Konsum
Die Alten sind die Zielgruppe der Zukunft. Die Wirtschaft reagiert allmählich darauf.
"Das Alter hat zwei große Vorteile: Die Zähne tun nicht mehr weh, und man hört nicht mehr all das dumme Zeug, das ringsum gesagt wird." Der Dramatiker George Bernard Shaw konnte dem Älterwerden nur wenige, wenn auch nicht unbedeutende Vorzüge abgewinnen. Kein Wunder: Lange beschränkten sich die Produkte, die die Wirtschaft für ihre älteren Kunden bereithielt, auf leckere Seniorenteller, wohltuende Heizdecken und praktische Treppenlifte.
Doch damit ist es nun vorbei: Industrie und Handel haben erkannt, wie wichtig die über 50-Jährigen für ihren Umsatz sind und dass diese Zielgruppe heute anders angesprochen werden muss als noch vor zehn Jahren. Ob Finanzbranche, Tourismusindustrie oder Dienstleister - alle versuchen, sich auf den demografischen Wandel einzustellen und ihr Angebot darauf abzustimmen. Im Jahr 2035 wird fast jeder zweite Deutsche älter als 50 Jahre sein. Der Anteil der über 65-Jährigen am Geamtkonsum wächst von bisher 18 auf 26 Prozent. Schon heute verfügen die über 60-Jährigen über eine immense Kaufkraft: Mit 316 Milliarden Euro jährlich bestreiten sie fast ein Drittel der Gesamtausgaben für den privaten Konsum.
Dass dies eine Herausforderung für die Zukunft ist, hat auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) erkannt. Mitte Juli stellte sie eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger vor, in der die Älteren als wichtigste Zielgruppe der kommenden Jahre ausgemacht werden. "Deutschland kann es sich nicht leisten, diesen wachsenden Zukunftsmarkt der Senioren mit enormer Kaufkraft anderen zu überlassen", stellt die Ministerin fest. Sie hätten "das Zeug zu einem Wirtschaftsmotor". Aber: Noch stecke der Seniorenmarkt "in den Kinderschuhen". Deshalb hat das Ministerium das Projekt "Wirtschaftsfaktor Alter - Unternehmen gewinnen" ins Leben gerufen, das bis 2010 mit insgesamt 4 Millonen Euro gefördert werden soll. Auf dem Internetportal www.wirtschaftskraft-alter.de sollen Wirtschafts-, Verbraucher- und Seniorenorganisationen und Altersforscher miteinander darüber diskutieren, welche Interessen und Bedürfnisse die Generation 50plus hat und was das für die Wirtschaft bedeutet.
Denn die Studie stellt fest: Im Alter ändert sich das Kaufverhalten. So geben die über 75-Jährigen doppelt so viel für Produkte der Gesundheitspflege aus wie 20- bis 49-Jährige, aber nur halb so viel für Verkehrsmittel. Und während die Experten für den Gesundheitsbereich mit 40 Prozent und für Reisen mit zehn Prozent Wachstum rechnen, verliren für die älteren Konsumenten die Bereiche Kleidung, Schmuck und Home Entertainment an Bedeutung.
Da die wahlweise "Best Ager" oder "Golden Oldies" Genannten bis zu 85 Prozent ihres Einkommens für den Kosum ausgeben - in der Gesamtbevölkerung liegt der Schnitt bei 75 Prozent -, ist es für die Unternehmen höchste Zeit, ihre Produkte auch zielgruppengerecht zu vermarkten. Bislang ist das ein Problem: "Niemand kauft ein Produkt, wo drüber steht: ,altersgerecht'", gab ein Vertreter der Unternehmensberatung bei der Präsentation der Studie zu bedenken. Auch die Europabeauftragte des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, Annette Scholl, bemängelt, dass Ältere in der Werbung vielfach "als tüdelig, leicht verwirrt und schwach dargestellt" würden - dies sei diskriminierend und verkenne, "welche enorme Macht" sie in Wirklichkeit hätten.
Das Potenzial der "silver economy" erkannt hat man in Nordrhein-Westfalen. Dort hat Generationenminister Armin Laschet (CDU) eine "Zukunftsinitiative Seniorenwirtschaft" ins Leben gerufen, die die Lebenssituation der NRW-Senioren nachhaltig verbessern will. Außerdem hat Laschet sich mit Banken und Sparkassen darauf geeinigt, dass mehr maßgeschneiderte Dienstleistungen insbesondere im Finanz- und Wohnungssektor angeboten werden. Weil ältere Menschen stärker als jüngere in Sachen Finanzen auf Rendite und Sicherheit setzen und Risiken scheuen, sollen sie spezielle Beratung von geschulten Experten erhalten.
Neben Seniorenschaltern, wo es Hilfe beim Ausfüllen der Überweisungsformulare gibt, werden auch Internetseminare angeboten, die die Alten fit fürs Online-Banking machen sollen. Auch der Handel reagiert: So eröffnete Edeka vor drei Jahren in Chemnitz den "Supermarkt der Generationen". Überbreite Gänge, rutschfeste Böden, Ruhebänke und Lupen an den Regalen sowie Rufknöpfe für das Servicepersonal sollen das Einkaufen für die Senioren so angenehm wie möglich gestalten. Nachdem der Umsatz der Filiale in Sachsen mit der Umgestaltung um 35 Prozent gestiegen war, folgten weitere Läden in Bayern und Thüringen. Der erste reine Seniorensupermarkt wurde im vergangenen Jahr im sächsischen Großräschen eröffnet - mit extragroßen Umkleidekabinen, breiten Gängen und ohne Rolltreppen. Und einem umfassenden Angebot: Von Kleidung und Schuhen über Telefone mit extragroßen Tasten und besonders lauten Weckern bis hin zu Krückstöcken und Inkontinenzbinden gibt es hier alles, was ältere Menschen brauchen können.
Doch das, was bislang in Großräschen eher Randgruppencharakter hat, wird in den kommenden Jahren wohl auch die "normalen" Supermärke erreichen - auch zur Freude der Jungen. Der Haushaltsgerätehersteller Miele etwa, der gerade von der Deutschen Gesellschaft für Gerontotechnik ausgezeichnet wurde, setzt auf "Universal Desgin". Dazu gehört etwa ein Geschirrspüler, in dem sich das Salzfach oben in der Tür befindet. Das ist bequemer für ältere Menschen, die sich nicht mehr gut bücken können, erfreut aber auch junge - und sollte alle Generationen zu einer optimistischeren Einschätzung des Alters führen, als sie der Schriftsteller Truman Capote hatte: "Die junge Generation hat auch heute noch Respekt vor dem Alter, allerdings nur noch beim Wein, beim Whisky und bei den Möbeln."
Die Autorin ist Redakteurin bei "Das Parlament".