DIENST BEI DER BUNDESWEHR
Eine Armee wandelt sich. Und die Offiziere von morgen suchen nach einer neuen Identität.
Schon von weitem ist die Gorch Fock im Hafen von Ibiza zu sehen. Die 23 Segel des eleganten Schulschiffs der Deutschen Marine sind voll gesetzt, weiß leuchtet der 89 Meter lange Schiffskörper in der spanischen Mittagssonne. Und zu hören ist von dort quer über die Mole: "Hol weg! Hol weg!", brüllt ein atemloser Chor. Stiefelpoltern, eine Hundertschaft junger Soldaten rennt übers Deck und klettert die Takelage der drei 45-Meter-Masten empor. In ihren blauen Arbeitsoveralls und den orangeroten Brustgurten sehen sie alle gleich aus. Zwischen den kurz geschorenen Köpfen der Jungs wippen ein paar Pferdeschwänze: Von den 288 Kadetten, die zum 1. Juli 2006 ihre Ausbildung angetreten haben, sind fast ein Viertel junge Frauen. Die Marine hat seit zwei Jahren nach eigenen Angaben die höchste Quote an weiblichen Offiziersanwärtern in der Bundeswehr im Vergleich zum Heer und zur Luftwaffe. In drei bis fünf Jahren, so schätzt man an der Marineschule Mürwik in Flensburg, könnte es die erste Kommandantin geben.
Eine mögliche Kommandantin dürfte auf andere Einsatzbedingungen treffe, als sie zu Beginn ihrer Ausbildung galten: Denn der Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert. Im Juli 1994 legte das Bundesverfassungsgericht fest, dass jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der vorherigen Zustimmung des Bundestages bedarf. Seit 2005 regelt ein Parlamentsbeteiligungsgesetz den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland. Am 20. September 2006 beschloss der Bundestag danach ein "robustes Mandat" für die Bundeswehr im Libanon. Zu ihren Aufgaben zählen besonders die Aufklärung und Kontrolle der Seewege, um den Waffenschmuggel zu verhindern. Von den für den Einsatz eingeplanten bis zu 2.400 Soldaten entfallen 1.500 auf die Marine. Die Offiziersanwärter segelten unterdessen als "Botschafter in Blau" auf dem pittoresken Schulschiff Gorch Fock durch das Mittelmeer und den Atlantik. Sie lernten 160 Belegnägel, an denen man die Taue festmacht, zu unterscheiden, und wie man in Hängematten auf engstem Raum unter Deck schläft. Sie bargen und setzten Segel, auch nachts und im Sturm. Als sie am 21. Dezember in die Ostsee zurückkehrten, war die Realität längst wieder weiter. Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan war verlängert worden, der "Spiegel" hatte unter Berufung auf Nato-Verbündete den Vorwurf erhoben, die deutschen Soldaten seien zu zurückhaltend, regelrecht feige. Es folgte eine neue Debatte um die Rolle des deutschen Militärs. Jüngst billigte die Bundesregierung Tornado-Aufklärungsflüge über Afghanistan und Verteidigungsminister Franz Josef Jung kündigt an, dass mehr denn je "zivil-militärische" Kriseneinsätze im Rahmen von Nato, EU und Vereinten Nationen (UNO) erfolgen werden.
Schärfer könnte einem der Atem der Geschichte nicht in den Nacken blasen. Korvettenkapitän Brehmer lächelt ein wenig nachlässig, als wollte er sagen: Davon geht die Gorch Fock trotzdem nicht unter. Der Inspektionschef in der Marineschule Mürwik und Vorgesetzte der Kadetten kennt die Diskussion seit 2003, als das Verteidigungsministerium die neuen Richtlinien erließ, nach denen sich die Truppe von der Landesverteidigung auf Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Ausland umstellen soll. "Wir wollen nicht den Krieger mit einem Messer zwischen den Zähnen, sondern den Staatsbürger in Uniform", stellt Brehmer auf die Frage, was das für die künftigen Offiziere bedeute, klar. "Gewalt erzeugt nur Gegengewalt. Wir erziehen unsere Offiziere dazu, sich nicht als Rambo zu sehen. Wir wollen den Manager, den Technokraten." In diesem Sinne erfahren die Offiziere von morgen weniger militärischen Drill als eine fortschrittliche Schulung. An die 15-monatige Grundausbildung schließen sich ein höchstens 39-monatiges Studium und zwölf Monate Fachausbildung an. Die restlichen 6 ? Jahre ihrer zwölfjährigen Dienstzeit werden sie zur See zu fahren. Aber erst einmal büffeln sie moderne Personalführung, analysieren Motivationsprozesse und Bedürfnisstrukturen.
Wenn im Sport-Test einer durchfällt, strengt die Klasse eine Diskussion über die Gerechtigkeit des Testverfahrens an. Darüber seufzen die Lehrer, die finden, dass die körperliche Fitness der Schüler durchaus zu wünschen übrig lasse. Dennoch geben sie den 19- bis 23-Jährigen viel Freiraum. Manche Ausbilder zeigen sich sogar so lässig, dass sie es als legitim ansehen, im Soldatenberuf "einfach einen Job" zu sehen. Die Bundeswehr müsse eben mit dem zivilen Arbeitsmarkt und mit zivilen Unternehmen konkurrieren, sagen sie. Entsprechend müsse man sich anpassen in der Unternehmens- und ein Stückweit auch in der Führungskultur. Insgesamt unterscheide sich die Armee heute nicht sehr von anderen Firmen.
Zusammen mit dem auf zwölf Jahre gesicherten Arbeitsverhältnis und der ordentlichen Bezahlung für Zeitsoldaten erklärt dieses liberale Credo, warum die Bundeswehr auch für Jugendliche attraktiv ist, die sonst um das Militär einen Bogen gemacht hätten. Eine Einstellung, die irgendwann zu bösen Missverständnissen führen könnte. So zeigten sich manche Kadetten der Goch Fock überzeugt, dass man sie nicht zu einem Kampfeinsatz zwingen könnte. Wer eine Situation nicht mittrage, müsse sie auch nicht mitmachen, glauben sie. Falls es zum Einsatz komme, werde nicht nach persönlichen Wünschen gefragt, erklären die Vorgesetzten dagegen: "Die Krisengebiete sucht man sich nicht aus." Die Botschaft ist immerhin bei den meisten angekommen. "Die Situation ist nicht mehr die gleiche wie vor 15 Jahren, als einer zur Bundeswehr kommen konnte, studieren, zwölf Jahre im Büro, dann kommt er heraus und alles ist gut. Wir müssen uns alle darauf vorbereiten, in Einsätze zu kommen, die nicht unbedingt harmlos sind", sagt Benedict Warkus. Der 20-Jährige blickt in eine Runde von zehn gleichaltrigen Kameraden, die sich zu einer Debatte nach Unterrichtsschluss zusammengefunden haben. Rundherum zustimmendes Nicken. "Man sieht ja, dass die Einsätze immer mehr werden, die Schiffe bleiben länger draußen als geplant und es gehen mehr Soldaten heraus", stellt Daniel Briel fest. Für Daniel Feller ist es ein wichtiger Punkt, "dass wir unsere Vergangenheit viel strenger sehen als die Amerikaner oder Kanadier. Wir bewerten unser Verhältnis zu Krieg und Töten ganz anders. Ich finde es auch nicht verkehrt, dass wir mit unserer Geschichte strenger sind, aber bei manchen schlägt es dann ins gegenteilige Extrem um. Man findet den richtigen Mittelweg nicht." Florian Douvenot gehört eigentlich zur französischen Armee, durchläuft aber seine Offiziersausbildung bei dem deutschen Nato-Partner. Für ihn "ist das Problem typisch deutsch und kommt noch immer aus dem Zweiten Weltkrieg. Jede Armee hat Fehler gemacht, die Amerikaner haben die Atombombe abgeworfen und Vietnam hinter sich, die Franzosen die Kolonialkriege. Das wird aber nirgends so sehr erinnert", beobachtet er. Sascha Reuter gibt zu bedenken: "Es gibt ja den Vorwurf, dass Deutschland seine Geschichte als Vorwand benutzt, um sich weitergehenden Einsätzen zu entziehen. Ich glaube, das ist ein Prozess, der noch dauert." Philipp Wiedemann dagegen denkt nicht, dass für diesen Prozess Zeit bleibt: "Natürlich befindet sich Deutschland jetzt im Zugzwang. Die Debatte läuft jetzt über Einsätze in Süd-Afghanistan. Ich glaube, dass Deutschland dort früher oder später Präsenz zeigen müssen wird, weil es auch so aussieht, dass man gewisse Opfer bringen muss, wenn man in der Nato weiter mitreden will."
Zwischen dem alten Gespenst des deutschen Militarismus und dem Pazifismus der jüngeren Geschichte, der inzwischen selbst in die Krise geraten ist, suchen die jungen Offizier nach einer neuen Identität. Die jüngsten Bilder aus Afghanis-
tan, bei denen deutsche Soldaten in Söldner-Manier brutal posierten, haben dabei den "Staatsbürger in Uniform" bestärkt. "Was heißt das: Töten lernen? Man ist nicht Soldat, um zu töten, Waffeneinsatz ist das letzte Mittel, das weiß hier jeder", so Benedict Warkus. Seine Kollegin Stefanie Röding wollte ursprünglich Polizistin werden. "Ich bin zur Bundeswehr gekommen, weil ich immer wieder davon gehört, was sie alles macht", erzählt die 20-jährige Leipzigerin. Die Aufgaben liegen für sie "in der Friedenssicherung im Ausland, Krisenvermittlung, Blauhelm-Einsätze etc.". Darum werde es auch in Zukunft gehen, "in Afghanistan, Kosovo oder am Horn von Afrika." Am liebsten möchte sie später in eines der Boarding Teams, die verdächtige fremde Schiffe entern und durchsuchen. Doch zuerst wird sie an der Bundeswehruniversität Pädagogik studieren und sie sagt: "Wir gehen nirgendwo hin, um irgendjemand wahllos zu erschießen, sondern den Menschen zu helfen, die unter Terror leiden. Die Leute, die den Terror ausüben, haben dann eben Pech." Janine Asseln hatte zunächst Angst bei dem Gedanken an den Einsatz. "Ich dachte, hoffentlich muss ich nicht auf einen Einsatz. Man weiß am Anfang ja nur: da sind Attentate, da ist Krieg, da muss man hin. In der Ausbildung wird einem aber genau gezeigt, was man wann macht. Und man weiß, dass man nicht allein ist, es sind immer Kameraden da."
Vor einem Jahr haben Stefanie, Janine und die Jungs vor der Prüfungskommission der Bundeswehr gesessen. Einige hatten schon einen Studienplatz in Medizin oder Politikwissenschaft oder beim Technischen Hilfswerk. Sie haben sich für das Militär entschieden, weil sie glauben, dort humanitär mehr bewirken - und zudem auch gut verdienen zu können. Sie sind die Schüler, von denen Korvettenkapitän Brehmer immer geträumt hat. Sie ahnen, dass ihnen das künftig wenig nützen könnte. Am Ende der letzten Schulstunde an einem sonnenhellen Februartag zeigt ein Lehrer in Mürwik ein Video, das Piraten im Pazifik bei einem Überfall gedreht haben. Man sieht, wie ein kleines Kriegsschiff von den heran rasenden Piratenbooten beschossen und geentert wird. Eine dunkle Flüssigkeit strömt von Deck. Das ist keine Farbe, sagt der Lehrer. Die Piraten reißen Witze über die letzten Überlebenden der Mannschaft. Dann sinkt das ausgeräuberte Boot Kiel über ins Meer. In der Klasse ist es still geworden.