Entwicklungsländer
Das Internet soll helfen, den Bildungsnotstand in Afrika zu bekämpfen. Ein Besuch in Uganda.
Rund 260 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Kampala, der Hauptstadt Ugandas, und dem Örtchen Fort Portal, ganz im Westen des Landes. 260 Kilometer, die Entfernung von Hamburg bis Berlin, das bedeutet für die Bewohner der Kleinstadt in der Provinz Kabarole, stundenlanges Reisen über Urwaldpisten und ausgefahrene Schotterstraßen. Schüttelei, eingezwängt in altersschwache Busse oder überfüllte Buschtaxis. Gut 40.000 Menschen leben in und um Fort Portal - mehr als die Hälfte davon sind unter 18 Jahre alt. Die meisten kennen die Hauptstadt bestenfalls aus dem Radio. "Vom Besuch höherer Schulen oder gar einer der Universitäten in Kampala können die meisten Kinder hier nur träumen", sagt Jane Nabwire von der Hilfsorganisation ActionAid.
Statt die Kinder zu den Schulen, will Nabwire daher das Wissen zu den Kindern bringen. Dabei bedient sie sich einer Technologie, an die hier draußen auf dem Land, nahe der Grenze zum Kongo und fern ab verlässlicher Strom- und Telefonnetze kaum jemand denkt. "Wir haben in Fort Portal und mehreren umliegenden Dörfern Internetrechner aufgestellt. Die kann jeder nutzen und im Web nach den für ihn wichtigen Informationen suchen", berichtet die junge Uganderin stolz. "Die Leute suchen Informationen über ihre Rechte auf Bildung oder durchforsteten das Web nach Stipendien", erzählt Nabwire. Frauen holten sich Gesundheitstipps oder besuchten Online-Angebote zur Aids-Aufklärung. "Es ist beeindruckend, wie schnell sich die Menschen die Technik erschlossen haben."
"Community Knowledge Centre" steht an dem flachen Steinbau am Rande von Fort Portal. Hier betreibt der Techniker William Grace Maiso, unterstützt von der Entwicklungshilfeorganisation ActionAid, die Basisstation des Online-Projekts "Reflect". Mit ihrem "Örtlichen Wissenszentrum" setzen sich Menschen wie er und Nabwire dafür ein, dass das World Wide Web seinem Namen tatsächlich gerecht und zu einem wirklich weltumspannenden Wissens- netz wird.
"Computer und Internetzugänge sind keine Allheilmittel gegen den Bildungsnotstand in den Entwicklungsländern", so Kenias Bildungsminister George Saitoti Ende Mai in Nairobi bei der zweiten afrikanischen Konferenz für computerunterstütztes Lernen. Immerhin aber eröffneten das E-Learning und der Einsatz moderner Kommunikationstechnologien ganz neue Chancen bei der Verteilung des Wissens. "Lehrer, Schüler und Studenten bekommen so online Zugriff auf Informationen und modernste Lehrmethoden, die sonst unerreichbar wären", so Saitoti.
In Port Fortal fing das Internetzeitalter vor gut vier Jahren an. Da hörte Reflect-Manager Maiso von Inveneo, einer privaten Hilfsorganisation aus San Francisco, gegründet von den Silicon-Valley-Veteranen Bob Marsh, Kristin Peterson und Mark Summer. Die drei nutzen Spenden sowie Teile ihres während des Internetbooms gewonnenen Vermögens, um moderne Informations- und Kommunikationstechnologien in Entwicklungshilfeprojekte einfließen zu lassen. Unter anderem entwickelten die Kalifornier ein umgerechnet knapp 1.500 Euro teures Komplettpaket aus einer solarbetriebenen Basisstation, einem Internetzugang, einem einfachen Netzwerkrechner für Online-Zugriffe und einer Sende-Empfangseinheit, mit deren Hilfe sich auch weiter entfernte Computer noch ans Netz anschließen lassen.
Immer wieder reisten Marsh und Summer nach Uganda. In ein Land, dessen Kommunikationsinfrastruktur zu den schlechtesten der Welt gehört. Seither knüpfen sie gemeinsam mit Maiso immer neue kleine Knoten ins weltweite Datennetz. "Mittlerweile haben wir auch Dörfer im Umland von Fort Portal an unser Netz angeschlossen. Menschen, die noch nie im Leben eine Telefonzelle gesehen haben, können jetzt via Internet sogar telefonieren", berichtet Reflect-Projektleiter Maiso. "So überwinden wir - im Kleinen - den digitalen Graben, der Industrie- und Entwicklungsländer trennt."
Initiativen wie die von Maiso gibt es weltweit. Ob in Afrika, Lateinamerika oder Asien - rund um den Globus setzen Bürger und Regierungen darauf, dass der Zugang zum Internet und damit zum dort verfügbaren weltweiten Wissen auch ihnen bei der Bewältigung der dringendsten Probleme hilft.
Ausgerechnet das Internet? Computer und Kommunikationswege als Mittel der Entwicklungshilfe? Kritikern, die ihm entgegen halten, das Geld wäre etwa in der Gesundheitsversorgung besser aufgehoben, entgegnet Nicholas Negroponte, der langjährige Direktor des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge: "Ich kenne niemanden, der zu arm ist, um in Bildung zu investieren. Natürlich, wer hungert, braucht zuerst Essen, und wer unter Krieg leidet, Frieden. Aber ohne Bildung wird sich die Welt nie verbessern lassen."
Gemeinsam mit dem damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), Kofi Annan, präsentierte der heute 64-Jährige Negroponte 2005 auf dem zweiten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis einen ersten Prototypen seines damals als "100-Dollar-PC" bezeichneten Bildungs-Laptops. Den, so die Vision, sollten Entwicklungsstaaten zu Tausenden für ihre Schulkinder anschaffen und ihnen damit den Weg in die vernetzte Wissensgesellschaft ebnen. Anfangs selbst von Wohlmeinenden als Fantast belächelt, hat Negroponte, heute treibender Kopf hinter dem Projekt "One Laptop per Child" (OLPC), seinen Lern-Computer mittlerweile fast zur Serienreife entwickelt. Im Oktober sollen die ersten Geräte ausgeliefert werden.
ICT4D, Information and Communication Technology for Development, das ist eine der Säulen, auf die die UN bei der Verwirklichung ihrer im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniums-Ziele setzen. Im Rahmen dieser Entwicklungs- ziele will die Weltorganisation bis 2015 allen Kindern eine universelle Grundbildung ermöglichen.
Der Weg dahin ist allerdings noch weit. Zwar verzeichnet der soeben erschienene "World Information Society Report 2007" (WISR) seit dem ersten Weltinformationsgipfel in Genf mehr als 3.000 Entwicklungsprojekte mit IT-Bezug. Dennoch: "Auf halbem Weg bis zum Jahr 2015 ist noch längst nicht ausgemacht, dass wir unsere Vorgaben auch erreichen", mahnte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Anfang Juli bei der Vorstellung des jüngsten UN-Berichts zu den Millenniumszielen.
Und so schließt sich der digitale Graben bestenfalls Bit für Bit, obwohl das Web Dank einer Vielzahl von Entwicklungsprojekten langsam auch Kindern und Erwachsenen abseits der Metropolen Bildungschancen eröffnet.
Dennoch finden sich in der jüngsten Analyse des World Economic Forum noch immer 22 afrikanische und elf asiatische Staaten unter den 40 weltweit am schlechtesten mit Internet-Zentralrechnern versorgten Ländern. Und während in den USA mehr als 6.600 Web-Rechner auf 10.000 Einwohner kommen, ist es in Uganda - auf Rang 102 von 122 untersuchten Staaten gelegen - gerade einmal einer.
Statt auf die rasante Verbreitung regulärer Rechner, setzen Experten wie der ugandische IT-Staatssekretär John Chrysostom Alintuma Nsambu daher auf weniger anspruchsvolle Technik. "High-End-Computer, wie sie in den USA oder Europa Stand der Technik sind, sind für Entwicklungsstaaten oft überdimensioniert und zu teuer. Bildlich gesprochen brauchen wir in unseren Schulen keinen Hummer sondern viele Toyota Corollas."
Nicht nur die OLPC-Protagonisten, sondern auch IT-Riesen wie AMD, Intel oder Microsoft, die über Entwicklungsinitiativen wie "50x15" oder "World ahead" die UN-Ziele unterstützen, konzipierten daher alternative Geräte für den Netzzugang in Entwicklungsstaaten. Microsoft-Gründer Bill Gates etwa propagierte wiederholt den Einsatz aufgerüsteter Mobiltelefone. So arbeitet der Software-Konzern an einem "FonePlus" genannten Gerät. Das bietet Anschlüsse für Bildschirm, Maus und Tastatur und ermöglicht den Online-Zugang via Mobilfunk. Über die Serienfertigung hat Microsoft noch nicht entschieden. Man erforsche die Marktchancen, heißt es in der Zentrale in Redmond. Und die sind offenbar - trotz des immensen Bildungsbedarfs in den Entwicklungsstaaten - alles andere als gesichert. Während Intel sein rund 300 Dollar teures Einfach-Notebook bereits in Mexiko, Brasilien oder Nigeria auf den Markt gebracht hat, stieg Konkurrent AMD aus dem eigenen Spar-Computer-Projekt "Personal Internet Communicator" vor wenigen Monaten wieder aus. AMD fokussiert sich nun auf sein Engagement beim OLPC-Projekt sowie die Unterstützung digitaler Lernangebote für Schulen in Entwicklungsländern.
Damit von diesen Angeboten - trotz der regelmäßigen Stromausfälle - in Zukunft auch die Kinder rund um Fort Portal profitieren können, hat Projektleiter William Grace Maiso die Computer in seinen Community Knowledge Centres um ganz altmodische Technik ergänzt: Ausgemusterte Fahrräder, montiert auf einen stabilen Rahmen und verbunden mit mehreren Dynamos: "30 Minuten Treten", sagt Maiso und lacht, "das reicht für eine Stunde Surfen im Internet."
Der Autor ist Redakteur im Ressort Wissenschaft und Technik bei der "Wirtschaftswoche".