EU-Handelskommissar Peter Mandelson brachte die Sache auf den Punkt: "Wenn die Leute für ihre Heizung 50 Prozent mehr in zwei Jahren bezahlen müssen und ihre Mobilität durch immer höhere Preise an der Zapfsäule beeinträchtigt wird, kann keine Regierung einfach zusehen und nichts tun", sagte der Brite letzten Dienstag in Brüssel. Dort berieten Politiker, Top-Manager der Energiewirtschaft und Experten zwei Tage lang, wie Europa außenpolitisch mit dem rasanten Anstieg der Öl- und Gaspreise umgehen soll. Die EU bemüht sich schon seit Monaten um geschlossenes Auftreten gegenüber den Lieferländern. Im Oktober verständigten sich die Staats- und Regierungschefs auf "Grundsätze für die energiepolitischen Außenbeziehungen". Im Umgang mit Russland konn-ten sich die Mitgliedstaaten allerdings bislang nicht auf eine gemeinsame Linie einigen.
In Brüssel befürchtet man, dass Russland und andere Länder, von denen Europa Öl und Gas bezieht, am Ende nicht nur Geld dafür verlangen könnten. Der außenpolitische Vertreter der EU, der Spanier Javier Solana, sieht die Sache realistisch. "Wir müssen unsere Energie dort kaufen, wo wir sie finden." Und das seien vorwiegend Länder, die weder demokratisch noch politisch stabil seien. Bislang versucht die EU diese Länder davon zu überzeugen, dass die Spielregeln des Marktes auch für ihre Probleme die beste Lösung sind. In den nächsten 25 Jahren müssten in neue Förderanlagen, Pipelines und die Verarbeitung 20 Milliarden Dollar investiert werden, sagt der Handelskommissar. "Wenn dieses Geld nicht aufgebracht wird, gehen die Lichter nicht nur in Westeuropa aus, sondern vielleicht auch in Moskau."
Der Exekutivdirektor der Internationalen Energie-Agentur, Claude Mandil, erinnerte daran, dass auch die Europäer ihre Hausaufgaben in diesem Bereich noch nicht erledigt haben: Die Strom- und Gasnetze müssten von der Erzeugung und dem Gas-Import getrennt werden, damit ein europäischer Energie-Binnenmarkt entstehen könne. Gleichberechtigter Zugang aller Akteure zu den Netzen und Gasspeichern sei die Voraus-setzung dafür, dass die EU-Staaten energiepolitisch am gleichen Strang zögen.
Ähnlich argumentierte auch Kommissionspräsident José Manuel Barroso. "Die außenpolitischen Aspekte der Energiepolitik müssen Hand in Hand gehen mit der internen Entwicklung." Das gelte auch für den Klimaschutz. Für eine Energiepolitik aus einem Guss will die Kommission vor allem den Binnenmarkt für Energie voranbringen. Man werde deswegen weiter gegen jene Mitgliedstaaten vorgehen, die die Strom- und Gasrichtlinie nicht umsetzten und "weitere Maßnahmen zur eigentumsrechtlichen Trennung der Netze und ihrer Regulierung" vorschlagen, kündigte Barroso an. "Offene Märkte, nicht engstirniger Nationalismus sind das Gebot der Stunde."
Der globale Trend geht allerdings in die andere Richtung. In den großen Förderländern, in Iran, Saudi-Arabien oder Russland, werde die Energiewirtschaft eher wieder verstaatlicht, sagte Dieter Helm von der Universität Oxford. "Der Markt ist einfach nicht die Realität." Die jüngsten bilateralen Vereinbarungen deutscher, französischer und italienischer Firmen mit dem russischen Gasriesen Gazprom, der vom Kreml kontrolliert wird, hätten gezeigt, dass man sich in Westeuropa darauf eingestellt habe.
Den Gazprom-Managern geht die Flexibilität der Europäer nicht weit genug. Dmitri A. Medwedjew von Gasprom warnte die EU-Politiker davor, die Strategie der Energiekonzerne durch übermäßigen Wettbewerb zu durchkreuzen. Wer den Verbund von Produktion und Verteilung auflöse, überlasse die Energiemärkte den Spekulanten. Völlig unrealistisch seien die Pläne von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, die den Konzernen nicht nur ihre Netze wegnehmen, sondern sie auch zwingen wolle, einen Teil des importierten Erdgases auf dem freien Markt anzubieten. "Können Sie mir mal verraten, wer unter solchen Bedingungen noch in den Ausbau der Netze oder langfristige Lieferverträge investieren soll?", fragte sie. Im Verlauf der Diskussion wurde klar, dass die EU noch nicht weiß, wie sie mit dem Wunsch der Russen umgehen soll, auf dem Energiemarkt der Union Fuß zu fassen. Gasprom, sagte Medwedjew, sei bereit und in der Lage, mehr Gas zu liefern. "Die Frage ist nicht, ob wir ein verlässlicher Partner sind, sondern ob die EU im Wettbewerb um das knapper werdende Angebot mithalten kann." Die Chancen der EU-Konzerne, sich an der Erschließung der russischen Öl- und Gasvorkommen zu beteiligen, so Helm, sind dagegen gering. Der Kreml wolle die Kontrolle darüber behalten.