Nach der Verschiebung der Gesundheitsreform um drei Monate auf den 1. April 2007 steht der Gesundheitsfonds grundsätzlich zur Disposition. "Das Parlament" beantwortet zehn Fragen zum Herzstück der Pläne. 1. Wie kam es überhaupt zu dem Fonds? Die Grundidee des Gesundheitsfonds geht zurück auf Überlegungen des wissenschaftlichen Beirates im Bundesfinanzministerium. Nach dessen Vorstellungen sollten auch privat Versicherte einbezogen und Beiträge auf Kapital- und Mieteinkünfte erhoben werden. Die Spitzen von Union und SPD einigten sich in der Nacht zum 3. Juli auf Eckpunkte für eine Gesundheitsreform - im Zentrum des 54-seitigen Papiers: die Einführung eines Gesundheitsfonds; allerdings ohne die Privaten oder weitere Einkünfte zu berücksichtigen. 2. Wie soll der Fonds funktionieren? Wie ein großer Topf: In ihn fließen die Beiträge der gesetzlich versicherten Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, wobei der Arbeitgeberanteil wie bisher 0,9 Prozentpunkte unter dem der Arbeitnehmer liegen soll. Um 2007 die Finanzlücke auszugleichen, soll der Beitragssatz um durchschnittlich 0,5 Prozent angehoben werden. In den Topf eingespeist werden sollen auch Steuermittel für die Mitversicherung von Kindern (im ersten Jahr 1,5 Milliarden Euro, 2009 dann 3 Milliarden Euro). Aus dem Topf erhalten alle Kassen eine bestimmte Summe pro Versichertem plus einen Ausgleich je nach Alter und Krankenstand der Mitglieder. Kommen die Kassen mit ihrem Geld nicht aus, müssen sie den Plänen zufolge eine Zusatzprämie ("kleine Kopfpauschale") von bis zu ein Prozent des Bruttolohns direkt bei ihren Mitgliedern erheben. Kassen, die Überschüsse erwirtschaften, können diese an ihre Versicherten ausschütten. Allerdings sind bei der Ausformulierung des Gesetzesentwurfs noch Änderungen möglich, etwa bei der Höhe der Zusatzprämie. 3. Was haben die Koalitionspartner von dem Fonds? Für beide politischen Lager ergibt sich die Attraktivität des Fonds aus seiner Veränderbarkeit im Falle neuer politischer Mehrheiten. Die SPD könnte ihn zur Bürgerversicherung ausbauen, indem sie weitere Einkunftsarten wie etwa Mieten einbezieht sowie gegebenenfalls doch noch Privatversicherte zur allgemeinen Kasse bittet. Die von der Union präferierte Gesundheitsprämie ist im jetzigen Modell bereits angelegt und könnte ausgebaut werden, genauso die Steuerfinanzierung bestimmter Leistungen. 4. Wer sind die Hauptbefürworter? Da gibt es wenige. Offensiv treten vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf. Auch die Unions-Gesundheitsexperten im Bundestag, Wolfgang Zöller (CSU) und Annette Widmann-Mauz (CDU), stehen zu dem Modell. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wer von den Lobbygruppen wenig Kritik übt: die Kassenärzte (der Fonds tangiert sie kaum, die Reform wird ihnen insgesamt höhere Honorare bringen), die privaten Kassen (deren Ärger bezieht sich auf andere Aspekte der Reform, die direkte Beteiligung am Solidarsystem ist aber vom Tisch), die Pharmaindustrie (sie erwartet vorerst keine Einnahmeeinbußen aus dem Modell, außerdem wird es keine Positivliste für Medikamente geben) und die Arbeitgeber (die Höhe ihrer Beiträge wird eingefroren). 5. Wie argumentieren die Befürworter? Sie weisen darauf hin, dass der Wettbewerb der Kassen bei einem einheitlichen Beitragssatz stärker über die Qualität der Leistungen laufen werde. Auch würden die Finanzströme in der gesetzlichen Krankenversicherung gebündelt. Die Beitragszahler bekämen mehr Klarheit, wohin ihre Gelder fließen. Die Beitragseinnahmen würden fairer verteilt, so erhielten Kassen mit vielen alten oder kranken Versicherten einen Zuschlag. 6. Wer sind die Hauptkritiker des Fonds? Aus dem vielstimmigen Chor der Gegner und Skeptiker ragen die Krankenkassen heraus. Das ist nicht verwunderlich, würde ihnen doch der Einzug der Sozialversicherungsbeiträge und die Bestimmung ihrer Höhe entzogen. Ihre Finanzhoheit wären sie damit los. Zudem soll es statt sieben Verbänden der Krankenkassen nur noch einen Spitzenverband geben, der zentrale Aufgaben für die Kassen regelt. All dies würde Macht und gut dotierte Funktionärsposten kosten. Auch einige Unions-geführte Länder schlagen Alarm. Bayern, Baden-Württemberg und andere befürchten, dass mit einem einheitlichen Beitragssatz und einem neuen Finanzausgleich zwischen armen und reichen Kassen die Kassen ihrer Länder stärker belastet werden. Sie wollen nicht, dass die Beiträge ihrer Landeskinder über den Fonds in ärmere Gegenden umgeleitet werden. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) war in der entscheidenden Koalitionsrunde Anfang Juli freilich mit von der Partie. SPD-Chef Kurt Beck zeigte sich bereits besorgt, die Querschüsse seien Ausdruck eines Machtkampfes in der Union. Allerdings gibt es auch bei der SPD entschiedene Gegner des Fonds, insbesondere mit Blick auf den Zusatzbeitrag. 7. Was sagen die Kritiker? Sehr viel Unterschiedliches. Weitgehend durchgängig sind folgende Argumente zu hören: Die gesetzlich Versicherten würden stärker belastet, Gesundheit werde für sie teurer, ohne dass automatisch die Leistungen besser würden. Der Fonds werde ein "bürokratisches Monster", das zusätzliche Kosten verursache. Vor allem bleibe aber das Grundproblem ungelöst, wie das Gesundheitssystem zukunftsfester, gerechter und arbeitsmarktfreundlicher finanziert werden kann. 8. Wann kommt der Fonds? Nach Plänen von Bundesgesundheitsministerin Schmidt soll er Mitte 2008, also gut ein Jahr nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform kommen. Mit der konkreten Umsetzung müsste sich die Regierung dann sputen. Ein Beispiel für die anstehenden Aufgaben: Mit welcher Software kann der Beitragseinzug für rund 72 Millionen Versicherte einheitlich geleistet werden? Für eine Verschiebung des Fonds gibt es faktisch kein Zeitfenster. Im Frühjahr 2008 stehen in Niedersachen, Hessen und Hamburg Landtagswahlen an, im Herbst 2008 in Bayern. 9. Wie sieht der Fahrplan bis 1. April aus? Die Ministerin rechnet trotz des Zwistes in der Koalition nach wie vor damit, dass der Gesetzentwurf im Oktober im Kabinett verabschiedet und im Bundestag in erster Lesung beraten wird. Einzelheiten des Gesetzentwurfs sollen vorher mit den Spitzen der Koalition abgestimmt werden. Auch die Führungsgremien von CDU, CSU und SPD sollen Gelegenheit bekommen, den Entwurf vor der Kabinettsbefassung zu beraten. Ob der Gesetzentwurf so formuliert wird, dass er im Bundesrat zustimmungspflichtig wird, ist noch offen, aber wahrscheinlich. Im ersten Vierteljahr 2007 hat der Bundestag sechs Sitzungswochen, die Länderkammer tagt drei Mal. Das ist der Zeitrahmen, in dem die parlamentarischen Entscheidungen fallen müssen, damit der 1. April als Starttermin für die Gesundheitsreform eingehalten werden kann und die Vorbereitungen für den Fonds beginnen können. 10. Kommt der Fonds auf jeden Fall? Die große Koalition ist fondsgebunden, sprich: Das Fortbestehen des Regierungsbündnisses ist an den Fonds geknüpft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich eindeutig auf sein Kommen festgelegt. Ein Zurückrudern ist für sie kaum noch möglich. Und wenn, wäre es wohl das vorzeitige Aus der großen Koalition. SPD-Fraktionschef Peter Struck hat bereits die Bedeutung der Gesundheitsreform für Schwarz-Rot deutlich gemacht: "Sie muss gelingen, damit die Koalition bis 2009 hält."