Die Sitzung am Donnerstag
Zum Auftakt der Plenarsitzung am 29. Januar 2009 gab die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), eine Regierungserklärung zum Kampf der Vereinten Nationen gegen Armut und Hunger bis 2015 ab (Millenniumsziele). Danach erörterten die Abgeordneten Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion zur sozialen Gerechtigkeit.
Im September des Jahres 2000 haben die Vereinten Nationen die
Millenniumserklärung verabschiedet. Eines der Hauptziele ist
dabei die Bekämpfung von extremer Armut und Hunger. Bis zum
Jahr 2015 soll der Anteil der Menschen, die weniger als einen
Dollar pro Tag zur Verfügung haben, ebenso halbiert werden wie
der Anteil der Menschen, die Hunger leiden.
Als "Kompass auf dem Weg durch die globalisierte Welt" bezeichnete die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) in ihrer Regierungserklärung die Millenniumsziele der Vereinten Nationen. In vielen Bereichen wie der Halbierung der Armut und dem Bemühen um verbesserte Gleichstellung von Männern und Frauen seien Fortschritte zu verzeichnen. Aber: "Die derzeitige weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise stellt eine große Gefahr für diese Ziele dar", sagte Wieczorek-Zeul.
Die Wirtschaftskrise könne sich zu einer humanitären
Katastrophe in Afrika ausweiten, so die Ministerin. "Die Wucht des
Systemversagens trifft die armen Länder am härtesten."
Daher sei es richtig, dass im Konjunkturpaket II auch Mittel
für die Entwicklungszusammenarbeit bereit gestelltwerden.
Damit wolle man auch das Infrastrukturpaket der Weltbank
unterstützen, was auch im Interesse Deutschlands sei. "Aus der
Krise kommen wir nur gemeinsam heraus", so Wieczorek-Zeul.
Die Regierungserklärung habe keinen Weg aus der Krise gewiesen, kritisierte Hellmut Königshaus (FDP). "Immer nur mehr Geld allein reicht nicht", so Königshaus, der sich auch dagegen aussprach, Mittel aus dem Konjunkturpaket für Weltbankprojekte auszugeben. "Das hilft weder den Entwicklungsländern und erst recht nicht dem Steuerzahler."
Christian Rupp (CDU/CSU) sieht es hingegen als "richtig" an, die
Weltbank bei ihren Infrastrukturprojekten zu unterstützen.
"Die deutsche Industrie profitiert sehr stark von
Weltbankaufträgen." Die Gelder für die
Entwicklungszusammenarbeit jetzt zurückzufahren, wäre
"ein schlimmes Eigentor", so Rupp.
Von einer "ernüchternden Bilanz des Erreichten" sprach Hüseyin-Kenan Aydin (Linksfraktion). Sowohl bei der Halbierung der Armut als auch der Reduzierung der Kindersterblichkeit laufe man dem Ziel hinterher.
"Begeistert" von der Politik der Ministerin zeigte sich Ludwig
Stiegler (SPD). Gerade jetzt sei es wichtig, Beharrlichkeit zu
beweisen. Kritik äußerte er an der FDP, die angesichts
der Krise in eine "Regression" verfallen sei.
Hart ins Gericht mit Ministerin Wieczorek-Zeul ging Ute Koczy (Bündnis 90/Die Grünen). Wenn die Bundesregierung auf europäischer Ebene für die Wiederaufnahme der Agrarsubventionen stimme und damit die Praxis des unfairen Handels zementiere, sei Wieczorek-Zeuls Kritik an den Subventionen unglaubwürdig. "Sie sitzen in dieser Regierung", wandte sich Koczy an die Ministerin und stellte fest: "So verkaufen sie die Menschen für dumm."
Den 13. Bericht der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik (
16/10038) überwies der Bundestag zur
Beratung in die Ausschüsse.
"Klaffende Gerechtigkeitslücken"
Im Anschluss debattieren die Abgeordneten über Sozialpolitik. Grundlage der Diskussion bildeten Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 16/11755) und der Fraktion Die Linke ( 16/11748).
Während die Grünen eine "klaffende
Gerechtigkeitslücken" als Folge der Politik der
Bundesregierung anprangern und die Einführung einer
existenzsichernden Kindergrundsicherung sowie von
Mindestlöhnen "ohne Falltüren und Schutzlöcher"
fordern, sieht der Antrag der Linksfraktion die Erhöhung der
Vermögensfreibeträge bei Hartz-IV-Empfängern
vor.
Maßnahmen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus standen im Mittelpunkt der folgenden Debatte. Dazu lag den Parlamentariern sowohl ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit dem Ziel, die Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten zu verfolgen ( 16/11735), als auch der Entwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Bekämpfung des Aufenthalts in terroristischen Ausbildungslagern ( 16/7958) vor.
Ein solcher Aufenthalt soll aus Sicht der Länderkammer unter
Strafe gestellt werden, da Personen, die eine Ausbildung in so
genannten "Terror-Camps" absolviert hätten, eine große
Gefahr für die innere Sicherheit darstellten, heißt es
in der Begründung zu dem Entwurf.
Deutschland stehe im Fokus des internationalen Terrorismus, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Aufgabe der Politik sei es, die Bürger zu schützen und dabei rechtsstaatliche Grundsätze zu bewahren. "Unser Gesetzentwurf gewährleistet beides“, so Zypries, die damit "Strafbarkeitslücken“ schließen will.
Strafbar sei demnach, wer sich in Terrorlagern ausbilden lässt
und den Vorsatz hat, mit diesen Kenntnissen einen Bombenanschlag zu
verüben, erläuterte die Ministerin. Dabei betrete man
"Neuland“. "Wir bewegen uns dabei im Vorfeld einer
Rechtsverletzung.“
Er könne keine Strafbarkeitslücken erkennen, sagte der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen: "Die Kofferbomber wurden schließlich auch ohne das neue Gesetz zu hohen Haftstrafen verurteilt.“ Van Essen warnte davon, eine "Symbolgesetzgebung“ zu machen. Der Nachweis der "Absicht“ sei nicht wirklich möglich.
Zudem sei zu erwarten, dass dieses „auf Kante genähte
Gesetz“ beim Bundesverfassungsgericht keinen Bestand habe.
"Ja – dieses Gesetz ist auf Kante genäht“,
räumte Jürgen Gehb (CDU) ein. Es sei jedoch falsch, "aus
Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen.“ Gehb kritisierte,
dass die Opposition "das Ende des Rechtsstaats" besinge.
Aus Sicht von Linksfraktion und Grünen soll mit dem Gesetz die Gesinnung bestraft werden. Ulla Jelpke (Die Linke): "Das Gesetz sorgt für den Abbau von Bürgerrechten.“
Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) konnte keine
Strafbarkeitslücken erkennen: "Wer Lücken füllen
will, die es gar nicht gibt, will etwas ganz anderes, nämlich
eine Strafe zwei Schritte vor der Tat.“ Dies sei eine Strafe
für Gesinnung, so Wieland.
Die seit mehr als 20 Jahre gängige Praxis der Prozessabsprachen bei Gerichtsurteilen soll gesetzlich geregelt werden. Einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ( 16/11736), der genau festlegt, unter welchen Bedingungen so genannte "Deals" zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft getroffen werden können, überwies der Bundestag zur weiteren Beratung in die Ausschüsse.
Laut Entwurf darf eine Verständigung nur in einer
öffentlichen Hauptverhandlung zustande kommen. Das Gericht
muss dies einschließlich von Vorgesprächen
protokollieren, um damit größtmögliche Transparenz
herzustellen. Der Bundesrat hat dazu einen eigenen Gesetzentwurf
vorgelegt (
16/4197), der ebenfalls in den Ausschüssen
weiterberaten wird. Er will klarstellen, dass Urteilsabsprachen zu
jedem Zeitpunkt nach der Eröffnung der Hauptverhandlung
getroffen werden können.
"Mauscheln muss ein Ende haben"
Das Mauscheln in den Hinterzimmern soll ein Ende haben, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Absprachen gebe es jedoch nur über dieHöhe einer Strafe, nicht über den Schuldspruch selbst. "Was seit 20 Jahren gängige Praxis ist, wird nun gesetzlich geregelt“, so Zypries.
Jörg van Essen (FDP) begrüßte die Regelung. Es sei
gut, dass "Korsettstangen“ in die Absprachepraxis eingezogen
werden. "Das Gesetz dient dem Vertrauen in den Rechtstaat“,
so van Essen. Über den Deal dürfe jedoch kein Druck auf
Gerichte ausgeübt werden, länger andauernde und
schwierige Verfahren nicht durchzuführen.
CDU-Rechtsexperte Jürgen Gehb legte Wert auf den Gebrauch der "richtigen Begrifflichkeiten“. „Es handelt sich um Verständigungen, nicht um Absprachen oder Deals“, sagte er. "Das Gesetz ist nötig“, stellte er weiter fest. Es müsse jedoch der Eindruck verhindert werden, dass bei der Verständigung der Versuch der Wahrheitsfindung auf der Strecke bleibe.
Peter Danckert (SPD) bekannte, "kein Freund der Regelung“ zu
sein. "Warum muss gesetzlich geregelt werden, was vorher auch so
ging?“, fragte er. Die Entstehung des Gesetzes nannte er
dennoch "beispielhaft".
Der Grünen-Politiker Jerzy Montag verwies auf den schlechten Zustand der Strafgerichtsbarkeit in Deutschland. "Der Deal ist die Antwort auf eine überforderte und hilflose Justiz“, sagte er. Die neue Regelung begrenze jedoch zumindest die Missstände.
„Der Deal muss nicht gesetzlich erlaubt, sondern gesetzlich
verboten werden“, sagte Wolfgang Neskovic von der
Linksfraktion. Das Strafgesetzbuch sei schließlich kein
Handelsgesetzbuch. Die Bundesjustizministerin kapituliere, in dem
Sie den „unwürdigen Handel von reichen Angeklagten mit
einer ärmlich ausgestatten Justiz“ per Gesetz erlaube,
anstatt die Justiz wehrhaft zu machen und ihr die notwendigen
Mittel zu verschaffen.
Weniger Bußgeld
Eine Verringerung der Bußgeldhöhe für das Fahren von Fahrzeugen ohne Plakette in Umweltzonen fordert die FDP-Fraktion in einem Antrag ( 16/10313), den der Bundestag in die Ausschüsse überwies. Das Bußgeld, so die Liberalen, solle von derzeit 40 Euro auf 20 Euro reduziert werden.
Auch solle es bei Fahrten in Umweltzonen keinen Punkt in der
Flensburger Verkehrssünderkartei mehr geben, da es sich aus
Sicht der FDP bei der Einfahrt in eine Umweltzone ohne Plakette
nicht um einen schweren Verkehrsverstoß handele, der einen
Punkteeintrag rechtfertigt.
Anerkennung von Regional- und
Minderheitensprachen
Der Bundestag beschloss ferner einen Antrag von CDU/CSU und SPD zu den Perspektiven der geschützten Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland ( 16/11773). Plattdeutsch, friesisch und sorbisch waren im Parlament zu hören. Der Antrag wurde mit den Stimmen von Union, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen.
Weitere Themen am Donnerstag
Insgesamt standen 28 Punkte am Donnerstag auf der Tagesordnung. Unter anderem berieten die Abgeordneten noch über eine bessere Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse ( 16/7109, 16/11732, 16/11418). Ein weiteres Thema war der Umgang mit V-Leuten in der NPD ( 16/9007, 16/11731).