Tag des offenen denkmals
Im September dreht sich zwei Tage lang alles um das kulturelle Erbe
Die Dorfkirche in Mellnsdorf, ein Örtchen zwischen Jüterbog und Wittenberg in Brandenburg, bietet einen traurigen Anblick. Der Feldsteinbau aus dem frühen 13. Jahrhundert wirkt wie amputiert. Glockengeschoss und Turmspitze liegen auf dem Kirchhof. Die Diagnose war vernichtend: "akut baufällig".
Jetzt fehlt dem Dorf der wesentliche Teil seiner Silhouette. Doch die 83 Einwohner der Gemeinde sehen dem Verfall ihrer Kirche nicht tatenlos zu. Im Sommer 2005 gründete sich ein Förderverein, der Spenden aquiriert, Fördergelder beantragt und die Instandsetzung voranbringt. Mittlerweile sind Apsis, Altarraum und das Kirchenschiffdach abgedichtet. Obwohl die Dorfkirche noch weit von ihrer einstigen Schönheit entfernt ist, wird sie am "Tag des offenen Denkmals" am 8. und 9. September ihre Pforten für die Allgemeinheit öffnen. 2007 steht der 15. "Tag des offenen Denkmals", von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz initiiert und koordiniert, unter der großen Überschrift "Orte der Einkehr und des Gebets - Historische Sakralbauten".
Die Bilanz der Initiative der Deutschen Stiftung Denkmalschutz kann sich sehen lassen: In über zehn Jahren besichtigten über 30 Millionen Bundesbürger ein Kulturdenkmal. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz nennt den "Tag des offenen Denkmals" eine "der erfolgreichs-ten Kulturveranstaltungen in Deutschland". 2006 verbuchte sie neue Rekordzahlen: 4,5 Millionen Menschen besuchten über 7.000 Denkmäler in über 2.500 Kommunen. 1993, im Auftaktjahr, zählten die Veranstalter zwei Millionen Besucher bei 3.500 Denkmälern in 1.200 Kommunen.
Es geht bei dieser Aktion um mehr als um ein touristisches Programm. Menschen sollen Denkmäler, die historisches Erbe sind und für Werte und Lebensweisen aus einer vergangenen Zeit stehen, von ganz neuen Seiten kennen lernen. Die Idee zum "Tag des offenen Denkmals" hatte 1984 der Franzose Jack Lang. 1991 griff der Europarat die Idee auf und rief offiziell die "European Heritage Days" aus. 2006 beteiligten sich 48 Länder Europas.
Damit der "Tag des offenen Denkmals" so viel öffentliche Wirkung wie möglich entfaltet, stellt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den regionalen Veranstaltern wie Vereinen und Kirchengemeinden kostenlose und kostenpflichtige PR- und Informationsmaterialien zur Verfügung. Mit Plakaten, Fahnen, und Aufklebern promoten die Einladenden "ihre" Denkmäler. Denn viele sind vom Verfall bedroht. "Der Staat zieht sich immer mehr zurück. Das muss aufrütteln. Wir wollen als ideelle Förderin mit dem ,Tag des offenen Denkmals' etwas in Bewegung setzen", unterstreicht Carolin Kolhoff, Referentin für Öffentlichkeits- arbeit.
Der Aktionstag ist schon deshalb für Architekturfreaks und Geschichtsbewusste reizvoll, weil historische Bauten und Stätten, die sonst nicht allgemein oder nur teilweise zugänglich sind, ihre Tore öffnen. Neben Kirchen, Klöstern und Synagogen, die heute oft nur noch zu Gottesdiensten besucht werden können, sollen im September 2007 auch Kulturdenkmäler gezeigt werden, deren Bezug zum Thema etwas weiter gefasst ist: Wegekreuze, archäologische Ausgrabungen von Stätten mit kultisch-religiösem Hintergrund, Denkmäler entlang von Pilgerwegen, Spitäler, Schulen und Stifte, die auf kirchliche Gründer und Erbauer zurückgehen. Ein Kirchturm verweist unmittelbar auf einen Ort für Gebet und geistliche Einkehr.
Aber es gibt nicht wenige Baudenkmale mit eher verborgenem religiösen Bezug: In einem barocken Kellergewölbe einer Stadtbücherei befinden sich gut erhaltene Reste einer Mikwe, eines jüdischen Ritualbads; bei einem "Schlosshotel" handelt es sich um ein ehemaliges Domherrenpalais, das noch über eine Hauskapelle verfügt. Eine viel befahrene Bundesstraße folgt im Verlauf dem einst wichtigsten Streckenabschnitt des deutschen St. Jakobus-Pilgerweges.
Wer sein Denkmal präsentiert, muss sich etwas einfallen lassen, damit es "erlebbar" wird und auf Resonanz stößt. Die Evangelische Kirchengemeinde Dresden Leubnitz-Neuostra steckt schon mitten in den Vorbereitungen. Die Gemeinde - mit einer der ältesten Kirchen Deutschlands - wird ein Konzert mit der "Musica da camera Dresden" anbieten. Dazu sind Kirchen- und Friedhofsführungen und eine Ausstellung mit Utensilien aus dem Kirchenleben geplant. Ohne Laien wäre das nicht zu stemmen. Pfarrerin Gabriele Führer schätzt das niedrigschwellige Angebot am Aktionstag. Die Menschen kämen nicht nur aus kulturhistorischem Interesse. "Oft entwickeln sich durch Führungen und Besichtigungen auch Gespräche über Lebensfragen."
Der Aktionstag ist auch ein Tag der Experten, die sonst nicht im Rampenlicht stehen. Denkmalpfleger berichten von ihren Aufgaben, Archäologen, Restauratoren und Handwerker und Spezialisten wie Glocken- und Orgelsachverständige zeigen, wie sie arbeiten. Sie lenken den Blick auf Details, die dem ungeschulten Auge verborgen bleiben.
Das Motto "Orte der Einkehr und des Gebets - Historische Sakralbauten" soll zeigen, wie eng die Geschichte des abendländischen Europa mit dem religiösen Leben verwoben ist. Als mäzenatische, karitative und interkulturelle Akteure haben die großen Kirchen und Religionsgemeinschaften das Wertefundament maßgeblich geprägt. Diese alten Werte und Inhalte werden am 8. und 9. September neu lesbar gemacht.
Die Autorin ist freie Journalistin in Bonn.