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Renate Gradistanac
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD
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24. April 2008

Chancen des demographischen Wandels im Tourismus nutzen

Frau Präsidentin,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor zwei Wochen warnte der frühere Bundespräsident Roman Herzog in der Bild-Zeitung vor einer so genannten Rentnerdemokratie. Er sagte unter anderem: „Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern“. Damit hat er eine skurrile Debatte neu entfacht. Zum wiederholten Mal wurde schlagzeilenträchtig die greise Republik herauf beschworen. Auf einmal war wieder die Rede von der „Altenrepublik“, so Meinhard Miegel. Roman Herzog sprach von „verfassungswidrigen Staatsquoten“ als möglicher Konsequenz des demographischen Wandels.

Meine Damen und Herren, solche Debatten spalten unsere Gesellschaft. Sie schüren Angst und Generationenneid. Sie bringen uns nicht wirklich voran. Solche Äußerungen sind auch falsch. Gerade wir Tourismuspolitikerinnen und Tourismuspolitiker wissen um die Chancen, die der demografische Wandel für den Tourismus bringt. Der TA-Bericht „Zukunftstrend im Tourismus“ belegt dies nachdrücklich. Die Branche muss die Chancen allerdings nutzen.

Hier ein Beispiel: Eine Studie des Deutschen Seminars für Tourismus geht von einem gegenwärtigen Reisepotenzial von rund 28 Millionen bei der Generation 50 plus aus. Tendenz steigend! Aber nicht nur das: Personen über 50 sind vor allem mobiler, gesünder und reiselustiger als die Generation unserer Eltern. Seit Jahren steigt die Quote der Erwerbstätigen bei den über 55-Jährigen. Im Jahr 2004 lag sie bei über 45 Prozent. Dadurch haben viele auch mehr Geld. So ist zu erwarten, dass die Reiseintensität der Bevölkerung insgesamt nicht abnehmen wird - im Gegenteil.

Ein Blick auf die Studie des Familienministeriums mit dem Titel „Wirtschaftsmotor Alter“ aus dem vergangenen Sommer hat es zutage gebracht: Im Jahr 2035 werden die über 50-jährigen knapp 60 Prozent der Ausgaben am Gesamtkonsum tätigen. Bei den über 65-Jährigen wird der Anteil von 18 auf 26 Prozent steigen. Die über 50-jährigen sind also „die Zielgruppe der Zukunft“. Neben den Gesundheitsausgaben werden sich die Tourismusausgaben der Älteren drastisch erhöhen.

Abgesehen von diesen Studien können wir schon heute beobachten, dass die so genannten „Best Ager“ zunehmend mit ihren Enkeln gemeinsam reisen. So wird schnell aus einer neuen Reisegeneration auch ein neues Modell des Generationenreisens. Also nicht gegen die Jungen, Herr Herzog, sondern mit ihnen.

Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist kein Mikrokosmos, in dem die älter werdende Gesellschaft isoliert auftritt. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der über 65-Jähringen in der Europäischen Union um cirka 40 Millionen ansteigen. Nicht zuletzt die Nachfrage für Wellnes- und Gesundheitsreisen wird förmlich in die Höhe schnellen. Der demografische Wandel ist ein Phänomen, das auch den Deutschlandtourismus ganz schön auf Trab bringen kann.

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieses enorme Potential müssen wir auch nutzen. Wir dürfen die Chancen nicht verpuffen lassen. Schließlich sind wir Deutschen mehrsprachig orientiert. Wir verbringen unseren Urlaub in fast allen Teilen der Welt. Das kann dann auch für das Reisen im Alter bedeuten, dass wir uns sowohl für Inlandsreisen als auch für weltweites Reisen entscheiden. Der internationale Wettbewerb um die „jungen Alten“ ist in vollem Gange. Wer jetzt nicht aus den Startlöchern kommt, wird schon bald den Anschluss verpassen.

Die Branche wird sich der Gesellschaftsentwicklung gar nicht entziehen können. Die Erkenntnis, dass die einzige Konstante im Universum die Veränderung ist, ist rund 2.500 Jahre alt. Die Chancen annehmen und gestalten lautet jetzt die Devise für die Zukunft. Wir verkennen nicht, dass die Herausforderungen für die Branche sehr groß sind. Und je kleiner der Betrieb, desto schwieriger wird es, die eigene Nische bei den sich zunehmend ausdifferenzierten Bedürfnissen der Reisenden zu finden und vor allem marktgerecht zu besetzen. Natürlich macht die Ausrichtung auf neue Zielgruppen weder vor den Reiseunternehmen noch vor den Hotel- und Gaststättenbetrieben halt. Viele Firmen werden investieren müssen, um altergerechtes Komfortreisen zu ermöglichen. Vor allem ist es notwendig, die Qualifikationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter zu stärken und sie gerecht zu bezahlen.

Unser Antrag ist also ein Ansporn zum offensiven und gemeinsamen Handeln. Für die Politik bedeutet das beispielsweise die Entwicklung eines Tourismusleitbildes. Ich bin froh, dass unser Koalitionspartner sich doch noch auf die Festschreibung eines Leitbildes eingelassen hat. Für uns in der SPD ist es selbstverständlich, dass der Bund sich strategisch gut aufstellen muss. Ein Leitbild ist der Grundstock, der weiter entwickelt werden kann. So wird herausgestellt, dass der Tourismus Querschnittsthema und Querschnittsaufgabe zugleich ist. Da müssen die unterschiedlichsten Politikbereiche mit anpacken: Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Umweltpolitik, Arbeitsmarktpolitik. Es ist selbstverständlich, dass die Seniorenministerin bei einem Programm zur Wirtschaftskraft von Senioren auch die Tourismusbranche berücksichtigt. So selbstverständlich, dass es hier eigentlich keiner Erwähnung bedarf.

Eine weitere wichtige Forderung unseres Antrags bezieht sich auf die Forschung. Wir wollen qualifizierte Daten zum demographischen Wandel, die sich mit dem Thema zukünftiger Vermögens- und Einkommensentwicklungen beschäftigen, da diese Auswirkungen auf den Tourismus haben werden.

Die Anforderungen an alle Akteure lassen sich wie folgt auf den Punkt bringen: Gute, qualifizierte zielgruppenspezifische Angebote unterbreiten und diese in Deutschland, aber auch in Europa, Asien und - trotz schwachem Dollar - in den USA bewerben. Wir wollen die Seniorinnen und Senioren für den Deutschlandtourismus begeistern. Die Deutsche Zentrale für Tourismus ist unser Botschafter, national und vor allem international. Frau Hedorfer und ihr Team leisten hervorragende Arbeit für Deutschland; hierfür an dieser Stelle herzlichen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Aspekte haben wir im vorliegenden Antrag ausgelassen. Aus gutem Grund. Barrierefreier Tourismus ist nicht nur an das Alter und den Strukturwandel der Gesellschaft gebunden. Barrierefreiheit bedeutet Teilhabe. Diese Herausforderung ist von so großer Bedeutung, dass wir uns ihr in einem zweiten Antrag widmen werden. Die Koalitionsfraktionen werden noch in diesem Jahr einen Antrag zur Barrierefreiheit im Tourismus einbringen.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Bedürfnisse und wachsenden Ansprüche pflegebedürftiger Menschen und ihrer pflegenden Angehörigen. Auch hier muss es zukünftig spezielle Angebote der Tourismusunternehmen geben. Beispielhaft nenne ich das Hotel am Kurpark in Bad Herrenalb in meinem Schwarzwald.

Meine Damen und Herren, es passiert viel Gutes im Tourismus. Viele Akteure sind bereits dabei, sich auf die „Neuen Alten“ als Zielgruppe einzustellen. Denen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, danke ich. Sie sind ein positives Beispiel. Allen anderen möchte ich als Gymnastiklehrerin den Satz aus dem Volksmund zurufen: „Geh keinen Meter zurück, allenfalls, um Anlauf zu nehmen.“