Der öffentlich-rechtliche Rundfunk legt auf seine journalistischen Prinzipien nicht wenig Wert. Wann immer es um die Frage nach der Ethik im Journalismus geht, weisen Intendanten und Chefredakteure gerne auf die Usancen in ihren Häusern hin, auf die hohen Standards und auf die vermeintlichen Unterschiede zu den privaten Sendern. Sie tun das oft mit allem Recht, doch versündigen sich die Intendanten der ARD, wie erst in diesem Herbst bekannt geworden ist, an ihren eigenen Maßstäben seit Jahren.
Auf das Jahr 1999 geht ein Vertrag mit dem Radsportler Jan Ullrich zurück, der diesem zwischen 195.000 Euro und maximal 230.000 Euro pro Jahr zusicherte für ein Entgegenkommen, für das Journalis-ten normalerweise kein Geld bezahlen. Sobald er vom Rad stieg, das war der Gedanke, sollte der einst populäre Radsportler zuerst der ARD Rede und Antwort stehen. Darüber hinaus sollte er an Reportagen mitwirken und vielleicht den einen oder anderen Auftritt in einer Show absolvieren. Von einem "Mitwirkendenvertrag" spricht der ARD-Jargon in diesem Fall. Der Preis, den die Sender für diese Vereinbarung bezahlt haben, lässt sich auch mit einer Vokabel fassen: Glaubwürdigkeit.
Warum, fragten sich die Beobachter, hat die ARD einen solchen Vertrag geschlossen? Sie war, als sie das Bündnis einging, ohnehin als Sponsor des Teams Telekom mit dem Radsport eng verbunden, die Tour de France fand im ersten Programm statt, die Konkurrenz hatte das Nachsehen. Und dann noch ein Zusatzvertrag mit dem Pedaleur und mit seinem Betreuer auch noch und mit dem Berater des Konkurrenten Lance Armstrong ebenfalls? Ist das nicht Scheckbuchjournalismus reinsten Wassers, finanziert auch noch mit Gebührengeldern?
Genau das war es, und den Intendanten fiel es schwer, im Herbst 2006 den erst im Sommer gekündigten Vertrag aus dem Jahr 1999 zu rechtfertigen, der 2002 für ein Jahr unterbrochen wurde, als Jan Ullrich auch noch des Dopings überführt worden war. Man habe dabei sein und Ullrich nicht der privaten Konkurrenz überlassen wollen, erklärte die ARD. Doch nun wurde den Intendanten endlich bewusst, was für einen Vertrag sie da jahrelang laufen ließen, billigten oder erst gar nicht gelesen hatten. Von einem "blödsinnigen Fehler" sprach Fritz Pleitgen, der Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Man habe nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit gehandelt, und er wolle das auch gar nicht entschuldigen.
Doch wie es so ist in der ARD, verkündet man in einem solchen Fall ein mea culpa und geht über zur Tagesordnung. Dabei wäre es an der Zeit, nach dem Grundsätzlichen zu fragen und endlich nachvollziehbar zu definieren, was sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk erlauben will und darf. Es geht nicht darum, einen Sündenbock zu finden, sondern einen gemeinsamen Maßstab, der solche Dinge wie den Vertrag mit Jan Ullrich und erst recht einen Vorgang wie die Schleichwerbeaffäre um die Vorabendserie "Marienhof" von vornherein ausschließt. Eine "Clearingstelle" hat man eingerichtet, also eine juristische Prüfungsinstanz. Doch woran orientiert sie sich? An dem, was im Konkurrenzkampf geboten erscheint? Ist nur nicht erlaubt, worüber sich im Augenblick die Öffentlichkeit erregt? Es scheint, dass der innere Kompass in diesem System verloren gegangen ist; in einem Sys-tem, das den Rundfunk als Kulturgut vertritt, das im Namen aller und mit dem Geld aller (Gebührenzahler) zuvörderst nach anderem streben soll als nach Gewinn oder maximaler Aufmerksamkeit. An dem Sündenfall ändert auch die die Tatsache nichts, dass der Vertrag mit Ullrich mit Werbegeldern finanziert wurde.
Die ARD ist, wie das ZDF, dem Auftrag zur "Grundversorgung" verpflichtet. Der aus der Verfassungsrechtsprechung hergeleitete Begriff bedarf zwar der Aktualisierung, doch weiß eigentlich jeder, was damit gemeint ist. Wer in einem öffentlichen Auftrag Rundfunk macht, wer die "Grundversorgung" mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung gewährleisten soll, der muss eine besondere Methodenlehre kennen. Er darf nicht käuflich sein und darf keine Bündnisse oder Verträge eingehen, von denen vor allem Dritte etwas haben, nicht aber diejenigen, in deren Auftrag man handelt - die Zuschauer.
Doch nicht nur das. Geldzahlungen an Gesprächspartner sind für den Journalismus an sich ein Problem, sobald sie über bloße Aufwandsentschädigungen hi-nausgehen. Künstler für die Unterhaltung und für Shows zu verpflichten, ist etwas anderes als der Umgang, den Journalisten mit denen pflegen, die Gegenstand ihrer Berichterstattung sind. Machte das Beispiel des Ullrich-Vertrages Schule, gäbe es bald niemanden mehr, der ohne Bezahlung ein Interview gewährte. Und all die Journalisten haben das Nachsehen, die die Information der Öffentlichkeit nicht als Geschäft im Sinne eines finanziellen Gebens und Nehmens verstehen. Und das sind die meisten. Mit einem Vertrag wie dem, welchen die ARD mit dem Jan Ullrich geschlossen hat, wird der Journalismus zur Ware. Der Journalist wird zum, wie es beschönigend heißt, "Medienpartner", vulgo: Nachrichtenhändler. Und dadurch wird die Berichterstattung in ihrem Kern tangiert. Die gebotene Distanz zu denen, über die man berichtet, und zu dem Gegenstand, mit dem man es zu tun hat, bleibt selbstverständlich auf der Strecke. Damit ist die Information, die journalistische Geschichte, am Ende nichts mehr wert: Man weiß ja nicht, wer wem was dafür bezahlt hat.
Der Autor ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".