REGIERUNGSKONFERENZ
Beratung über neuen EU-Vertrag
Mitte Oktober soll er auf dem informellen Rat in Lissabon von allen Regierungen unterzeichnet werden: der EU-Grundlagenvertrag, der das monatelange Tauziehen um eine Europäische Verfassung beenden soll. Diesen ehrgeizigen Zeitplan bekräftigte der portugiesische Außenminister Luis Amado am 23. Juli beim Außenministertreffen der Europäischen Union in Brüssel.
Nicht weniger als 145 Seiten umfasst die Liste der Änderungen, die nun seit Dienstag letzter Woche von Juristen des Rates und der Mitgliedstaaten auf Widersprüche und Unklarheiten durchforstet wird. Und damit nicht genug: 69 Seiten an Zusatzprotokollen und 63 Seiten an einseitigen Erklärungen kommen hinzu.
Darin finden sich so unterschiedliche Anliegen wie Lettlands und Ungarns Sorge, die Schreibweise des Wortes "Euro" könne die Orthographie der jeweiligen Landessprache beeinträchtigen, oder Polens Hinweis, die Grundrechtecharta schränke nicht das Recht des Staates ein, im Bereich der öffentlichen Moral oder der Familie Gesetze zu erlassen.
Die Liste der einseitigen Erklärungen gibt einen aufschlussreichen Ausblick darauf, wie weit die Mitgliedstaaten derzeit in vielen Fragen auseinander gedriftet sind. Die portugiesische Ratspräsidentschaft weiß genau, dass sie in dieser Lage ihr Ziel nur erreichen kann, wenn sie eisern am Mandat für die Vertragsreform festhält, das Ende Juni unter deutscher Präsidentschaft beschlossen wurde. "Das Mandat ist die einzige Grundlage und der ausschließliche Rahmen. Wir werden nicht einen Millimeter vom Mandat abweichen", erklärte beschwörend der portugiesische Außenminister Luis Amado bei der feierlichen Eröffnung der Regierungskonferenz. Auch die polnische Außenministerin habe bekräftigt, dass sie damit einverstanden sei. Jeder könne die polnische Erklärung im Internet nachlesen.
Damit löst die portugiesische Ratspräsidentschaft das Versprechen ein, die Verhandlungen möglichst transparent zu führen. Nach Ansicht von Jo Leinen (SPD), dem Vorsitzenden des Verfassungsausschusses im Europaparlament, ist das nur recht und billig. Dem "Parlament" gegenüber sagte er: "Die Inhalte des neuen Vertrages sind von einem Konvent erarbeitet worden, der in völliger Offenheit getagt hat. Eine Regierungskonferenz ist dagegen ein Rückschritt. Das kann nur durch die Veröffentlichung aller Texte und sämtlicher Probleme bei den Verhandlungen kompensiert werden."
Kommissionspräsident Barroso, selbst ein Portugiese, lobte die Ratspräsidentschaft, der es gelungen sei, das Mandat des Juni-Gipfels innerhalb von vier Wochen in konkrete juristische Formulierungen umzuwandeln. Er sei zuversichtlich, dass der Reformvertrag im Oktober von den Regierungschefs unterzeichnet werden könne. Das klare Ziel müsse sein, vor der Europawahl 2009 alle nationalen Ratifikationen abzuschließen. Der neue Premierminister Gordon Brown hat bereits bekräftigt, er werde kein Referendum über den Vertrag durchführen lassen. Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will diesmal nicht das Volk zu den Urnen rufen, sondern die Nationalversammlung über den Reformvertrag entscheiden lassen.
Drei Parlamentsvertreter nehmen an der Regierungskonferenz teil. Sie werden, so Leinen, "die Brücke schlagen zur Zivilgesellschaft und den nationalen Parlamenten." Einer von ihnen, der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU), beschrieb die Rolle der Abgeordneten gestern so: "Wir werden Garanten des Mandats und der Substanz der Reform sein. Wir werden darauf achten, dass die erreichten Rechte erhalten bleiben und nicht der juristischen Feinarbeit zum Opfer fallen." Ratspräsident Amado schließt allerdings nicht aus, dass bei dieser Feinarbeit die politischen Konflikte wieder aufbrechen. Auch Jo Leinen ist skeptisch: "Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn sich die polnische Regierung an die Vereinbarungen hält. Ich rechne über die Sommerpause mit einigen Überraschungen."
Strittig ist vor allem, unter welchen Bedingungen eine in der Abstimmung unterlegene Regierung verlangen kann, dass eine mit qualifizierter Mehrheit getroffene Entscheidung an den Rat zurück verwiesen wird. Diese sogenannte Ioannina-Klausel geht auf einen Verhandlungskompromiss der EU-Außenminister aus dem Jahr 1994 unter griechischer Ratspräsidentschaft zurück. Er sieht vor, dass eine kleine Gruppe von Staaten, die über drei Viertel der nötigen Sperrminorität verfügt, eine Überprüfung durch den Rat verlangen kann. Nach der Polen zugesagten Revisionsklausel, sollen sogar 55 Prozent der Sperrminorität ausreichen. Das würde großen Ländern wie Deutschland eine fast unbegrenzte Blockademöglichkeit im Rat eröffnen. Eine Konsequenz, die von den polnischen Verhandlungsführern wohl nicht bedacht wurde. Praktische Erfahrungen mit dem Verfahren fehlen, da es bislang nur ein einziges Mal angewandt wurde.