Das Horn tutet drei Mal. Das Schiff legt ab. Die Menschen stehen an der Reeling, winken, haben Taschentücher in der Hand. Ein letzter Gruß. Meist auf Nimmerwiedersehen. Im 19. Jahrhundert suchten viele Deutsche in der Ferne ihr Glück. Meist hieß ihr Ziel Amerika. Allein in die USA fuhren etwa fünf Millionen Menschen.
Gleichzeitig wurden jedoch aufgrund des technischen Fortschritts die Arbeitskräfte knapp und im Kaiserreich (1871) sprach man von der zunehmenden "Leutenot". Deutsche Gutsbesitzer warben insbesondere polnische Saisonarbeiter an, die als "Deutschlandgänger" bezeichnet wurden, und beschäftigten sie für die Ernte. Auch der rapide Anstieg des Arbeitskräftebedarfs in der Schwerindustrie und im Bergbau führte dazu, dass von 1870 bis zum Ersten Weltkrieg immer mehr Arbeiter aus den preußischen Ostprovinzen ins Ruhrgebiet kamen. Die Menschen besaßen die preußische Staatsangehörigkeit, sprachen aber polnisch. Die "Ruhrpolen" oder "Polacken" wie man sie abfällig bezeichnete, lebten in primitiven Werkkolonien unmittelbar bei den Zechen. Ihr Lohn war dürftig. Die Integration wurde ihnen nicht leicht gemacht, dennoch schafften sie es, ein blühendes Vereinswesen aufzubauen und sich insgesamt zu etablieren. Heute werden die Ruhrpolen häufig als Beispiel gelungener Integration genannt.
Aber erst seit Mitte der 1950er-Jahre entwickelte sich die Bundesrepublik zu einem der wichtigsten europäischen Zielländer von Migranten, zu einem Einwanderungsland. Dabei lassen sich verschiedene Formen der Zuwanderung unterscheiden: die Anwerbung von Gastarbeitern, der Zuzug von Aussiedlern sowie die Aufnahme von Asylbewerbern.
Seit 1974 wurden auch in der DDR ausländische Arbeitskräfte insbesondere aus Vietnam, Mosambik und Kuba angeworben, um dem akuten Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte waren stark reglementiert - bis in die privaten Lebensverhältnisse. Die DDR untersagte den Arbeitsmigranten den Familiennachzug und die Familiengründung. Gesellschaftliche Veränderungen durch die Integration von ausländischen Arbeitnehmern gab es in der DDR kaum, weil es bis 1989 keine offenen Übergänge zur "echten Einwanderung" gab. Im Unterschied zur Bundesrepublik, wo der Anteil der ausländischen Bevölkerung Ende der 1970er-Jahre bereits 7,7 Prozent ausmachte, betrug die ausländische Bevölkerung in der DDR selbst auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1989 nie mehr als ein Prozent der Einwohner.
Ende der 1950er-Jahre machte die junge Bundesrepublik nach dem Wiederaufbau und mit dem Wirtschaftswunder eine neue Erfahrung. Zum ers-ten Mal gab es auf dem Arbeitsmarkt weniger Arbeitssuchende als offene Stellen.
Mit zahlreichen Ländern wurden Anwerbeverträge vereinbart. 1955 begann man mit der Anwerbung von Italienern, 1960 mit Spaniern und Griechen, es folgten Abkommen unter anderem mit Portugal und Marokko und natürlich der Türkei. Die Ölkrise im Jahre 1973 hatte verheerende Folgen für die Weltwirtschaft und in Deutschland wurde der Anwerbestopp erlassen. Vielen Gastarbeitern wurde der Arbeitsvertrag nicht verlängert oder sie wurden auf Kurzarbeit gesetzt. Die Folge war, dass viele Deutschland den Rücken kehrten und in ihre Heimat zurückgingen. Vom ersten Jahr der Vollbeschäftigung 1960 bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise 1973, war die ausländische Erwerbsbevölkerung in der Bundesrepublik von rund 280.000 auf circa 2,6 Millionen Menschen angewachsen.
Obgleich die Anzahl der ausländischen Erwerbstätigen auf circa 1,6 Millionen im Jahr 1989 sank, stieg jedoch die Zahl der Ausländer, die blieben und ihre Familien nachholten insgesamt von 3,97 Millionen (1973) auf knapp 4,9 Millionen (1989) an. Der Anwerbestopp hatte zwar die Ausländerbeschäftigung gesenkt, doch gleichzeitig zogen zunehmend Ehefrauen und Kinder nach, die sich nicht in den Arbeitsmarkt integrieren ließen. In Kindergärten und Schulen sahen sich Erzieher mit Sprach- und Kulturdifferenzen konfrontiert. Damit forcierte der Anwerbestopp gerade den von staatlicher Seite unerwünschten Wandel von der Arbeitswanderung über Daueraufenthalte zur Einwanderungssituation mit fester Bleibeabsicht. Bis in die 90er-Jahre hinein lebte ein großer Teil der ehemaligen Gastarbeiterbevölkerung als Einwanderer in einem Land, das sich selbst bis dahin demonstrativ als "Nicht-Einwanderungsland" definierte.
Viele Frauen und Männer aus den Anwerbeländern nahmen eine Arbeit als Akkordarbeiter und ein Leben in den firmeneigenen Unterkünften auf sich, sie übten freiwilligen Verzicht für ein späteres besseres Leben. Aber für viele erfüllte sich der Traum vom besseren Leben nicht. So entwickelte sich bereits Anfang der 60er-Jahre ein neuer Typ von Arbeitsmigranten, der zwischen Heimatland und Deutschland hin- und herpendelte. Insbesondere die so genannte "erste Generation" der Gastarbeiter verharrte lange unschlüssig und ratlos mit einer unerklärten Einwanderungsabsicht und einer starken Orientierung am Herkunftsland.
Erst mit der zweiten und dem Heranwachsen der dritten Generation ist einerseits ein fortschreitender Integrationsprozess, andererseits jedoch seit den 90er-Jahren auch ein Rückzug der Einwanderer in ihre ethnischen Enklaven zu beobachten. Viele der heute mehr als sieben Millionen Einwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation haben nie begleitende Integrationsangebote (insbesondere Sprachkurse) erhalten, die heute als notwendig und selbstverständlich erachtet werden. Andere wiederum haben die Integration erfolgreich bewältigt.
Fünfzig Jahre nach der ersten Anwerbung besteht heute eine weitgehende politische und gesellschaftliche Akzeptanz, dass Deutschland schon seit langem ein Einwanderungsland ist. Mit einem gesetzlich verankerten staatlichen Integrationsauftrag ist nun der Weg offen für eine fortschreitende Normalisierung im Umgang mit Migration und Integration. Gefordert sind dabei Staat, Gesellschaft und die Einwanderer gleichermaßen.
Die Asylzuwanderung gibt es seit den frühen 50er-Jahren. Sie spielte aber quantitativ erst seit Ende der 80er-Jahre eine große Rolle. Die Zahl der Asylbewerber ereichte 1992 auch aufgrund des Krieges in Jugoslawien mit 440.000 ihren Höhepunkt. Mit dem so genannten Asylkompromiss von 1993 wurde der Zugang zu politischem Asyl nachhaltig erschwert.
Wer aus einem "sicheren Drittstaat" nach Deutschland einreist, kann sich seitdem nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen. Von den in Deutschland lebenden Ausländern befanden sich 2003 1,1 Millionen anerkannte Flüchtlinge. Zu diesen zählen auch annähernd 200.000 jüdische Emigranten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund von wachsendem Antisemitismus und wegen fehlenden ökonomischen Möglichkeiten nach Deutschland eingereist sind.
Anne von Oswald ist Historikerin und freie Projektmanagerin beim Netzwerk Migration in Europa e.V.