DIGITALE GLOBEN
Mit Google Earth oder Microsofts Virtual Earth kann jeder die Welt erkunden, egal ob Lehrer, Studenten, Umweltschützer - oder Terroristen.
Als Google im Juni 2005 seine Software Google Earth vorstellte, jubelte die Presse. Virtuelle Flüge durch dreidimensionale Landschaften und hochauflösende Satellitenbilder - das alles auch noch gratis, was will der Surfer mehr? Die einen lobten den Nutzen in Schule und Lehre, die anderen bestaunten Eiffelturm oder Golden Gate Bridge aus einer ungewohnten Perspektive: von oben.
Schon einige Monate später meldeten sich erste Kritiker zu Wort. Ein Regierungsbeamter aus Indien erklärte, das Programm könne die Sicherheit seines Landes gefährden. "Die hätten uns zumindest fragen müssen", ergänzte ein General. Die Reaktionen überraschten kaum: Indien handhabt die Nutzung von Luft- und Satellitenfotos schon immer restriktiv. Ähnliche Reaktionen kamen aus Nordkorea und aus Russland. Leonid Sazchin, Analyst beim russischen Geheimdienst FSB sagte gegenüber Itar-Tass: "Terroristen müssen ihre Ziele nicht mehr selbst auskundschaften. Das macht jetzt eine amerikanische Firma für sie."
Google Earth als perfektes Spionagewerkzeug von Terroristen? Schnell sprach sich im Internet herum, welche erstaunlichen Entdeckungen mit der Software möglich sind. Im September 2005 rief die IT-Webseite "The Register" ihre Leser dazu auf, möglichst viele Bomber, U-Boote, Flugzeugträger und Hubschrauber aufzuspüren - bergeweise Fotos landeten bei den Initiatoren: von diversen Basen der US Air Force, vom Hauptquartier des MI6 in London, von der Zentrale des US-Geheimdienstes NSA in Fort Meade (Maryland).
Aus heutiger Sicht wirken die damals eingesandten Bilder fast schon lächerlich. Google greift in großen Städten längst zu deutlich schärferen Luftaufnahmen, die vom Flugzeug statt vom Satelliten aus fotografiert wurden. So lassen sich sogar einzelne Menschen aufspüren.
Und Google Earth ist längst nicht mehr der einzige Anbieter hochauflösender Satellitenfotos im Web. Microsoft versucht mit Virtual Earth zu punkten und bietet unter anderem dreidimensionale Modelle von Städten wie San Francisco oder New York. Google wiederum hat mit Street View kürzlich einen Dienst gestartet, mit dem sich Surfer quasi zu Fuß durch eine Stadt bewegen können, die aus Tausenden Digitalfotos dargestellt wird. Wer mit Street View San Francisco erkundet, sieht vom Laternenmast über die Haustür bis zur Mülltonne all das, was auch ein Spaziergänger sehen würde.
Die Möglichkeiten der digitalen Globen sind gigantisch: Microsoft könnte Touristen auch durch das Innere jener Gebäude wandeln lassen, die das Unternehmen für Virtual Earth hat programmieren lassen. Googles Street View wiederum würde sich perfekt dafür eignen, um Ortsunkundigen einen Weg zu erklären.
Aber liefern Google und Microsoft mit ihrer Software nicht auch Terroristen die Einsatz- und Fluchtpläne frei Haus? Im Oktober 2006 hatte die Zeitung "Yemen Observer" berichtet, Anschläge auf Ölanlagen in Jemen seien mithilfe von Google Earth vorbereitet worden. Im Januar erklärte ein britischer Geheimdienstler, dass Terroristen im Irak mit derselben Software Angriffe auf britische Truppen geplant hätten. Bei der Durchsuchung der Häuser von Aufständischen habe man Ausdrucke der Software gefunden, die Gebäude und Zelte innerhalb britischer Militärbasen in Basra zeigten. "Das ist ein Beweis für geplante Angriffe", sagte der Geheimdienstoffizier dem "Daily Telegraph". Bislang habe man keine Hinweise darauf gehabt, dass Terroristen Google Earth nutzten. "Aber sie sind offensichtlich gut darin. Wir glauben, dass sie mit Google Earth nach besonders verwundbaren Zielen suchen, etwa nach Zelten."
Der Fund blieb nicht ohne Folgen. Google tauschte relativ schnell aktuelle Fotos von Basra gegen ältere Aufnahmen aus, die offensichtlich vor dem Irak-Krieg entstanden sind. Dies belegen Vergleichsfotos, die kurz danach im Web veröffentlicht wurden.
Immer wieder wird Google vorgeworfen, bestimmte Aufnahmen zu zensieren, um beispielsweise militärische Geheimnisse zu schützen. Die Vorwürfe dürften jedoch kaum zutreffen, denn Google betreibt keine eigenen Satelliten oder Flugzeuge, sondern kauft das Bildmaterial bei Anbietern wie DigitalGlobe. Wenn Nutzer tatsächlich weich gezeichnete Regionen entdecken, wie im Jahr 2006 rund um das Hauptquartier der niederländischen Luftwaffe, dann hat Google in der Regel einfach nur bereits zensiertes Bildmaterial gekauft, im konkreten Fall von einem belgischen Anbieter.
In Deutschland müssen Luftbildaufnahmen seit der Vereinigung im Jahr 1990 nicht mehr genehmigt werden. Allerdings ist es nach wie vor verboten, militärische Einrichtungen zu fotografieren, wenn dadurch die Sicherheit des Landes gefährdet wird. Ein Unternehmen, das Luftbilder anfertigt und an Google oder Microsoft verkauft, muss sich an dieses Gesetz halten.
In den USA sind übrigens kaum Luft- oder Satellitenaufnahmen zensiert. Zum einen sind bei Google Earth gezeigte Fotos meist mehrere Monate oder gar Jahre alt. Zum anderen hat sich auch unter Sicherheitsexperten die Erkenntnis durchgesetzt, dass es immer mehrere Wege gibt, um an Aufnahmen bestimmter Orte zu kommen. Schließlich kreisen nicht nur US-Satelliten um die Erde.
Der Autor ist Redakteur im Ressort Netzwelt und Wissenschaft von "Spiegel online".