Von der begrünten Promenade der aserbaidschanischen
Hauptstadt Baku eröffnet sich der weite Blick über das
Kaspische Meer. Die Meeresbrise weht öligen Geschmack in die
Lungen. Auf dem glatten Meer spiegelt ein schmieriger Film
Regenbogenfarben. Der Schiffsteg ist verwaist, früher verband
ein reger Bootsverkehr Baku mit der turkmenischen Hafenstadt
Turkmenbaschi. Jetzt schippert nur hin und wieder eine Fähre
von Baku zum östlichen Ufer des zentralasiatischen
Binnengewässers. Am Horizont vermischt sich das Meer mit den
Wolken - dahinter liegt vernebelt die Zukunft Turkmenistans.
Der Tod des bizarren Herrschers und Präsidenten
Turkmenistans Saparmurad Nijasow - ein Herzinfarkt hatte im
Dezember dessen lebenslanger Herrschaft ein Ende gesetzt -
stürzte das zentralasiatische Land mit knapp fünf
Millionen Einwohnern ins Ungewisse.
In Moskau, Peking, Brüssel und Washington verfolgt man
angestrengt die ersten Schritte des bislang unbekannten Nachfolgers
des Verstorbenen, Kurbanguli Berdimuchamedow, und sucht aus jeder
seiner Äußerungen zu deuten, wohin die neue Regierung
steuert und vor allem - wer von den reichen Gasvorkommen in
Turkmenistan profitieren wird.
Unter der neuen Führung bleibt das Land verschlossen wie
zuvor. Zwar sind am 11. Februar Präsidentschaftswahlen
angesetzt, aber um einen demokratischen Urnengang werden sich die
Mächtigen im Land der Turkmenen in guter zentralasiatischer
Tradition wohl kaum bemühen: Schon jetzt besteht kaum ein
Zweifel, dass Berdimuchamedow das Rennen machen wird, obwohl sich
noch fünf weitere Kandidaten um das Präsidentenamt
bemühen.
Im Windschatten Nijasows Der 50-jährige Zahnarzt bewegte
sich seit den 90er-Jahren im Windschatten Nijasows, der sich als
Turkmenbaschi (Vater aller Turkmenen) verehren ließ. Nijasow
baute den Mediziner in aller Heimlichkeit als seinen Nachfolger
auf. Als getreuer Gesundheitsminister exekutierte Berdimuchamedow
eine regelrecht todbringende Gesundheitspolitik.
Auf Anornung Nijasows ließ er Krankheiten wie Aids und
Tuberkulose schlicht "verbieten", Krankenhäuser auf dem Lande
schließen und Pflegpersonal durch Soldaten ersetzen.
Berdimuchamedow und die übrigen Kandidaten wollen an dem Kurs
des "göttergleichen" Turkmenbaschi festhalten - so die
Wahlkampfslogans -, gleichzeitig versprechen sie Reformen:
Studenten sollen ins Ausland reisen dürfen, die Pensionen
wieder bezahlt werden und eine Bodenreform den Bauern mehr Rechte
geben.
"Ich denke, dass das Internet und neue
Kommunikationstechnologien allen Bürgern zugänglich sein
sollten", ließ Berdimuchamedow außerdem über die
Nachrichtenagentur "Reuters" in Richtung Westen verkünden und
damit eine vorsichtige Öffnung des Landes andeuten.
Schmuggelware Mehl Wenn sich ein Land der Welt
verschließt, erfährt man allein an seinen Grenzen, was
dahinter vor sich geht. Bisher wurde an der Grenze zu Usbekistan
billiges Benzin aus Turkmenistan in den Nachbarstaat geschmuggelt.
Doch seit einiger Zeit machen sich Schmuggler mit Mehlsäcken
heimlich über die Grenze in die turkmenischen Dörfer und
riskieren, von den Wachsoldaten erwischt und sogar angeschossen zu
werden.
Turkmenbaschi hatte es in seiner Allmacht versäumt,
genügend Weizen anbauen zu lassen. Die wenigen Touristen, die
das mit goldenen Denkmälern und prunkvollen Palästen
großzügig ausgestattete Land bereisen, bemerkten sehr
schnell die kargen, unbestellten Felder links und rechts der
holprigen Straßen.
Doch das Schicksal der Menschen im Lande hat die Regierenden
in der turkmenischen Hauptstadt bisher wenig interessiert, und auch
im Ausland schaut man eher auf das turkmenische Gas als auf die
Menschenrechte.
Die im Exil verstreute turkmenische Opposition musste das nach
dem Tode Nijasows erneut erfahren. Anfängliche
Blütenträume zerplatzen schnell, die Oppositionspolitiker
wurden in Washington oder in den europäischen
Hauptstädten nicht zu Rate gezogen und verstrickten sich
untereinander in heillosen Intrigen.
Obwohl reich an dem flüchtigen Stoff - nach
Schätzungen des US-Energieministeriums liegen die Vorkommen
bei einem Drittel der Gasreserven Saudi-Arabiens - hängt der
turkmenische Schatz an dem von Russland kontrollierten
Pipelinenetz. So kann der russische Konzern Gasprom turkmenisches
Gas billig erwerben, um es dann zu Weltmarktpreisen
weiterzuverkaufen. Erst im Dezember konnte Nijasow dem russischen
Gasriesen einen Preis von 100 US-Dollar je 1.000 Kubikmeter
abtrotzen, zuvor bezahlte Gasprom nur 60 US-Dollar. Vom
aserbaidschanischen Ufer schaut man daher sehnsüchtig auf das
Kaspische Meer, denn eine Röhre durch das Gewässer
könnte auch das Gas Turkmenistans über die Ende 2006
fertiggestellte Gasleitung von Baku über Georgien in die
Türkei und damit direkt auf den Weltmarkt transportieren.
Aserbaidschan verfügt zwar auch über ein von "British
Petroleum" betriebenes Gasfeld, jedoch könnte turkmenisches
Gas die Route vom Kaspischen Meer durch den kaukasischen
Flaschenhals für die Anrainerstaaten und Europa noch
attraktiver machen.
Zwist mit Aserbaidschan Über diese Route fließen
bereits heute die Bodenschätze der kaspischen Region erstmalig
an Russland vorbei auf den Weltmarkt. Allerdings müssten es
jährlich deutlich mehr als 20 Milliarden Kubikmeter Gas sein,
um dem russischen Monopol in Europa ernsthaft die Stirn bieten zu
können. Dafür ist das Gas aus Turkmenistan
unerlässlich.
Nijasows Eigensinn und der Streit um die Aufteilung des
Binnenmeeres hatten die Projektierung einer transkaspischen
Pipeline bisher verhindert. Der turkmenische Herrscher lag mit der
aserbaidschanischen Führung im offenen Zwist. Die turkmenische
Botschaft in Baku ist daher verwaist, die Beziehungen der beiden
Staaten näherten sich dem Gefrierpunkt.
Wird die neue Führung in Aschgabad den feindseligen Kurs
gegenüber Aserbaidschan ändern und damit das viel
versprechende Projekt der Meerespipeline ermöglichen?
Bisher hat sich Berdimuchamedow in dem turkmenischen
"Wahlkampf" mit dem Projekt einer anderen, noch viel gewaltigeren
Pipeline gebrüstet, die helfen soll, dem russischen
Röhrenmonopol zu entfliehen.
Von Turkmenistan soll ein 10 Milliarden US-Dollar teurer
Strang nach China verlegt werden, um 40 Milliarden Kubikmeter Gas
pro Jahr in das Reich der Mitte zu pumpen. Die Realisierung des an
Größenwahn grenzenden Plans, den bereits Nijasow
angestoßen hatte, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Eine
Pipeline durchs Kaspische Meer würde dagegen ein Fünftel
der Summe verschlingen und wesentlich zur Energiesicherheit der
Europäischen Union beitragen.
Die Fragen, ob das Land in russischer Abhängigkeit bleibt
und ob das turkmenische Gas bald auch nach China oder ohne Umwege
nach Europa fließt, werden durch die Wahl nicht beantwortet.
Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Welt erfährt, wohin
sich das Land der einstigen stolzen Nomaden bewegt. Bis dahin
verharrt der Blick wartend am östlichen Horizont des
Kaspischen Meeres.