Meinhard von Gerkan arbeitet eigentlich recht viel mit dem
Kopf. Selten wird ihm das wohl aber so sehr auf den Nacken
geschlagen sein wie am 31. Januar im Bundestag. Es schien, als
würde der Architekt des Berliner Hauptbahnhofs sein
Unverständnis über das Gehörte gerne noch viel
deutlicher zum Ausdruck bringen als durch permanentes, Na-cken
strapazierendes Kopfschütteln.
Zum ersten Mal seit der gerichtlichen Auseinandersetzung
über die zwar vorgesehene, bisher aber nicht vorhandene
Wölbung der Zwischendecke im Berliner Bahnhof war er vor dem
Verkehrsausschuss persönlich mit den beiden hochrangigen
Bahnvertretern Otto Wiesheu, DB-Vorstand, und Wolf-Dieter Siebert,
Chef aller Bahnhöfe, zusammengetroffen. Ziel des Ausschusses
war es, auch die Architektensicht zum Bahnhofsbau zu hören,
nachdem vor zwei Wochen schon Siebert vor den Abgeordneten aus
Sicht der Bahn geschildert hatte, warum es zu der immensen
Steigerung der Baukosten auf über eine Milliarde Euro und zu
dem verkürzten Dach gekommen ist.
Ursprünglich wollten die Politiker damit Klarheit
schaffen bei einem Projekt, bei dem bisher höchstens das
Ergebnis, der gläserne Bahnhof, durchsichtig zu sein scheint.
Nach rund vier Stunden Debatte war die Verwirrung noch
größer als vorher. Das gilt für die Verkürzung
ebenso wie für die Verlängerbarkeit des Bahnhofsdachs auf
die ursprünglich geplante Länge von 450 Metern. Das gilt
für die exorbitante Steigerung der Baukosten und die
Verantwortlichkeit dafür, und das gilt für den vom Orkan
Kyrill aus der Fassade einer Bürobrücke gerissenen
Stahlträger.
Während die Bahn am 31. Januar erneut bekräftigte,
dass eine Verlängerung des Bahnhofsdaches, wie sie unter
anderem von den Abgeordneten im Verkehrsausschuss einhellig
gefordert wird, nicht möglich ist, weil dafür eine
mindestens sechsmonatige Sperrung der West-Ost-Verbindung
nötig sei, betonte von Gerkan, eine Verlängerung auf die
ursprünglich geplante Länge sei problemlos machbar.
Nach Planungen seines Büros genügten kurzzeitige
Sperrungen der Strecke, zeitweise Schutzmaßnahmen für
die Gleise - bespielsweise durch Netze und die Vormontage wichtiger
Bauteile am Boden. Den Bau des verkürzten Daches, für das
von Gerkan im Januar 2002 den Auftrag zur Umplanung erhalten haben
soll, bezeichnete der Architekt außerdem als
Schildbürgerstreich. Denn, wäre wie geplant im Dezember
2001 mit dem Bau des Daches begonnen worden und hätte das Dach
nicht erst im Januar umgeplant werden müssen, hätte in
der zur Verfügung stehenden Zeit das komplette Dach gebaut
werden können, schilderte von Gerkan den
"Hätte-wäre-wenn-Fall". Darüber hinaus hätte
das komplette Dach für die festgeschriebene Summe von 36,8
Millionen Euro gebaut werden müssen, so der Architekt.
Ebenso weit auseinander liegen die Aussagen des Architekten
und der DB AG bei der Verantwortung für die Bauaufsicht und
die Kontrolle der Kosten. Im Vertrag sei klar fixiert, dass
für beides der Architekt verantwortlich sei, argumentierte die
Bahn. Von Gerkan klagte dagegen, seinem Büro sei im April 2003
die umfassende Bauaufsicht über den Bahnhofsbau auf Wunsch der
Bahn entzogen worden. "Eine Kostenkontrolle durch uns war
schlichtweg nicht möglich, da uns jegliche Zahlen verweigert
wurden", wehrte sich von Gerkan gegen den Vorwurf der Bahn, er sei
seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen.
Der Absturz der Zierstrebe beim Orkan Kyrill wäre
überdies vermeidbar gewesen, wenn die Fassadenstreben so
gebaut worden wären wie er sie geplant habe, sagte von Gerkan.
Er hatte eine Sicherungsschiene vorgesehen, die unter anderem ein
Abrutschen der Bauteile hätte verhindern können. Bei der
weggelassenen Schiene habe es sich lediglich um eine Zierleiste
gehandelt, hielt die Bahn dagegen. Weshalb die Zwei-Tonnen-Strebe
abgestürzt ist, soll ein Beweissicherungsverfahren
ergeben.
Andere Zeit, anderer Ort: Am 1. Februar stand der
Vorstandsvorsitzende der DB AG, Hartmut Mehdorn, den Abgeordneten
des Haushaltsausschusses Rede und Antwort. Hier hatte der Architekt
bisher keine Chance gehört zu werden - obwohl er dies
über seine Rechtsanwälte gefordert hatte.
Auch so blieb jedoch unklar, wer Schuld oder Verantwortung
trägt. Nicht zuletzt deshalb forderten die Abgeordneten die
Bundesregierung auf zu prüfen, wie teuer eine
Verlängerung des Ost-West-Daches des Berliner Hauptbahnhofes
auf 430 Meter ist. Festgelegt hat sich dabei allerdings schon
Mehdorn: Er sieht keine Möglichkeit, das Dach zu
"vernünftigen wirtschaftlichen Bedingungen" zu
verlängern. Der Vorstand der DB AG habe sich entschlossen, das
Dach zu verkürzen, da dies die einzige Möglichkeit
gewesen sei, den Bahnhof rechtzeitig zur
Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in Betrieb zu
nehmen. Die Kosten des kurzen Daches bezifferte er mit 56,5
Millionen Euro. Dazu kämen noch 8 Millionen Euro für die
Lagerung der nicht gebrauchten Dachteile. Dagegen hätten die
Kosten des langen Daches voraussichtlich insgesamt 74 Millionen
Euro betragen. Durch die Umplanung hat es laut Mehdorn im Gegensatz
zur Behauptung des Architekten keine Zeitverzögerung gegeben,
da die endgültige Baugenehmigung erst Ende Januar 2006
vorgelegen habe.
Für Mehdorn ist durch diese Bauweise auch die
Funktionalität des Bahnhofs nicht gefährdet. Die
Reisenden der betroffenen ers-ten Klasse könnten bei Regen so
lange durch den Zug zurücklaufen, bis das schützende Dach
erreicht ist. Er wies darauf hin, dass der Bahnhofsarchitekt
Meinhard von Gerkan auch das kurze Dach geplant und dafür ein
Honorar erhalten habe. Deshalb könne er die Polemik auch nicht
verstehen, die der Architekt gegen die Bahn ins Feld führe.
"Wir als Leidtragende sollen zu Schuldigen gemacht werden", sagte
Mehdorn.
Die Kosten des gesamten Bahnhofs bezifferte er mit 1,025
Milliarden Euro. Die Kosten der Nord-Süd-Verbindung
hätten insgesamt 2,8 Milliarden Euro betragen. Zwar seien auch
bei diesem "Großbau" die Kostenplanungen überschritten
worden, allerdings seien die Bundesmittel von 35 Millionen Euro
für das Dach nicht tangiert worden. Die Abgeordneten
kritisierten unter anderem die schlechte Kommunikationspolitik der
Bahn. Dies sei besonders deutlich geworden beim Sturm Kyrill. Dabei
hatte sich eine tonnenschwere Zierstrebe am Berliner Hauptbahnhof
gelöst, sodass der Bahnhof vollständig geschlossen werden
musste.
Berliner Hauptbahnhof
- Das Dach ist 130 Meter kürzer als ursprünglich
geplant. Statt 450 misst es nur 320 Meter. Während von Gerkan
eine Verlängerung für unproblematisch hält, betont
die Bahn, dies sei nur bei einer sechsmonatigen Sperrung
möglich.
- Die Decke im Untergeschoss des Bahnhofs hat die DB flach gebaut
und nicht wie geplant als Gewölbe. Der Architekt hat die DB AG
deshalb verklagt und im November vergangenen Jahres vom Berliner
Landgericht Recht bekommen.
- Die stählerne Zierleiste wäre nach Aussagen von
Meinhard von Gerkan beim Orkan Kyrill nicht aus der Fassade des
Bahnhofs gestürzt, wenn eine vom ihm geplante Sicherung an den
Trägern befestigt gewesen wäre. Die Bahn habe diese
Sicherung weggelassen.