Hildesheim
Ein neuer Studiengang soll Architekten für den Umgang mit alten Gebäuden ausbilden
"Wir brauchen weniger großartige Entwerfer, sondern mehr Architekten für die Praxis und leidenschaftliche Macher." So beschreibt Anna Katharina Zülch das künftige Berufsbild im Bauwesen. Die Hamburger Architektin unterrichtet am neuen Studiengang für Baudenkmalpflege der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim.
Für Neubauten, sagt sie, gebe es immer weniger Raum, das Baugeschehen habe sich verlagert auf die Erhaltung und Modernisierung alter Gebäude. "Heute schon werden gut 2 von 3 Euros mit dem Bauen im Bestand verdient", bestätigt Martin Thumm, Architekturprofessor und Leiter des Hildesheimer Studiengangs, "doch die meisten Architekten können mit alten Gebäuden nicht umgehen, sie sind dafür nicht ausgebildet." Bau- und Planungsfehler bei Altbauten führten oft zu unnötigen Folgekosten.
Die HAWK Hildesheim will mit dem neuen Masterstudiengang Baudenkmalpflege nun für kompetenteren Nachwuchs sorgen. Seit dem Wintersemester 2006 können Architekten, Kunsthistoriker, Restauratoren, Bau- oder Holzingenieure hier eine Zusatzqualifikation erwerben. Dazu müssen sie sich zwei Semester lang mit Baugeschichte, Bauphysik, Materialkunde oder archäologischer Forschung auseinandersetzen. In praktischen Projekten lernen sie zudem, neue Entwürfe sensibel in alte Gemäuer einzupassen, unabhängig davon, ob es sich um ein Gebäude aus dem 14. Jahrhundert oder aus den 60er-Jahren handelt. "Jeder Fall liegt anders, jedes Gebäude muss individuell erforscht werden", erzählt Daniel Siemer. Der angehende Architekt findet ein neugotisches Kellergewölbe ebenso faszinierend wie das Fachwerkdach einer alten Schäferei.
Der fachgerechte Umgang mit dem Material ist meist die größte Herausforderung, berichtet Dozentin Zülch, "Altbauten bringen ungeahnte bauphysikalische Probleme mit sich".
Lehm, Backstein oder Beton reagierten völlig unterschiedlich auf Warmluft oder Nässe. Ein 20er-Jahre-Bau habe andere klimatische Voraussetzungen als eine Gründerzeitvilla. Und nicht jedes Holz eigne sich für eine Dachkonstruktion aus dem 17. Jahrhundert und entspreche zugleich den modernen Normen für Brandschutz und Statik. Fast unlösbar erscheinen die Probleme beim Thema Energie. "Viele Altbauten haben eine schlechte Energiebilanz", erklärt Martin Thumm. "Aber wie kann man ein denkmalgeschütztes Gebäude kostengüns-tig dämmen, ohne die Fassade zu zerstören?" Neben diesen technischen Fragen werden auch soziale Kompetenzen vermittelt, denn bei der Erhaltung von Gebäuden geht es selten konfliktfrei zu. Der Architekt muss viele Gespräche führen mit Bauherren, Behörden, politischen Gremien und sich abstimmen mit künstlerischen Gewerken wie Restauratoren, Stukkateuren, Zimmerleuten.
Und er muss Fördermittelanträge schreiben. "Das Bauen im Bestand ist Kärrnerarbeit", sagt Felicia Riess von der Architektenkammer Niedersachsen. Sie begrüßt das neue Studium. "Wir hoffen, dass sich damit für den Berufsstand neue Tätigkeitsfelder auftun, denn noch immer landen viele Architekten nach dem Studium in der Arbeitslosigkeit."
Auch Studentin Anja Welke hofft, dass das Studium der Baudenkmalpflege ihr einen Vorsprung bei der Stellensuche verschafft. "In Büros, Behörden und bei Fördermittelgebern wird immer öfter auf denkmalpflegerische Kompetenz geachtet", erzählt sie. Die 15 Studenten am Fachbereich wissen, dass man im Altbau nicht das große Geld verdienen kann. Und sie wissen, dass Denkmalpflege oft mit kommerziellen Interessen kollidiert. Bei einer Exkursion nach Oldenburg konnten sie das beim aktuellen Streit um den Bau des innerstädtischen Einzelhandelszentrums hautnah miterleben. Sie haben selbst mit dem Oberbürgermeister, dem Stadtbaurat und dem Landesdenkmalamt gesprochen und eigene denkmalgerechte Entwürfe für eine Einkaufsmeile in der historischen Altstadt erstellt. Ihre Modelle hatten jedoch zu keiner Zeit eine Chance gegen die wirtschaftlichen Interessen: Das Einkaufsparadies wird ohne denkmalpflegerische Kompromisse gebaut. "Da hat man ein Gefühl der Ohnmacht", meint Daniel Siemer.
Doch das nächste Projekt liegt schon auf dem Tisch. Die Fachhochschule soll eine Machbarkeitsstudie für den Bahnhof Nordstemmen erstellen. "Das Gebäude ist ein kulturhistorisch wertvolles Beispiel für Backsteinhistorismus", schwärmt Martin Thumm. Die Bahn will es allerdings abreißen. Hier können die Studenten zeigen, ob es ihnen gelingt, ein tragfähiges Nutzungskonzept zu erstellen, um das technische Baudenkmal zu retten.
Die Autorin ist Journalistin in Hannover.