Berlin: (hib/JOH/LEU) Nach dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff auf einen von Taliban entführten Tanklastwagen in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kundus ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Sorge um die zivilen Helfer vor Ort. Ministerin Heidemarie Wiezcorek-Zeul (SPD) sagte am Dienstagabend im Entwicklungsausschuss des Bundestages, sie sei angesichts des Vorfalls vom 4. September, bei dem mindestens 56 Menschen, möglicherweise auch Zivilisten, starben, ”außerordentlich bedrückt“: ”Wir versuchen die Herzen der Afghanen zu gewinnen und hatten sie auch schon gewonnen.“ Doch ein solcher Vorfall wiege schwer. Sie forderte umfassende Aufklärung: ”Alle Tatsachen müssen auf den Tisch.“ Im Zuge des sogenannten ”Afghan Compact“, der das internationale Engagement in Afghanistan regelt, müssten die Schwerpunkte des Engagements in Afghanistan zudem noch einmal diskutiert werden. Es müsse einen Zeitplan geben, der vorsehe, wann afghanische Polizei- und Militärkräfte eigene Verantwortung für das Land übernehmen könnten. Die Ausbildung der Kräfte sei daher auch in Zukunft ein ”zentraler Punkt“ der Wiederaufbauarbeit. Vehement sprach sich die Ministerin dafür aus, Afghanistan in dieser schwierigen Situation nicht im Stich zu lassen und den zivilen Aufbau nicht zu gefährden.
Thomas Kossendey (CDU), der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, versprach in der Sitzung, dass der Vorfall weiter geprüft werde. Er warb aber auch um Verständnis für die schwierige Situation der Bundeswehr in Afghanistan. Die Lage habe sich in den vergangenen Wochen verschärft, betonte Kossendey, Anschläge und die Zahl der Selbstmordattentate mit Toten und Verletzten habe zugenommen. Der entführte Tanklastwagen habe sich in Richtung Kundus bewegt, weshalb größte Sorge bestand, dass mit dem Lkw ein Selbstmordanschlag verübt werden sollte. Die FDP-Fraktion forderte angesichts der schwierigen Situation des deutschen Kommandeurs, man müsse selbst dann hinter ihm stehen, wenn sich herausstelle, dass er Fehler gemacht habe.
Die SPD-Fraktion kritisierte indes die Reaktionen der Bundesregierung auf den Vorfall vom 4. September. Sie vermisste die nötige Sensibilität und eine Entschuldigung. Auch die Grünen warfen der Bundesregierung vor, die ohnehin schlimme Situation durch ”falsche Informationen und Vertuschung“ sogar noch verschlimmert zu haben. Die CDU/CSU-Fraktion entgegnete, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) habe sich sehr wohl ”vorsorglich entschuldigt“, obwohl er nicht gewusst habe, ob es überhaupt zivile Opfer gegeben hat.
An dieser Argumentation übte insbesondere die Linksfraktion Kritik. Sie fragte, ob den Taliban das Lebensrecht abgesprochen werde, wenn ihr Tod gegenüber dem von Zivilisten nichts zähle: ”Krieg fängt da an, wo ich sage: Wenn es die trifft, ist es mir egal.“ Auch die Grünen werteten die Unterscheidung zwischen Taliban und Zivilisten als ”außerordentlich problematisch“. Sie betonten, in Afghanistan bedürfe es einer defensiven Strategie, um die Menschen für den zivilen Wiederaufbau zu gewinnen. Thomas Kossendey erklärte dazu, für Bundeswehr und Bundesregierung spiele es bei der Frage der Betroffenheit keine Rolle, ob ein Opfer schuldig oder unschuldig sei.
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Saskia Leuenberger
Redaktion: Dr. Bernard Bode, Götz Hausding, Claudia Heine,
Sebastian Hille, Michael Klein, Hans-Jürgen Leersch, Johanna
Metz, Annette Sach, Helmut Stoltenberg, Alexander Weinlein