion hat bislang verlangt, dass sowohl die LuFV als auch ein Netzzustands- und Netzentwicklungsbericht vor einem Beschluss über die Teilprivatisierung vorliegen müssten. Für mich hat das immer noch seine Bedeutung. Auf den Netzzustandsbericht warten wir schon seit Jahren vergeblich. Zu Punkt 9 – Gesetzgebungskompetenz des Deutschen Bundestages Dass die Gesetzgebungskompetenz des Deutschen Bundestages unberührt bleibt, ist eine Tautologie. Selbstverständlich kann nicht einmal der Deutsche Bundestag in einem Antrag beschließen, dass seine Gesetzgebungskompetenz eingeschränkt wird. Die Gewaltenteilung ist eines der konstitutiven Elemente unserer Demokratie.
Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 26.05.2008 Meine kritische Haltung hat sich durch die letzte Anhörung im Bundestag zur Teilprivatisierung der Bahn (26. Mai 2008) nicht verändert. Die Sachverständigen konnten keine Einschätzung abgeben, ob – und wenn ja, wie – ein Einstieg ausländischer Investoren (zum Beispiel der russischen Staatsbahn) bei der Bahn gegebenenfalls verhindert werden könne. Deutlich wurde, dass Renditeerwartungen der Investoren dagegen sprechen, dass mehr Investitionen in die Infrastruktur erfolgen. Deutlich wurde ebenfalls, dass Investitionen der DB AG in die Schieneninfrastruktur aus Einnahmen/Eigenkapital nicht zu erwarten seien und vom Parlament eigens abgesichert werden müssten. Das wiederum ist unwahrscheinlich, weil es dem Ziel, „Eigenkapitalstärkung“ entgegenstünde. Über den Beteiligungsvertrag und die Doppelmandate im Vorstand entstünden erhebliche Haftungsrisiken für den Bund. Außerdem wäre absehbar, dass die Sicherung des konzerninternen Arbeitsmarktes zu einer weiteren Belastung des Bundes führen könnte: Freigesetzes Personal in den Verkehrskonzernen würde gegebenenfalls über die Eisenbahninfrastrukturunternehmen aufgefangen werden müssen. |