REISE
Jason Elliot liefert einen der besten politischen Berichte aus dem Persien Chatamis
Jede Generation muss den Orient neu für sich entdecken. Erst vor fünf Jahren öffnete der britische Reiseautor Jason Elliot uns Europäern die Augen mit seinem Buch "Unerwartetes Licht. Reisen durch Afghanistan" (Malik Verlag 2002). Sein Bericht vom Hindukusch liest sich wie ein Abenteuerroman: Während er in Kabul frühstückt und sich mit Bekannten über eine "rätselhafte Miliztruppe" (die Taliban) unterhält, schlagen in der Nachbarschaft bereits die ersten Granaten ein. In bunten Bildern schildert der Autor die Lebensbedingungen im belagerten Kabul und auf dem Land, die Härte, aber auch die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Afghanen. Diese Beobachtungen machen Elliots Buch zu einem Dokument der Zeitgeschichte und einem spannenden Roman zugleich. Denn nur wenige Autoren haben sich eine Reise durch Afghanistan in Kriegszeiten zugemutet. Dabei herausgekommen ist ein faszinierendes Buch, das an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen werden soll.
Auch Jason Elliots neues Werk, sein aktueller Bericht über Persien, erfüllt die Erwartungen. Dieses Mal machte sich der mutige Engländer in den Iran auf, um sich eingehend mit der 3000-jährigen Geschichte und Kultur des Landes zu beschäftigen. Veröffentlicht hat er jetzt eine unterhaltsam geschriebene Studie über die persische Kunst und Architektur, die die Menschheit enorm bereicherte. Allerdings musste seine Darstellung der vorislamischen Kunst dürftig bleiben, da in den Teheraner Museen davon kaum noch etwas zu sehen ist - im Unterschied zur islamischen Kunst. Immer wenn Elliot die Betrachtung der traumhaft schönen Architekturdenkmäler zu langweilen beginnt, schaltet er um und wendet sich den Menschen zu. Schließlich haben die Iraner ein offenes Ohr für Ausländer.
Furcht, ihre Meinung zu sagen, kennen sie dabei nicht. Sie sagen, was sie meinen, auch wenn das, was sie sagen, immer hoch politisch ist. Amüsiert und ehrfürchtig zugleich beschreibt der ausländische Beobachter den Autoverkehr in Teheran, wo er glaubt, eine "aufgestaute Wut gewaltigen Ausmaßes zu spüren". Denn die Fahrer rasten aufeinander zu wie Piloten in ihren Kampfjets. Wer ist dafür verantwortlich, dass sich Teheran zu einer Megapolis mit 15 Millionen Einwohnern entwickelt hat? Natürlich die Mullahs! "Die Mullahs haben es versaut", kommentiert ein Teheraner das Chaos in der Hauptstadt. Obwohl eine starke politische Opposition gegen die Macht der islamischen Geistlichen fehlt, ist eine tiefe Unzufriedenheit mit dem politischen System im größten Staat im Mittleren Osten allgegenwärtig.
Dabei wollte Elliot kein politisches Buch schreiben. Deshalb sträubt er sich immer wieder dagegen, in politische Gespräche verwickelt zu werden. Es ist ihm nicht gelungen: Sein Buch gehört zu den besten politischen Berichten aus dem Iran unter dem "sanften" Präsidenten Chatami. Eine Darstellung der aktuellen sicherheitspolitischen Debatte, den Streit über das iranische Atom-Programm oder eine Analyse des politischen Systems des Landes sucht man jedoch vergeblich. Stattdessen erfährt der Leser vom Alltag der Menschen und der politischen Wirklichkeit durch die Beobachtungen des Autors und die Äußerungen der "normalen" Iraner. Denn ungeachtet seines Ölreichtums hat das Mullah-Regime mit Armut, einer hohen Arbeitslosigkeit, einem mangelhaft ausgebauten sozialen Sicherungssystem und einem steigenden Drogenkonsum zu kämpfen. Wer hat Schuld? Natürlich "die Mullahs".
"Rasiere Deinen Bart", bittet ihn sein iranischer Freund. Ansonsten sehe der Engländer wie ein islamischer Fundamentalist aus, mit dem sich der Teheraner nur ungern auf der Straße zeigen möchte. Irans Gesellschaft führt ein Doppelleben. Für Jason Elliot hat sie die Tür einen Spalt geöffnet: Auch wenn es den Mullahs nicht passt, die Iraner schätzen ein Glas Wein oder Whisky und diskutieren leidenschaftlich über den Aufbau einer Zivilgesellschaft.
Persien. Gottes vergessener Garten. Meine Reise durch den Iran.
Malik Verlag, München 2007; 445 S., 24,90 ¤