Der FDP-Abgeordnete Volker Wissing wies auf Erklärungen von BaFin-Chef Jochen Sanio vor dem Ausschuss hin, wonach die HRE schon seit der Übernahme der irischen Depfa mit ihrem riskanten Modell der kurzfristigen Refinanzierung im Herbst 2007 ”in der Falle“ gesessen habe, die Bank ein Schneeballsystem gewesen sei und die Aufsichtsbehörde ohne Eingriffsmöglichkeiten nur ”daneben“ gestanden habe. Dazu sagte Steinbrück, gegenüber seinem Ressort habe sich Sanio derart nie geäußert. Wenn der BaFin-Präsident tatsächlich schon frühzeitig dieser Auffassung gewesen sein sollte, hätte er gegenüber dem Ministerium aktiv werden müssen, was aber unterblieben sei. Sanio beurteile die damalige Situation aus heutiger Sicht wohl anders als seinerzeit; bis Sommer 2008 habe er die HRE als solvente Bank angesehen, deren Liquidität nicht gefährdet sei.
Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen hielt dem Minister vor, sein Ressort sei von der BaFin schon im März 2008 unterrichtet worden, dass die Liquidität der HRE im Fall der Fälle nur für wenige Tage gesichert sei. Dazu sagte Steinbrück, selbst ein negativer Liquiditätssaldo sei kein Beleg für die Existenzgefährdung eines Instituts, wenn dessen Eigenkapitalausstattung entsprechend hoch sei. Die Situation bei der HRE habe sich jedenfalls nicht dramatisiert, sonst wäre die BaFin tätig geworden. Axel Troost von der Fraktion Die Linke kritisierte, von der bedrohlichen Lage bei der HRE habe man im Ministerium bis zum September 2008 ”keine Ahnung“ gehabt. Steinbrück konterte, mit Jörg Asmussen als Zeuge habe der Ausschuss am Mittwoch einen ”kompetenten Staatssekretär“ erlebt.
Der SPD-Politiker betonte, in der Phase der Zuspitzung der internationalen Finanzkrise, als man weltweit ”nur Millimeter vor dem Abgrund stand“, habe die Regierung unter großem Zeitdruck und auf der Basis zwangsläufig unvollständiger Informationen bei der Rettung der HRE als einer systemrelevanten Bank die ”richtigen Entscheidungen“ getroffen: ”Für diese Krise gab es kein Drehbuch.“ Der Zeuge bezeichnete Vorwürfe als ”absurd“, sein Ressort sei Ende September 2008 schlecht vorbereitet in das erste ”Rettungswochenende“ gegangen, als mit den Banken ein 35-Milliarden-Euro-Paket zur Stabilisierung der HRE vereinbart wurde. Steinbrück bezeichnete es als Erfolg der Strategie der Regierung, dass der Finanzsektor schließlich bereit war, 8,5 Milliarden Euro beizusteuern. Es sei richtig gewesen, dass sich Asmussen erst in die Schlussphase der Verhandlungen vor Ort eingeschaltet habe, da ein früheres Erscheinen für den Staat ”den Preis in die Höhe getrieben“ hätte. Aussagen von Bankenvertretern vor dem Ausschuss hätten bestätigt, dass die Regierung ”beinhart“ verhandelt habe.
Dem Ressortchef zufolge herrschten bei ihm und im Kanzleramt ”Entsetzen“, weil das damalige HRE-Management nicht in der Lage gewesen sei, die Liquiditätslage der eigenen Bank richtig einzuschätzen. Der Zeuge wies Vorhaltungen zurück, seine Äußerung von der ”geordneten Abwicklung“ der HRE am späten Montagnachmittag nach dem ”Rettungswochenende“ habe dazu beigetragen, den Liquiditätsbedarf der HRE, der schon nach wenigen Tagen um weitere 15 Milliarden Euro gestiegen war, zusätzlich zu erhöhen. Mit dieser These wolle sich die einstige HRE-Spitze der eigenen Verantwortung entledigen. Der Absturz der HRE-Aktien und die Rating-Abstufung des Instituts seien an jenem Montag schon vor seiner Aussage auf einer Pressekonferenz erfolgt. Steinbrück räumte allerdings ein, seine Wortwahl von der ”geordneten Abwicklung“ sei ”nicht glücklich“ gewesen. Er habe diese Formulierung auch schon am Dienstag korrigiert, schließlich sei es um die Rettung der HRE und nicht um deren Abwicklung gegangen.
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Saskia Leuenberger
Redaktion: Dr. Bernard Bode, Götz Hausding, Claudia Heine,
Sebastian Hille, Michael Klein, Hans-Jürgen Leersch, Johanna
Metz, Annette Sach, Helmut Stoltenberg, Alexander Weinlein