terrorismus
Horst Köhler hat Christian Klars Gnadengesuch abgelehnt. Doch die Debatte geht weiter.
Wochenlang hatten alle auf die Entscheidung gewartet, sie prognostiziert, kommentiert und schon mal analysiert - und als es am 7. Mai soweit war, herrschte allerorten Überraschung darüber, dass es dann doch so schnell gegangen war. In einem knappen Schreiben hatte Bundespräsident Horst Köhler der wohl hysterischsten Debatte des Frühjahrs ein Ende gemacht: Er habe entschieden, "von einem Gnadenerweis für Herrn Christian Klar abzusehen". Auch ein Gnadengesuch der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld lehnte Köhler vorerst ab, kündigte aber an, sich "zu gegebener Zeit" erneut damit zu beschäftigen.
Der wegen neunfachen Mordes verurteilte Klar kommt damit frühestens im Januar 2009 frei - das Oberlandesgericht Stuttgart hatte 1997 entschieden, dass der RAF-Terrorist mindestens 26 in Haft bleiben muss. Kurz vor seiner Entscheidung hatte Köhler sich noch mit Klar getroffen - und war dabei von diesem wohl nicht davon überzeugt worden, er habe eine Begnadigung verdient.
Durchaus aufmerksam dürfte der Bundespräsident bereits im Vorfeld eine Grußbotschaft Klars verfolgt haben, mit der dieser sich im Januar an die Rosa-Luxemburg-Stiftung gewandt hatte. Darin hatte er von einem "imperialen Bündnis" gesprochen, dass sich ermächtige, "jedes Land der Erde" aus "dem Himmel herab zu züchtigen". Man müsse kämpfen, um "die Niederlage des Kapitals zu vollenden". Diese Botschaft und das Bekennerschreiben einer linksextremistischen Gruppe, die im März einen Brandanschlag in Berlin verübt und sich in ihrer Begründung auf Klars Kapitalismuskritik bezogen hatte, gaben wohl nicht nur Horst Köhler zu denken - sie heizten auch die öffentliche Diskussion an, in deren Verlauf sich immer mehr selbsternannte Ratgeber fanden, die dem Bundespräsidenten erklärten, wie seine Entscheidung auszufallen habe. Öl ins Feuer goss der CSU-Generalsekretär Markus Söder mit seinem Hinweis, eine mögliche Begnadigung Klars könne durchaus Köhlers Wiederwahl im Mai 2009 gefährden.
Auch nach Köhlers Entscheidung verstummt diese Debatte nicht: Es täte Söder gut, so die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, "einen Blick ins Grundgesetz zu werfen". Söder habe versucht, Köhler unter Druck zu setzen und damit sowohl Amt als auch Person des Bundespräsidenten missachtet. "Er ist eine moralische und unabhängige Instanz und kein Parteipolitiker." Man dürfe ihn nicht erpressen: "Damit beschädigt man das Amt." Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, verurteilt den Stil der Debatte: "Es wurde nicht das Amt beschädigt, es haben sich vielmehr die Kritiker beschädigt." Diese hätten "unangemessen und auf unanständige Weise" versucht, Einfluss auf eine Entscheidung zu nehmen, "die allein dem Bundespräsidenten zusteht". Ralf Göbel (CDU) bilanziert knapp: Die Einlassungen seien "überflüssig gewesen" - doch Köhler zeige, "dass er das Amt nicht beschädigen lässt".
Auch der Politikwissenschaftler und RAF-Experte Wolfgang Kraushaar (Hamburger Institut für Sozialfoschung) glaubt, dass Köhlers Entschluss, Klar die Gnade zu verweigern, "alles andere als leichtfertig und sehr gewissenhaft" gefällt wurde - dennoch war es für ihn "keine mutige Entscheidung". "Ich glaube, dass die Nichtbegnadigung völlig gerechtfertigt war, zudem ist es eine autonome Entscheidung des Bundespräsidenten, die nicht zu kritisieren ist." Allerdings habe dieser damit "die Chance vertan, sich über das Gezänk in der Öffentlichkeit und auch die RAF zu erheben". Für den "Betonkopf" Klar sei allein das Gnadengesuch eine "unglaubliche Niederlage" und eine Art "Kniefall" gewesen - eine Begnadigung hätte ein Zeichen dafür sein können, "dass man ihn für gänzlich ungefährlich" halte. "Damit wäre Klars Symbolgehalt noch stärker entwertet worden", so Kraushaar.
Wie stark dessen Strahlkraft überhaupt noch ist, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. Während Dieter Wiefelspütz davon überzeugt ist, dass die RAF "glücklicherweise maustot" ist, warnte der Chef des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Johannes Schmalzl, gerade erst vor einem Wiederaufflackern des deutschen Linksterrorismus. Wolfgang Kraushaar hält es für "abstoßend und bedenklich", dass bestimmte Kreise immer noch glaubten, man könne mit Klar, der sich "von der RAF-Grundideologie nicht verabschiedet" habe, Politik machen. "Dass der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, nach Bekanntwerden der Grußbotschaft gesagt hat, Klar spreche für den größten Teil der Weltbevölkerung, war der absolute Tiefpunkt."
Auch die bundesweiten Razzien bei Gegnern des G8-Gipfels am 9. Mai, die mögliche geplante Anschläge verhindern sollten, erweckten den "Anschein für einen aktuellen Zusammenhang mit dem, was bislang nur als RAF-Vergangenheit abgehandelt wurde". Die gewaltbereiten Teile der Autonomen dürfe man jedoch "nicht in eins mit der RAF setzen". Allerdings sei unübersehbar, dass sich "ein bestimmtes Spektrum der Linken symbolisch immer noch ehemaliger RAF-Leute zu bedienen versucht". Auch Schmalzl warnte, die Selbstbezichtungsschreiben einiger "an der Grenze zum Linksterrorismus agierender militanter" Gruppen atmeten noch "jenen alten RAF-Geist, der auch im Grußwort von Christian Klar" zum Ausdruck komme.