Einen Tag zuvor ist Reinhold Robbe noch durch die verstopften Straßen von Kabul gefahren, dort, wo man hinter manchem heranrasenden Taxi auch einen Selbstmordattentäter vermuten könnte. Nun sitzt der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages in seinem Büro in Berlin Mitte, studiert Akten, nimmt ein Stück braunen Kandis, trinkt einen Schluck schwarzen ostfriesischen Tee. Robbe stammt aus dem Örtchen Bunde, "direkt von der ostfriesischen Küste". "Manchmal ist es wie die Reise von der Steinzeit in die Neuzeit", sagt er über seine Erfahrungen.
Robbe, der seit zwei Jahren Wehrbeauftragter ist, hat seitdem viele Orte auf der Welt gesehen, die wenig mit Bunde zu tun haben. Derzeit stehen deutsche Truppen unter anderem am Horn von Afrika, auf dem Balkan, in Dschibuti, in Afghanistan. Erst Mitte Mai waren auf einem Marktplatz im nordafghanischen Kundus drei deutsche Soldaten bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. "Es geht einem unter die Haut, wenn gestandenen Soldaten die Tränen über die Wangen laufen", erzählt Robbe von seinem Truppenbesuch. Robbe, der Anfang der 70er-Jahre den Kriegsdienst verweigert hat, weil seine Verwandten auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wohnten, will für Soldaten Ansprechpartner sein. Jemand, dem sie vertrauen können. Robbes unkomplizierte und geradlinige Art kommt bei den Soldaten an. Robbe erreichen im Jahr 6000 Petitionen. Im Jahr macht er 60 bis 80 Truppenbesuche, im Inland - alle ohne Anmeldung. Die Soldaten müssen nicht nur einen gefährlichen Job im Ausland machen, sondern im Inland auch unter bisweilen katastrophalen Bedingungen in den Kasernen leben. Verschimmelte Wände, undichte Dächer, sechs Duschen für 150 Leute sind gerade in den Standorten der alten Bundesländer keine Ausnahme.
Robbe geht es weniger um die Orte, als um das Ansehen der Soldaten in der Bevölkerung. Seit 1995 hat sich die Rolle der Bundeswehr vollkommen verändert. Stand bis dahin die Sicherung der Inlands- und Natogrenze im Vordergrund, ist die Bundeswehr heute vor allem im Einsatz gegen den internationalen Terrorismus unterwegs. "Was die Soldaten im Auslandseinsatz für ihr Land tun, ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen", glaubt der 52-Jährige. Das Verhältnis der Bevölkerung zur Bundeswehr sei oftmals geprägt von einem "freundlichen Desinteresse", wie es der Bundespräsident ausgedrückt hat. Die Soldaten würden dies spüren.
Das Amt des Wehrbeauftragten ist 1956 mit Blick auf die dunkle nationalsozialistische Vergangenheit geschaffen worden. Die Politik wollte ein Organ zur Kontrolle der Streitkräfte schaffen, eine Instanz, die nur dem Parlament verpflichtet ist. Das Amt - das ist einmalig auf der Welt -wurde in der Verfassung verankert. Robbe musste wie jeder Wehrbeauftragte beim Amtsantritt sein Abgeordnetenmandat aufgeben. Sein sozialdemokratisches Parteibuch hat er "in die unterste Schublade gelegt".
Die Bundeswehr braucht den Rückhalt in der Bevölkerung: "Der Friede ist nicht alles, aber ohne den Frieden ist alles nichts", zitiert der praktizierende Protestant den früheren Bundeskanzler Willy Brandt. Und so ist es kein Zufall, dass Robbe im nächsten Moment mit den Gedanken erneut in Afghanistan ist. In Kabul hat er zusammen mit "seinen" Soldaten ein deutsches Ehepaar besucht, das dort ein Krankenhaus betreibt. Just zu dem Zeitpunkt war gerade ein 40 Tage altes Baby mit einer zu kurzen Speiseröhre eingeliefert worden. Muttermilch war in die Lunge geraten. Ein von den Franzosen betriebenes Krankenhaus hatte die Behandlung des Säuglings zuvor abgelehnt. Begründung: Keine Überlebenschance. Die Deutschen haben die komplizierte Operation dennoch gewagt - und gewonnen: Die Kleine hat überlebt, erzählt Robbe: "Ohne die Bundeswehr und die Hilfe aus Deutschland wäre das alles vielleicht nie möglich gewesen. Schon allein dafür hat sich unser Einsatz gelohnt."