POTSDAM
Der Titel Welterbe ist kein Werbegag, sondern eine umfassende kulturelle Verpflichtung. Manche merken das zu spät.
Es war der erste Kampf zwischen der Welterbekommission der Unesco und einer deutschen Kommune, der international Aufsehen erregte: 1996 begann der Streit um das so genannte "Potsdam-Center". Der bisher eher beschauliche Hauptbahnhof der Hauptstadt Brandenburgs sollte zur ausgewachsenen Shoppingmall mit hochragenden Passagen und weit ausladenden Lagerhallen werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Schlösser und Gärten nur knapp fünf Jahre in die Welterbeliste eingetragen.
Über die architektonische Qualität des Potsdam-Centers und seine Wirkung für die Struktur der Innenstadt wurde kaum gestritten; seine schieren Dimensionen sorgten für Aufregung. Stellten sie sich doch den künstlerischen Hauptelementen der Schlösser und Gärten in den Weg, den oft viele Kilometer langen Sichtachsen sowie den breit gelagerten und die Szenenabfolge des Filmzeitalters vorwegnehmenden Landschaftsbildern. Immer wieder wurden Kompromisse angekündigt und dann, meist mit dem Verweis auf wirtschaftliche Einschränkungen und bevorstehenden Arbeitsplatzabbau, entweder vom Investor, der Bahn oder auch der Stadt verworfen. Bürgermeister Horst Gramlich betonte zwar beständig seine Liebe zu den Schlössern, aber auch, dass Potsdam eine aufstrebende Dienstleistungsmetropole sein wolle, also Entwicklung brauche.
Dabei hatte alles so hoffnungsfroh begonnen. Bereits zu DDR-Zeiten hatte die Schlösserverwaltung angeregt, die Schlösser und Gärten Potsdams der Unesco als Welterbe anzumelden. Seit dem späten 17. Jahrhundert war Potsdam zur Nebenresidenz der Hohenzollern ausgebaut worden, die für Friedrich II. gar bedeutender war als Berlin. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts an wurde sie zum Gesamtkunstwerk aus Grün- und Landesplanung, Stadtbaukunst, Schlösser-, Dekorations- und Nutzbauarchitektur entwickelt.
Trotz des herausragenden Charakters der Schlösser und Gärten kam das Projekt Welterbe bis 1989 nicht in die Gänge: In Babelsberg und im Neuen Garten waren Teile der Parkanlagen durch den Mauerstreifen verwüstet, der für die SED unantastbar war. Noch 1988 wurde die Villa Alexander im Grenzstreifen abgerissen, deren schlanker Turm bis weit nach Glienicke gewirkt hatte. Die Kirche von Sakrow, deren Bogenreihen romantisch aus der Havel herauswachsen, wurde zwar saniert, blieb aber - aus der Sicht der DDR - unzugänglich direkt hinter der Mauer.
Endlich stellte die DDR im Wendejahr doch noch den Antrag für ihren Teil der Schlösser und Gärten, im Juni 1990 folgte die Bundesrepublik für den West-Berliner Teil, die Pfaueninsel und die Schlösser in Glienicke. Am 1. Januar 1991 wurden beide gemeinsam in die Welterbeliste eingetragen. Der Titel war nicht nur kulturelle Auszeichnung; er war auch eine Morgengabe an die zusammenwachsende Republik. Genau dieser Bedeutung wegen war auch das Unverständnis bei der Unesco in Paris besonders groß, dass sich die Potsdamer Stadtverwaltung mit einer erstaunlichen Energie dagegen wehrte, Rücksicht auf das Welterbe zu nehmen.
Nun wurde nicht nur der gigantische Hauptbahnhof genehmigt und ein ganzer Block der Innenstadt für ein Kaufhaus ausgekernt, sondern auch das Glienicker Horn zur Bebauung frei gegeben. Diese weit in die Havel zwischen den Parks von Babelsberg und Glienicke sowie der Glienicker Brücke vorspringende Landzunge war 1990 nicht in das Welterbe eingetragen worden, auch weil sich keiner in den Schlössern und im Potsdamer Denkmalamt vorstellen konnte, dass eine Bebauung mitten im Sichtachsennetz des Welterbes gestattet würde, hier, wo bis nach Sakrow zu sehen und ein schon im 19. Jahrhundert mit dem Anblick Roms von der Villa Medici verglichenes Panorama zu genießen war.
Die Stadtverwaltung und auch wesentliche Teile der Brandenburger Landesregierung waren anderer Meinung. Sie hofften, einen Teil des erwarteten Wachstums von Berlin abzuzweigen. Es entstanden also 26 "Stadtvillen", die derartig banal sind, dass sie die glanzvolle Lage nicht einmal für die Aussicht der Bewohner inszenieren. Selbst die primitivste Grundregel des 19. Jahrhunderts wurde missachtet: Dies ließ nur die Schlösser vor dem Grün der Parks hell strahlen, Nebengebäude hingegen mit gedeckten Farben in den Hintergrund treten. Die Stadtvillen nun sind hell gestrichen und drängen sich in den Vordergrund des Welterbes.
Erst nach und nach wurde in den späten 90er-Jahren deutlich, dass die Konfrontationen mit der Unesco und die zwischen Schlösserstiftung und Stadt auf Dauer unhaltbar sind. Abgeordnete, Wirtschafts- und Planungsverwaltungen begriffen, dass die Eintragung auf die Rote Liste der gefährdeten Denkmale kein Ehrentitel für stolzes Bürgertum ist. Es gab mit Matthias Platzeck einen neuen, aus der Oppositionsbewegung der DDR gewachsenen Bürgermeister, es gab neue Wählerschichten, die Potsdams Schönheiten zu schätzen wussten, der wirtschaftliche Wert der Schlösser wurde deutlicher. Doch die Schandtaten waren getan.
In dem über Jahre dauernden Konflikt zwischen Unesco und Potsdam, Schlösserstiftung und Stadt zeigten sich viele Elemente, die immer auftauchen in den Konflikten um Deutschlands Welterbestätten: Stadt- und Landespolitiker wünschen sich zwar den Titel, meinen aber, er sei keine Einschränkung ihrer Planungshoheit; Planer denken, wenn ihre Vorplanungen in den Antragspapieren stünden und die Unesco den Titel trotzdem gewähre, seien die Planungen damit auch genehmigt; Warnungen werden ignoriert - beim Potsdam Center hatte die Unesco bereits 1996 moniert, dass es zu groß werde und sich nicht mit der Kunstlandschaft der Schlösser und Gärten vertrage. Doch der Titel Welterbe ist kein Werbegag, sondern eine umfassende kulturelle Verpflichtung. Anders ausgedrückt: Die Havellandschaft ist eben keine Potsdamer Angelegenheit mehr.