Wenn die 26 Staats- und Regierungschefs der NATO am kommenden Dienstag und Mittwoch in der lettischen Hauptstadt Riga zu ihrer Gipfelkonferenz zusammenkommen, werden sie sich im Wesentlichen mit der Ausrichtung der Missionen beschäftigen. Im Mittelpunkt der Beratungen steht der ISAF-Einsatz in Afghanistan. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete diesen Einsatz in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages als den "Lackmus-Test" für die Allianz.
Die Mission ist in schweres Fahrwasser geraten. Vor allem im Süden des Landes müssen sich ISAF-Truppen gegen kämpfende Einheiten der Taliban wehren. Dort sind vor allem kanadische und britische Truppen im Einsatz. Der dort geforderte Blutzoll hat zu einer heftigen Diskussion unter den Allianzpartnern geführt. Da zahlreiche Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, ihren nach Afghanistan entsandten Truppen Beschränkungen für ihren Einsatz auferlegt haben, mahnen NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und der scheidende Oberbefehlshaber General James Jones die Aufhebung dieser Beschränkungen an. In Deutschland wurde dies als Aufforderung verstanden, deutsche Soldaten auch in diese Region zu entsenden. In der vorvergangenen Woche haben bei der Versammlung der NATO-Parlamentarier zahlreiche Abgeordnete aus den Partnerländern dies den deutschen Abgeordneten deutlich gemacht.
In der Diplomatensprache klingt dies etwas freundlicher. Der britische Premierminister Tony Blair hat vor dem Unterhaus gesagt, er werde in Riga darauf drängen, dass alle Bündnispartner das ihnen mögliche tun sollten, um die Lage in Afghanistan zu stabilisieren. Bundeskanzlerin Merkel meinte im Bundestag, man dürfe die Lage in Afghanistan nicht sektoral diskutieren, sondern müsse die Gesamtlage im Auge behalten. Die Bundeswehr leiste im Norden einen gefährlichen Dienst, dort, wo rund 40 Prozent der afghanischen Bevölkerung leben. Weitere Aufgaben könne die Bundeswehr nicht übernehmen. Merkel plädierte für einen komplexeren Einsatz und greift damit einen der Konflikte in der NATO auf: Soll die Allianz ein rein militärisches Bündnis sein, wie es Frankreich will, oder soll es auch ein politisches sein, wie es Merkel, de Hoop Scheffer und James Jones fordern. Die Bedrohungen und Risiken seien vielfältig. Rein militärische Antworten reichten seit dem Ende des Kalten Krieges nicht aus, hatte Jones unlängst auf einem Symposium des Verteidigungsministeriums in Berlin gesagt.
Als Modell dafür bietet Angela Merkel die regionalen Wiederaufbauteams an, mit denen die Bundesrepublik einen Beitrag zur Stabilisierung des Nordens leistet. Entwicklungshilfe, Diplomatie, Polizeiausbildung, Wirtschaftshilfe und das Militär müssten Hand in Hand arbeiten, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Die Kanzlerin kündigte an, sich dafür in Riga einzusetzen. Sie wisse, dass dazu auch das Kämpfen gehöre. Aber der Kampf um die Herzen der Menschen sei ebenso wichtig.
Das ursprünglich geplante Signal für eine neue Erweiterungsrunde wird es in Riga ebenso wenig geben wie ein neues strategisches Konzept, das das Dokument von 1999 ersetzen könnte. Einige wollten dies, um die neuen Entwicklungen seit 1999 auch konzeptionell abzubilden, aber man spürte in der NATO schnell, dass man sich darauf nicht einigen kann. Somit sind die eigentlich geplanten Beschlüsse schon früh als unrealistisch aufgegeben worden. Die NATO-Response-Force, die schnelle Eingreiftruppe der Allianz, kann ebenfalls nicht voll einsatzfähig gemeldet werden, da beim letzten Manöver vor allem im Bereich der Logistik noch erhebliche Mängel registriert wurden. Eines aber bliebt: Die erste Gipfelkonferenz in einem Land, das früher einmal zur Sowjetunion gehörte, ist ein politisches Zeichen, dass die Neuen in der NATO voll dazu gehören. Allerdings wollte der russische Präsident Putin nicht nach Riga kommen, sodass die sonst übliche Tagung des NATO-Russland-Rates entfällt.