Auf den ersten Blick ist sie eine Medizinerin wie viele andere auch. Barbara Vonneguth-Günther hat zwar mehr Qualifikationen als der deutsche Durchschnittsarzt, ist nicht nur Fachärztin für Inneres und Arbeitsmedizin, sondern gleichzeitig Psychotherapeutin und hat ein Zertifikat für Reisemedizin. Aber auch sie trägt einen weißen Kittel und hat eine Praxis. Was sie besonders macht, sind ihre Patienten. Barbara Vonneguth-Günther ist seit Januar Parlamentsärztin im Deutschen Bundestag. Ihre Praxis liegt im Erdgeschoss des Reichstagsgebäudes.
Die 48-Jährige, die jahrelang Betriebsärztin für die Verwaltungsmitarbeiter im Deutschen Bundestag war, ist nun vor allem für Minister und Bundestagsabgeordnete Ansprechpartner in Berlin, wenn die Politiker in den Sitzungswochen vom Ausschuss zum Gesprächstermin, vom Plenum zu einem Vortrag hetzen und die sich ankündigende Grippe nicht wahr haben wollen. "Der häufigste Satz, den ich in der Praxis spreche, ist: Eigentlich gehören Sie ins Bett", sagt die Ärztin freundlich lächelnd, wobei sie gleichzeitig eine gewisse Strenge in ihre Stimme legt. Sie weiß, dass die Politiker nach dem Besuch in der Praxis, die sich hinter großen Milchglastüren verbirgt, lieber doch noch zum nächsten Termin eilen. "Durch ihr Mandat sind die Abgeordneten herausgehoben, gleichzeitig lastet aber auch ein hoher Erwartungsdruck auf ihnen", sagt Vonneguth-Günther. Und auch sie ist Teil des Ganzen: Während der Sitzungswochen bleibt die Ärztin so lange im Reichstag, bis auch Plenum und Ausschüsse zu Ende sind. Manchmal kann das bis ein Uhr nachts dauern.
Da die Politiker viel unterwegs sind, hat Barbara Vonnegut-Günther für viele Patienten eine Art zweite Hausarztfunktion. Sie muss erkennen, ob die Beschwerden "nur" stressbedingt sind oder sich eine ernste Krankheit dahinter verbirgt. Sie nennt es den diagnostischen Blick. Vermutet sie mehr als die typische Bronchitis, bespricht sie den "Fall" mit Kollegen an der Charité oder im Bundeswehrkrankenhaus, koordiniert die Behandlung der Abgeordneten mit anderen Fachärzten in Berlin und bleibt dennoch der Knotenpunkt. In so einem Fall erarbeitet Barbara Vonneguth-Günther, die aus einer Ärzte- und Apothekerfamilie kommt, ein ganzheitliches Therapiekonzept. "Ich will wissen, was den Menschen im Innersten zusammenhält", sagt sie und erklärt damit auch ihre vielen Fach- und Zusatzausbildungen.
Ihr Anspruch ist es, Zusammenhänge zu finden, die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind. Dann erzählt sie vom harten Beginn ihres Berufslebens. Ein Jahr arbeitete die gebürtige Rheinländerin in der Pathologie der Uniklinik Köln, schnitt die Körper der Toten auf, sezierte die Organe. "Da habe ich alles gefunden", sagt sie und hält für einen kurzen Moment inne, "aber nie die Seele des Menschen." Die Katholikin geht regelmäßig zum Morgengebet in den Andachtsraum des Reichstages. "Das ist ein Moment der Stille und lässt mir Raum, die Dinge zu ordnen", erzählt sie und lehnt sich für einen Augenblick entspannt zurück. Ihr Alltag als Ärztin ist alles andere als still, gleicht oft einer Entdeckungsreise. Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Patienten, führt lange Gespräche: "Ich versuche zu erkennen."
Und die Politiker? Was erkennt sie über die Vertreter des Volkes? Zeigen sie hinter dem öffentlichen Gesicht ein anderes? "Hier müssen sie keinen Erwartungen mehr gerecht werden. In diesem Raum sind das ganz normale Menschen mit Schmerzen, Sorgen und Nöten", sagt sie und erzählt dann, dass sie sich manchmal Plenardebatten im Fernsehen anschaut, um zu gucken, ob es ihrem Patienten wieder besser geht. "Vieles kann man an der Stimme erkennen." Doch im nächsten Moment ist sie schon beim übernächsten Projekt. Später, wenn die Tochter älter ist, will sie in Entwicklungshilfeprojekten in Afrika arbeiten. Vielleicht kirchlich gebunden bei den Jesuiten. "Ich bleibe eine Suchende."