UNTERHALTSRECHT
In der Koalition ist die Diskussion noch nicht zu Ende
Der zwischen den Koalitionsparteien am 22. März erreichte Kompromiss ist noch nicht in trockenen Tüchern - jedenfalls wenn man der sozialdemokratischen Abgeordneten Christine Lambrecht Glauben schenken darf. Sie sieht noch Diskussionsbedarf bei der Regelung, dass Frauen, die verheiratet waren, finanziell besser gestellt werden sollen als Frauen ohne Trauschein. Viele Sozialdemokraten seien mit der Einigung auch nicht einverstanden, erklärte Lambrecht am 29. März in einer Debatte zum Unterhaltsrecht. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ließ ebenfalls ihren Unmut erkennen.
Union und SPD hatten eine Verständigung erreicht, dass die Ansprüche von Kindern - egal, ob sie in einer ehelichen oder nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft aufwachsen - immer Vorrang genössen. An zweiter Stelle kämen die Ehefrauen, die Kinder erziehen und langjährige Ehefrauen ohne Kinder. Die Lebenspartner ohne Trauschein kämen nach diesen Plänen ganz zuletzt - wenn noch genug Geld vorhanden ist. Die neue Regelung liegt dem Bundestag noch nicht vor. Sie tritt vermutlich am 1. Juli dieses Jahres in Kraft.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach (SPD), gestand ein, man hätte sich gewünscht, mit dem Unterhaltsrechtsgesetz schneller voranzukommen. Aber einige in der CDU/CSU hätten wohl auf der Zielgeraden "kalte Füße bekommen".
Trennung und Scheidung brächten viele Familien in eine sehr schwierig Lage. Kinder aus Zweitfamilien hätten künftig den gleichen Anspruch auf Unterhalt wie Sprösslinge aus der ersten Familie. Im Übrigen sei die Regierungskoalition festen Willens, das Gesetz nun nicht "irgendwo in den Orkus verschwinden zu lassen". Das könne man sich gar nicht leisten. Es sei sichergestellt, dass Kinder bis zu drei Jahren zu Hause erzogen werden könnten. Ab dem 4. Lebensjahr müssten die Kinder in einer Betreuungseinrichtung einen Platz finden können.
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wies darauf hin, ihre Partei habe die Reform unterstützt. Die zu einer Anhörung eingeladenen Sachverständigen hätten dies ebenfalls getan. Nun herrsche Stillstand, beklagte die Abgeordnete. Eine gute Nachricht sei, dass die Ansprüche von Kindern zuerst befriedigt werden sollten. Aber was sei mit der nichtverheirateten Mutter?, fragte Leutheusser-Schnarrenberger. Nach Ansicht der FDP gebühre ihr im Unterhalt der gleiche Rang wie der Mutter mit Trauschein. Nach dem zwischen den Koalitionsparteien erreichten Kompromiss würden Frauen ohne Trauschein in vielen Fällen leer ausgehen, anders als dies noch Zypries' Entwurf vorgesehen hatte.
Schon zuvor hatte sich die liberale Abgeordnete dafür ausgesprochen, dass das neue Unterhaltsrecht nur für Scheidungen gelten dürfe, bei denen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes der Scheidungsantrag eingereicht wird. Das Justizministerium plant nach derzeitigem Stand eine rückwirkende Regelung. Viele Unterhaltsempfänger müssten danach damit rechnen, dass die ihnen zustehenden Geldbeträge neu festgesetzt würden. Ute Granold (CDU/CSU) vertrat die Ansicht, das Kind "als schwächstes Glied" in der Gesellschaft müsse in den Mittelpunkt der Bemühungen gestellt werden. Aber: Die Ehe sei eine verfassungsrechtlich geschützte Institution. Das Grundgesetz spreche da eine sehr deutliche Sprache. Ihre Fraktion hat Granold zufolge ein "sehr modernes Bild von der Ehe". Sie ignoriere nicht die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte. Die gesellschaftlichen Veränderungen in der Vergangenheit - wie die hohe Zahl von Scheidungen, mehr Alleinerziehenden und mehr unverheirateten Eltern bewiesen - machten deutlich, dass es nun gelte, die Realität anzunehmen. Für die Union sei die Ehe aber mehr als ein bloßes "Zusammenleben auf Zeit". Für die Sozialdemokraten nannte Christine Lambrecht ganz offen das Vorgehen der Union "verwunderlich". Da sei eine "ideologische Auseinandersetzung" im Spiel gewesen. Zwar bleibe es dabei, dass die Kinder als Erstes die Unterhaltszahlung genössen: Das "konnten wir retten." Aber alle Ex-Ehefrauen würden nunmehr vorrangig bedient. Die Frauen ohne Trauschein würden nach hinten rücken, so Lambrecht weiter. Dies sei fragwürdig.
Jörn Wunderlich (Linksfraktion) monierte, wenn das Hauptziel der Reform laute, das Kindeswohl zu stärken, dann sei das Ergebnis äußerst mager. Kinder und allein erziehende Eltern (in erster Linie Frauen) seien die Verlierer dieser beschlossenen Änderung. Der Union warf Wunderlich vor, sie hätte ein Frauenbild "aus dem vorletzten Jahrhundert". Im Übrigen habe die Koalition kein Interesse an parlamentarischer Beratung. Seit nunmehr einem Jahr liege der Kabinettsbeschluss vor.
Für die Grünen bezeichnete Ekin Deligöz das Prinzip, der Trauschein hat Vorrang vor der Kindererziehung als die Nicht-Anerkennung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften. Wenn "das Ihr Verständnis von der Förderung des Kindeswohls ist, dann haben Sie irgendetwas falsch verstanden". Für ihre Partei sei und bleibe das Prinzip: Das Kindeswohl komme vor dem Trauschein.
Die Zahl der Scheidungen in Deutschland stieg übrigens von 156.425 im Jahr 1993 auf fast 213.700 im Jahr 2004. Das ist eine Zunahme um 36,8 Prozent.