Politik und medien
Lutz Hachmeister sieht den unabhängigen Journalismus in Gefahr
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen beschrieb die Bundeshauptstadt Bonn in den 50er-Jahren als "Treibhaus". Der Publizist und Filmemacher Lutz Hachmeister nennt die neue Haupstadt die "nervöse Zone". Der umtriebige Hachmeister, der mit dem von ihm gegründeten Institut für Medienpolitik (IfM) selbst im vergangenen Jahr nach Berlin zog, hat sich in seinem neuen Buch daran gemacht, das Verhältnis von Politik und Journalismus in der Hauptstadt einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.
Sein Urteil fällt für die politischen Journalisten nicht gerade schmeichelhaft aus: Prominente Medienschaffende seien selbst zu Akteuren des politischen Betriebs geworden und gebärdeten sich zunehmend "kindischer, selbstbezüglicher, verspielter und flatterhafter". Der "unabhängige Journalismus als Agent der Aufklärung" sei in Gefahr, denn die publizistischen Wortführer befänden sich "in einer Elitenkonstellation mit Politikern und Industriellen". Einer Allianz, die auf "Verteidigung und Bewahrung" gegründet sei.
Es stimmt schon: Die symbiotische Beziehung in der Berliner Republik zwischen Journalisten einerseits und Politikern andererseits schrie schon lange nach einer fundierten Aufarbeitung und Auseinandersetzung. Und die Ambition hinter "Nervöse Zone" ist spürbar. So definiert Hachmeister den Journalismus in Deutschland als "verspätete Profession", die eine "Tradition der publizistischen Nationalromantik" herausgebildet habe, sich weitgehend den Standards des angelsächsischen Journalismus entziehend.
Um den Rollenwechsel der Journalisten vom Kritiker zum Mitherrscher zu untermauern, zitiert Hachmeister Schumpeters Definition des Intellektuellen als Jemandem, der die Macht des Wortes handhabt, der aber eine "direkte Verantwortlichkeit für praktische Dinge" von sich weise. An anderer Stelle spricht der Autor von einer "Zusammenfügung von Spieltheorie und Rational Choice", um die neuen Rollen der Journalisten als aktive Mitgestalter und -spieler in "Buzzing Berlin" zu erklären.
Diese quasi dahingetupften theoretischen Exkurse bleiben nicht ohne Erkenntnisgewinn für den Leser und schmücken Hachmeister als Public Intellectual, der von außen einen Blick auf das sich selbst genügsame System wirft, das nicht mehr von Ideologien, sondern vornehmlich von Netz- werken und deren Befindlichkeiten gesteuert wird. Doch abgesehen davon, dass natürlich auch der Autor selbst letztlich ein Teil dieses ständig auf sich selbst verweisenden Referenzsystems ist, bleiben die Theorien oft nur angedeutet. Sie wirken zuweilen wie eine mit leichter Hand hingeworfene Legitimation für den größeren Teil des Buches, in dem Hachmeister in medias res geht und sich mit den Besetzern der "nervösen Zone" auseinandersetzt.
Fünf "Fallanalysen und Momentaufnahmen" hat Hachmeister ausgewählt, um die von ihm aufgestellten Thesen zu verdeutlichen: Den Aufstieg und Fall des "angeblichen Medienkanzlers" Gerhard Schröder, unter wesentlicher Beteiligung der Presse. Die Talkshow von Sabine Christiansen, die das Format "Politik im Fernsehen" neu definiert und die politische Klasse auf Talksendungen fixiert habe. Das Streben nach Deutungsmacht von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, für Hachmeister ein "Welterklärer" und "publizistischer Beweger mit scharfem Bewusstsein für das Timing von Kampagnen". Die mediale Konstruktion eines neuen Bundespräsidenten-Images durch "Stern"-Journalist Hans-Ulrich Jörges. Und die Neubesetzung alter Werte wie Arbeit, Familie und Vaterland durch Publizisten wie den "Zeit"-Journalisten Bernd Ulrich und Matthias Matussek vom "Spiegel".
Was in diesen aufschlussreichen, aber gelegentlich etwas erratisch erzählten Episoden zu kurz kommt, ist die Rolle der Politiker. Einmal bedingen sich gehobener Journalismus und handelnde Politik gegenseitig, dann wieder hat die politische Klasse Probleme, sich mit den Loyalitätswechseln der Journalisten zu arrangieren. Fest steht nur: Die Journalisten sind die Macher. Und sie machen, was ihnen gerade in den Kram passt und ihren eigenen Interessen dient, die meistens nicht parteipolitischer Natur sind, sondern auf die Erlangung von Defitionsmacht ausgerichtet sind. Das ist zwar sicher nicht verkehrt, aber letztlich einseitig dargestellt.
Im Kapitel über "Super-Horst", gemeint ist der Bundespräsident, beschreibt Hachmeister anschaulich das "Making of Horst Köhler" durch "Stern", "Bild", "Focus" und "Spiegel". Doch die Köhlersche Perspektive wird deutlich unschärfer ausgeleuchtet als die der Journalisten. So werden in der nervösen Zone die Politiker zu puren Spielbällen der allzeit kampagnen-bereiten Journaille. Gänzlich unberücksichtigt bleibt die Rolle der Unternehmenschefs, die laut Hachmeister zwar zur Koalition zwischen Politk und Medien gehören, deren Einfluss aber nicht näher erklärt wird.
So bleibt Hachmeisters "Nervöse Zone" ein anregender Anfang, ein Wechselspiel zwischen dem Verweis auf Theoretiker wie Pierre Bourdieu und purem Klatsch, wie er tagtäglich im Bermuda-Dreieck zwischen Reichstag, dem "Café Einstein Unter den Linden" und dem Restaurant "Borchardt's" grassiert. Der ganz große Wurf ist das Buch nicht, doch wer einen Blick hinter die Kulissen der Maschinerie des modernen Thesen-Journalismus werfen will, kommt auf seine Kosten.
Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007; 288 S., 16,95 ¤