In der internationalen Politik spielen seit dem 11. September die Fragen des Umgangs mit politisch-motivierter Gewalt, Terrorismus und Krieg die zentrale Rolle. Kurz vor dem fünften Jahrestag der Terroranschläge hat das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) eine Studie zu diesem Problemkomplex vorgelegt. Verfasst wurde sie von Jochen Hippler, Mitarbeiter des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisberg-Essen. Der Verfasser gehört zu den besten Kennern des Nahen und Mittleren Ostens. Kommentiert wurde die Untersuchung Hipplers von den ägyptischen Professoren Nasr Abu Zaid und Amr Hamzawy. Ihre Analysen sind in diesem Band in Deutsch, Englisch und Arabisch veröffentlicht.
Wie jede gute Untersuchung beginnt auch Hippler mit Begriffsdefinitionen. Er fragt aber sofort, was man denn unter "westlicher" oder "muslimischer Gewalt" zu verstehen habe. Wer über das Gewaltpotenzial dieser Gesellschaften sprechen wolle, müsse sehr zurückhaltend vorgehen, "wenn man sich nicht auf Klischees beschränken möchte". Der Autor stellt die Gewaltbereitschaft muslimischer Gesellschaften in einen historischen Kontext. Bei dieser Betrachtungsweise zeigt sich, dass der zivilisierte Westen auf eine wesentlich blutigere Vergangenheit zurückblicken kann. Deshalb könne sich der Westen nicht nur durch seine positiven Werte definieren. "Aus dem Christentum haben sich eben nicht allein Krankenhäuser, Nächstenliebe und andere erfreuliche Dinge, sondern auch die Inquisition, die Rechtfertigung von Rassismus und Kriegen herausentwickelt." Der Modernisierungsprozess habe unglaubliche Gewaltphänomene hervorgebracht wie Kolonialismus, Stalinismus und Nationalsozialismus.
In einer Studie über Gewalt und Terrorismus darf die Frage nach den Ursachen der Selbstmordattentate nicht fehlen. Hippler trägt Fakten und Meinungen anderer Experten zusammen, die zeigen, dass nur eine Minderzahl religiös motiviert ist. Wer sie als ein reines "islamisches" Phänomen darstelle, liege knapp neben der Realität. Der Autor zitiert den FAZ-Redakteur Joseph Croitoru, der die rigide Unterdrückung ethnischer Minderheiten und die menschenverachtende Zustände in einigen islamischen Ländern als Nährboden für Verbreitung der Selbstmordattentate verantwortlich macht.
Als Fazit der Hippler-Studie könnte man zusammenfassend feststellen: Um glaubwürdig gegen Terrorismus zu kämpfen, muss der Westen nicht nur einen Dialog führen, sondern sich mit seinem eigenen Beitrag zum Gewaltpotenzial in der internationalen Politik auseinandersetzen, bevor er mit dem Finger auf die islamisch-arabische Welt zeigt.
Der Gag an dieser Studie ist, dass die Ausführungen Hipplers von zwei ägyptischen Wissenschaftlern kommentiert worden sind. So kritisieren Abu Zaid und Hamzawy, dass Hippler jeden strukturellen Bezug zwischen Religion und Gewalt negiere; er lasse nur die Beziehung gelten, die der Gewalttäter schaffe: Gewalt im Namen der Religion wurzelt in deren Missbrauch. Abu Zaid sieht dagegen eine Beziehung zwischen Gewalttaten und religiösen Texten. Ebenso Hamzawy: Gewalt und Milieu gehörten zusammen; man könne islamischen Terror nur verstehen, wenn man die zentrale Rolle der Religion im öffentlichen Diskurs berücksichtige. Einströmende Veränderungen auf die arabische Welt würden immer wieder mit dem Argument der Besonderheit der historischen, religiösen und kulturellen Erfahrungen abgeblockt.
Diese Studie und deren Kommentierung zeigen, wie notwendig ein Dialog zwischen der westlichen und der arabisch-muslimischen Welt ist. Sie ist kostenlos auf der Homepage des Instituts für Auslandsbeziehungen (www.ifa.de) als Download erhältlich.
Jochen Hippler: Krieg, Repression, Terrorismus. Eine Studie mit Kommentaren von Nasr Hamid Abu Zaid und Amr Hamzawy. Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart 2006.