Vor 125 Jahren wurde der Grundstein zum Reichstagsgebäude gelegt
Es war ein verregneter Montag, und es dominierten die Uniform- und Würdenträger. Abgeordnete waren nur wenige zum Berliner Königsplatz gekommen, um am 9. Juni 1884 mitzuerleben, wie der Grundstein für das neue Reichstagsgebäude gelegt wird. Das war vor 125 Jahren. Nach zehnjähriger Bauzeit bezogen die Abgeordneten im Dezember 1894 den neuen Reichstag.
Die Hauptrolle spielten alle drei Monarchen, die das deutsche
Kaiserreich seit der Gründung 1871 erlebt hat: Kaiser Wilhelm
I., sein Sohn und Nachfolger Friedrich III. und sein Enkel, der
spätere Wilhelm II. Überliefert ist, dass dem
87-jährigen Wilhelm beim traditionellen Hammerschlag das
Werkzeug zersprang. Ebenfalls dabei: Reichskanzler Fürst Otto
von Bismarck und viel Militär. Das Parlament war in die
Vorbereitungen gar nicht einbezogen gewesen.
80 Gäste haben damals jeweils die drei Hammerschläge ausgeführt. Nach den Majestäten und Bismarck kamen erst die Generalfeldmarschälle und andere wichtige Personen an die Reihe, ehe Reichstagspräsident Albert von Levetzow, ein Preuße von der Deutschkonservativen Partei (1827-1903), zum Zuge kam. Levetzow war zur feierlichen Zeremonie in der Uniform eines Landwehrmajors der Reserve erschienen.
Ihm folgten sein erster Stellvertreter,
Reichstagsvizepräsident Georg Arbogast von und zu
Franckenstein aus Bayern (1825-1890), der der katholischen
Zentrumspartei angehörte, und sein zweiter Stellvertreter,
Reichstagsvizepräsident Adolph Hoffmann von der
Deutsch-Freisinnigen Partei (1835-1899), dessen Wahlkreis das
thüringische Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt war.
Schon am nächsten Tag, dem 10. Juni 1884, tagte der Reichstag an seinem damaligen Domizil in der Leipziger Straße 4. Die feierliche Grundsteinlegung vom Vortag wurde laut Protokoll gar nicht mehr angesprochen.
Auch in der vorangegangenen Sitzung vom 15. Mai war Präsident
von Levetzow eher beiläufig auf das Ereignis eingegangen: "Es
kann, meine Herren, ein für mich im Augenblick nicht
absehbarer Zwischenfall eintreten, nämlich die
Grundsteinlegung für das Reichstagsgebäude. Der Termin
hierzu wird an allerhöchster Stelle bestimmt werden. Ich
weiß nicht, wann dazu Aussicht ist, nehme aber an, dass das
ganze Haus den dringenden Wunsch hat, dieser Feierlichkeit
beizuwohnen (das Protokoll vermerkt hier "Zustimmung auf allen
Seiten des Hauses") und würde, wenn zeitiger, vor der von mir
sonst beabsichtigten Wiedereinberufung des Reichstags der Termin
angesetzt werden sollte, selbstverständlich in aller
Schleunigkeit die Einladungen an die Herren ergehen lassen."
Schon kurz nach der Reichsgründung, im Frühjahr 1871, hatte das Parlament eine Reichstagsbaukommission ins Leben gerufen, die einen Bauplatz für einen repräsentativen Neubau suchen sollte. Der in Aussicht genommene Ort an der Ostseite des damaligen Königsplatzes war jedoch noch mit dem Palais des Grafen Athanasius Raczynski bebaut.
Raczynski (1788-1874) war ein polnischer Adeliger aus dem damals zu
Preußen gehörenden Posen und zugleich preußischer
Diplomat und Kunstsammler. Für den Bau einer Galerie hatte ihm
König Friedrich Wilhelm IV. ein Grundstück am
Königsplatz überlassen, auf dem er das "Palais Raczynski"
bauen ließ und darin ab 1844 seine Gemäldesammlung
ausstellte.
Ein erster Architektenwettbewerb von 1872, an dem sich 103 Architekten und Architektengemeinschaften beteiligt hatten, blieb folgenlos, weil Graf Raczynski nicht bereit war, sein Grundstück für den Reichstagsneubau zur Verfügung zu stellen. Eine Enteignung wäre schwierig gewesen, auch weil der Kaiser sie nicht wollte.
Als nach Raczynskis Tod 1874 Verhandlungen mit seinem Sohn
aufgenommen wurden, lehnte dieser einen Verkauf unter anderem mit
dem Hinweis darauf ab, dass das Gebäude zu einer kaum
auflösbaren Familienstiftung gehöre. Kaiser Wilhelm
versuchte daraufhin, das Interesse auf das entferntere
Grundstück der Kroll-Oper an der Westseite des
Königsplatzes zu lenken, das der Reichstag abgelehnt
hatte.
An Bismarck schrieb Wilhelm: "Es ist viel über den zu wählenden Bauplatz gesprochen, discutirt, geplant etc. worden, daß meiner Ansicht nach nur der Krollsche Platz zu wählen übrig bleibt, dem doch eigentlich nur der gefürchtete Schnupfen einiger kränklicher Députirter entgegenstehet, den man sich auf dem Wege vom Brandenburger Thor zum Parlaments Gebäude zuziehen könne, aber nicht muß, und dem man durch eine Droschke oder guten Paletot sehr gut begegnen kann, ganz abgesehen, daß jene Opponenten schwerlich die Vollendung des Baus noch erleben werden, und deren Fürsorge für später zu Verschnupfende doch sehr weit ginge, wenn man auf diese Fürsorge eingehen wollte!"
1877 war Raczynskis Sohn zu erneuten Verhandlungen bereit, ein Jahr später schloss er mit dem Reich einen vorläufigen Vertrag über eine formelle Enteignung des Palais durch den preußischen Staat. Die Entschädigung betrug etwas mehr als eine Million Mark. Im Dezember 1881 beschloss der Reichstag, das Baugelände zu erwerben, im Februar 1882 wurde ein neuer Architektenwettbewerb ausgeschrieben.
Der Sieger von 1872, Ludwig Bohnstedt aus Gotha (1822-1885),
beteiligte sich wieder, kam aber nicht zum Zug. Aus 189 anonym
eingereichten Entwürfen gingen die von Paul Wallot aus
Frankfurt am Main (1841-1912) und des Müncheners Friedrich von
Thiersch (1852-1921) als Sieger hervor. Da Wallot mehr Stimmen der
Jury auf sich vereinigen konnte, erhielt er den Auftrag.