DARFUR
Lange hat die Weltgemeinschaft dem Morden zugesehen, bis sie im Juni entschied, UN-Truppen in den Sudan zu entsenden.
Der amerikanische Krisenforscher John Prendergast vom Thinktank "International Crisis Group" nennt die Vorkommnisse in Darfur ein "Ruanda in Zeitlupe". US-Präsident George W. Bush spricht von einem Genozid. Die Zahl der Toten wird auf 200.000 bis 400.000 geschätzt; 2,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht: im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, in Ägypten oder, als Binnenflüchtlinge, in einem der unzähligen Lager im Sudan selbst. Auch hier droht vielen der Tod - oder Vergewaltigung durch um die Lager herumschleichende Banden, die "Dschandschawid" genannt werden - apokalyptische Reiter, die Tod und Verderben bringen.
Sie kämpfen mit tatkräftiger Hilfe der islamistische Regierung im fernen Khartum angeblich für die arabische Sache und gegen ihre "afrikanischen" Landsleute. Auch wenn sie sich von denen oft kaum unterscheiden, nicht in der Hautfarbe - und oft auch nicht in der Lebensweise. Denn die Saghawa, die gegen die Regierung rebellieren, sind Kamelnomaden wie ihre "arabischen" Feinde. Es ist ein "himmeltrauriger Irrsinn", wie die Schweizer "Weltwoche" einmal schrieb. Seit Februar 2003 tobt dieser Bürgerkrieg. Damals hatten Aufständische in El Fascher, der Hauptstadt Nord-Darfurs, Polizeistationen überfallen, den Flughafen gestürmt und dabei acht Antonow-Maschinen der Regierung zerstört. Angeblich wurden 685 sudanesische Polizisten und Militärangehörige getötet.
Es war der Auftakt zu einem weitaus grausameren Gemetzel. Zu einem Gemetzel, das bis heute anhält, das von der Weltgemeinschaft nicht gestoppt werden konnte. Tatenlos hat sie bislang zugeschaut, was in Darfur, einer Region von der Größe Frankreichs, geschieht. "Ich denke nicht, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung dort wirklich gerecht geworden ist", räumt US-Außenministerin Condoleezza Rice nun ein. Sie hat Recht, und doch gehören die Vereinigten Staaten zu denjenigen, die Darfur immer wieder auf die Tagesordnung setzten. Andere Staaten waren da sehr viel passiver. "Schweigen tötet", sagte der neue französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf einer Darfurkonferenz in Paris, und das klingt selbstkritisch, auch wenn er erst seit kurzem Regierungsverantwortung trägt.
Es ist eine verfahrene Situation: Die Chinesen beziehen sehr viel Öl aus dem Sudan, 60 Prozent der gesamten sudanesischen Produktion. Die Russen liefern Waffen. Beide profitieren vom Handel mit dem Pariastaat, und beide haben im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen bislang nach Kräften zu verhindern versucht, dass der Sudan international konsequent isoliert wird und dass Wirtschaftssanktionen verhängt werden.
Die Welt hat die Afrikanische Union (AU) vorgeschickt, und das hat sich eine Zeitlang gut angehört. "Wir Afrikaner können unsere Probleme selber lösen", hat Nigerias Präsident Obasanjo zum Beispiel getönt und die Welt aufgefordert, sich aus dem Darfur-Konflikt herauszuhalten. Der Sudan? Der hat nach zähen Verhandlungen schließlich Truppen der Afrikanischen Union zugestimmt. Man wusste wohl, dass von der keine rechte Gefahr drohen würde. Und der Rest der Welt? Hat die Verantwortung delegiert. So wurde es schließlich von den Afrikanern selbst gefordert.
Doch der Schrecken hat uns eingeholt. Die Afrikaner haben in Darfur versagt. Sie haben sich von den Europäern ihre Soldaten durch die Gegend chauffieren lassen - die holländische Luftwaffe flog ruandische Soldaten umständlich in den Sudan und die Deutschen flogen Gambier. AU-Soldaten haben gegen Bezahlung sudanesische Treibstoffkonvois durchs Kriegsgebiet eskortiert. Auf wundersame Weise verschwanden gar 100 Toyota-Landcruiser der AU, geschätzter Anschaffungswert 5 Millionen Dollar. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es gab Fälle wie den Angriff auf den Ort Khor Abeche, da wusste die Afrikanische Union schon Tage vor dem Massaker, was geschehen würde. Und tat nichts! Dass die AU unterfinanziert ist, ist ein Mythos, den sie gerne selbst verbreitet, um noch mehr Geld zu bekommen. Es gehört zu den schlimmen Folgen der Nachsicht gegenüber afrikanischen Regimes, dass derartige Unzulänglichkeiten und Unverschämtheiten nicht hinterfragt werden dürfen. Für die Menschen in Darfur ist dies tödlich.
Aber die Dinge könnten sich nun ändern, heißt es. Im Juni hat endlich die Regierung in Khartum einer UNO-Truppe für Darfur zugestimmt. Rund 20.000 Mann stark könnte sie sein, wie der UN-Sicherheitsrat Ende Juli beschlossen hat. Es soll eine gemeinsame Aktion von AU und UNO sein. Der Kommandeur der Truppe soll ein Afrikaner sein, die meisten Soldaten auch. Es heißt, dass die Chinesen Druck auf das Regime in Khartum ausgeübt hätten. Sie fürchten wohl, dass ein Schatten auf die Olympischen Spiele fallen könnte. Die sollen 2008 in Peking stattfinden - und Kumpanei mit Völkermördern sorgt für eine schlechte Presse.
Ist das aber nun der ersehnte Durchbruch? Schwer zu sagen. Skepsis ist auf jeden Fall angebracht. Allzu oft hat die Regierung von Präsident Umar Hassan al-Baschir Versprechen gebrochen und AU wie UNO in unendliche Verhandlungen um Kleinigkeiten verstrickt, nur um hinterher jede UNO-Mission zu verhindern. Angeblich hat der Sudan nun die Zusage erhalten, über die Zusammensetzung der Blauhelmtruppe mitzubestimmen. Das jedoch würde deren Unabhängigkeit enorm einschränken und verhindern, dass sich der Khartum-Regierung nicht genehme Staaten am Einsatz beteiligen. Auch haben afrikanische Staaten bei internationalen Missionen bislang nicht gerade geglänzt.
Beim bisherigen Darfur-Einsatz der AU hat sich der Verdacht förmlich aufgedrängt, dass er eher der Akquise von westlichem Steuergeld dient als dem energischen Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen. Kaum verwunderlich. Schließlich ist die Afrikanische Union auch nichts anderes als die Repräsentanz ihrer einzelnen Mitgliedstaaten, also Diktaturen wie Libyen, Simbabwe, Äquatorialguinea oder Ruanda und vielen anderen mehr.
Es werden weitere Probleme auftauchen. Welche politische Lösung kommt für Darfur in Frage? Eine Autonomie? Regierungsposten für die Rebellenformationen, die derzeit die einzige halbwegs organisierte Interessenvertretung der Darfuris darstellen? Eine Sezession?
Es ist unklar, welches Interesse die Darfur-Rebellen von der islamistischen "Justice and Equality Movement" (Jem) und der "Sudan Liberation Army" (SLA) 2003 hatten, als die den Krieg begannen. Sie sprachen von Marginalisierung und haben recht damit. Die Region wird seit Jahrzehnten von Khartum stiefmütterlich behandelt, zudem wüteten hier seit langem großarabische Extremisten aus dem Umfeld Muammar al-Gaddafis - zuletzt mit dem Segen Khartums.
Doch welches Kriegsziel verfolgte der Aufstand vom Februar 2003? Militärisch hatten SLA und Jem nie eine realistische Chance gegen das kriegserprobte sudanesische Regime. Zudem war vorhersehbar, dass die Regierung furchtbar reagieren würde. Das hatte sie im Krieg mit den südsudanesischen Rebellen jahrzehntelang bewiesen.
Doch ausgerechnet zwischen der Baschir-Regierung und den Südsudanesen zeichnete sich 2003 ein langersehnter Frieden ab, der in einer Sezession des Südens münden könnte - unter massiver Einflussnahme der Bush-Administration waren diese Gespräche übrigens zustande gekommen.
Genau deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass die Darfur-Rebellen Khartum lediglich provozieren wollten, um einen internationalen Einsatz heraufzubeschwören, der auch ihnen am Ende zum vermeintlichen Recht verhelfen und sie an die Macht bringen könnte. Die südsudanesischen Rebellen waren schließlich auch durch jahrelangen Bürgerkrieg zu Regierungsbeteiligung und Ministerposten gelangt. Ein Argument, den Kriegsopfern nicht beizustehen und das Morden nicht zu beenden, ist das selbstverständlich nicht. Im Gegenteil: Wir haben eine moralische Pflicht.
Wenn die Rechnung der Darfur-Rebellen aber aufgehen würde, drohen Folgekriege in anderen Landesteilen. Im Osten etwa, wo die ebenfalls "marginalisierten" Beja immer mal wieder zu den Waffen greifen. Was auch immer passiert: Der Sudan ist noch lange nicht befriedet. Und die Rechnung dieses Irrsinns zahlen, wie immer, die Zivilisten.
Der Autor ist Reporter beim "Spiegel". Außerdem erschien von ihm das Buch "Krieg im Land der Mahdi. Darfur und der Zerfall des Sudan".