URHEBERRECHT IM INTERNET
Wo Informationen für jeden verfügbar sind, ist geistiges Eigentum flüchtig wie nie
Einst wurden die Städte mit Mauern geschützt; wer hinein wollte, musste die Stadttore passieren. Bei dieser Gelegenheit wurde kontrolliert, manchmal wurden auch Abgaben kassiert. Als die Kanonen aufkamen und immer höhere Feuerkraft hatten, war es mit den steinernen Befestigungsanlagen vorbei. Sie boten keinen Schutz mehr.
So ähnlich ergeht es heute dem Urheberrecht: Es soll den Autor, den Komponisten, den Filmemacher schützen, es soll dafür sorgen, dass sie von ihrer geistigen Leistung, von ihren Texten, Tönen und Bildern leben können. Das Urheberrecht bildet daher eine Mauer aus Paragrafen, welche die "Schöpfung", also die geistige Leistung des Urhebers, umgibt. Wer hinein will, muss zahlen - Honorare und Lizenzen. Das ist die Grundidee, und sie hat 200 Jahre lang leidlich gut funktioniert.
Aber dann kam das Internet; es funktioniert wie eine globale Enteignungsmaschinerie. Es enteignet den geistigen Arbeiter oder auch den, der ihm diese Arbeit zur wirtschaftlichen Nutzung abgekauft hat.
Im Internet finden sich Millionen Texte, Töne und Bilder, die eigentlich urheberrechtlich geschützt sind, die also eigentlich jemandem gehören - und die dort eingestellt sind, ohne dass dafür Gebühren bezahlt worden sind und ohne dass vom Nutzer Gebühren bezahlt werden. Das Kopieren ist zum Kinderspiel geworden. Was im Mittelalter ein mühseliges Geschäft mit Vogelfeder und Rußtusche war, eine Lebensaufgabe für fleißige Mönche, das ist heute kein Problem mehr. Texte, Musikstücke und Spielfilme aus dem Netz herunterzuladen, also in bester Qualität zu kopieren, dauert nur ein paar Mausklicks. Die Gerätschaften dafür, vor ein paar Jahren noch sündhaft teuer, sind Massenartikel geworden. Die Mönche würden staunen, für sie wäre das ein Fall für die Inquisition.
Die Schriftsteller, Komponisten und Filmemacher sehen das so ähnlich; und auch die Verlags-, Musik- und Filmindustrie, die auf gewerblichen Exklusivrechten aufbaut, ruft mordio. Im Internet sei - zu Lasten der Schöpfer geschützter Werke und zu Lasten der Wissens- und Unterhaltungsindustrie - der Kommunismus wiedereingeführt. In der Tat: Jeder bedient sich dort nach seinen Bedürfnissen, zumeist umsonst. Die Geltendmachung der Eigentumsrechte ist umständlich, zeit- und geldraubend. Sie gleicht, zurückhaltend ausgedrückt, einem globalen Wettlauf des Hasen mit dem Igel. Der Unterschied zum Märchen ist der, dass es der Hase hier nicht mit einem, sondern mit unzähligen Igeln zu tun hat.
Das Urheberrecht, das den Urhebern einen Verdienst an ihren Werken sichern soll, zerbröselt im Internet, es wird zerrieben in Tauschbörsen, die ihre Namen schneller ändern als Chamäleons ihre Farben. Die Zahl illegaler Downloads wird auf monatlich eine Milliarde geschätzt, neun Millionen Menschen sitzen angeblich jeden Tag am Computer und nutzen die Internettauschbörsen; diese sind Umschlagplätze für Raubgut und Pirateriewaren.
Es gibt einfallsreiche Kampagnen gegen das Raubkopieren: "Kopien brauchen Originale" formuliert das Bundesjustizministerium, um darauf hinzuweisen, dass vor der Technik das Hirn kommt. Solche Kampagnen gegen den Diebstahl geistigen Eigentums sind die Neuauflage der Bücherflüche des Mittelalters, mit denen die Strafen der Hölle gegen Diebe und Verfälscher heraufbeschworen wurden. In seiner Vorrede zum "Sachsenspiegel", dem wichtigsten Rechtsbuch des Mittelalters, wünschte Ritter Eike von Repgow all denjenigen Aussatz und Hölle, die sein Werk entstellen - heute würde man sagen: die es überschreiben und remixen. Remixen ist natürlich auch eine Leistung. Kritiker des Urheberrechts beklagen daher, dass das Urheberrecht die Kreativität behindere. Indes: Wird die Kreativität des B wirklich dadurch gefördert, dass A keinen Cent dafür erhält, wenn man sein Werk in Gänze nutzt?
Faktum ist: Das geistige Eigentum ist heute so flüchtig wie nie; "geistig" bezeichnet nicht nur die investierte Substanz, sondern auch den Aggregatzustand dieses Eigentums. Das geistige Eigentum ist zwar ein echtes Eigentum und vom Grundrecht nach Artikel 14 Grundgesetz genauso geschützt wie ein Sack Kartoffeln, ein Fahrrad oder ein Hausgrundstück. Auf den Kartoffelsack kann man sich freilich draufsetzen, aufs Fahrrad auch, und auch das Recht am Hausgrundstück lässt sich einigermaßen leicht verteidigen. Anders ist es beim geistigen Eigentum: Wenn ein Autor schreibt oder ein Komponist komponiert, dann kann er sein Produkt, sobald es in der Welt ist, kaum noch festhalten. Andere, die sich nicht anstrengen, die also eigentlich kein Recht daran haben, können sich seiner leicht bemächtigen und Profit daraus schlagen.
Die Mönche in den Klosterbibliotheken haben einst, zum Schutz vor Dieben, die Bücher angekettet. Der Versuch vor allem der Musikindustrie, CDs digital zu verplomben, also mit einem technischen Kopierschutz zu versehen, ist die technische Neuauflage dieser alten Kette. Aber dieser digitale Kopierschutz ist umstritten und funktioniert nicht zuverlässig. Einmal geknackt, verhält es sich mit dem Kopierschutz wie mit einem gesprungenen Ei. Im Übrigen passt es nicht zusammen, wenn einerseits das Kopieren zum privaten Zweck vom Gesetz erlaubt wird, dem aber zugleich elektronische Riegel vorgeschoben werden.
Die Kreation des "geistigen Eigentums" entsprang dem Geist der Aufklärung. Als nach der Jahrtausend-Erfindung Gutenbergs immer mehr Nachdrucker von Büchern behaupteten, sie hätten das Recht zum Nachdruck durch den Kauf eines Exemplars erworben, da schrieb Immanuel Kant seine Abhandlung "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" und wies darin den Verfassern ein "unveräußerliches Recht" zu. Die Aufklärung verstand das Urheberrecht nicht mehr als Privilegium, das von einem Fürsten verliehen wird, sondern als Teil eines universellen Persönlichkeitsrechts. Das Werk war ein wirtschaftlich verwertbarer Teil seines Schöpfers; wenn er Glück hatte, konnte er davon leben - und viele Werke wären nicht entstanden, hätten die Künstler damit nicht ein leidliches Auskommen gehabt. Wenn etwa Bücher nichts mehr wert wären, weil es sie im Internet umsonst gibt, dann würden nicht nur Existenzen zerstört, sondern auch die kulturelle Vielfalt. Kulturelles Schaffen wäre dann wieder, wie in den Frühtagen der Kulturgeschichte, allein auf die Gunst von Mäzenen angewiesen. Damit endete dann die Aufklärung.
Der freie Zugang zu digitalen Daten sei, so heißt es, auch eine politische Frage: Information sei nun einmal der Sauerstoff der Demokratie! Das ist richtig. Das Urheberrecht hat aber noch nie die blanken Informationen geschützt; Informationen waren und sind nicht exklusivierbar. Das Urheberrecht verhindert nicht den Austausch von Informationen, es reserviert nicht Wissen für einzelne Personen, es schützt nur die besondere Verarbeitung, das Werk, das daraus gemacht wird. Der Sauerstoff für das Internet ist also das Urheberrecht - weil es die Originale schafft, die man zum Kopieren braucht.
Als einst der Gerichtsvollzieher beim Schriftsteller Frank Wedekind vor der Tür stand, bat der ihn höflich herein und sagte: "Bitte nehmen Sie Platz. Das ist aber auch das Einzige, was Sie hier nehmen können!" Das ist viele Jahrzehnte her. Ein praktikables, internettaugliches Urheberrecht sollte dafür sorgen, dass es nicht wieder so weit kommt. Heribert Prantl
Der Autor ist Leitender Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung".