FISCHEREI
Auf Rügen gibt es nicht mehr viele hauptberufliche Fischer. Sie kämpfen
täglich - um ihre Existenz, gegen die EU-Fischereipolitik und die Bürokratie.
Jede Geschichte hat einen Anfang. Nur wenige beginnen allerdings so früh wie diese - und so gut gelaunt. Es ist kurz nach fünf an diesem friedlichen Morgen Ende Juli, als Eckhard Büdtner sich in den schmalen Schacht zwingt, pfeifend die paar stählernen Sprossen in den Bauch seiner "Bärbel" steigt, den Generator anwirft und den Motor startet. Nach drei, vier tiefen Schnaufern beginnt die 300 PS starke Maschine erst etwas müde, dann munterer zu wummern. Käpt'n Büdtner freut sich, dass es doch noch was wird mit dem Rausfahren - denn wenn das Schiff in der Fangsaison im Hafen liegt, verdient er nichts. Der Wetterbericht der vergangenen Tage hatte eben dies befürchten lassen: "Windstärke fünf bis sechs, in Böen bis zu acht war angesagt", erzählt der Mann mit dem massigen Oberkörper, der in seiner weißen Latzhose und dem blassorangenen T-Shirt auch als Maler durchgehen würde, während er wieder an Deck klettert. "Das muss man sich nicht antun." Aber zum Glück hätten die "Burschen" vom Wetterdienst häufig nicht recht: "Die können das Wetter in zehn Jahren vorhersagen, nur wie es morgen wird, das wissen sie nicht." Büdtner, der von seinen Fischerkollegen nur Ecki genannt wird, lacht. Solch kleine Frotzeleien machen ihm Spaß; das Leben sei schließlich schon ernst genug.
Von Sturm ist an diesem Tag nichts zu sehen. Die Ostsee schwappt eher gemächlich in den Hafen von Sassnitz an der Nordostecke von Deutschlands größter Insel, Rügen. Neueste Meldung der "Burschen": Windstärke drei bis vier, nachmittags abflauend. Ecki ist optimistisch und will mal wieder weiter draußen fischen, als in den vergangenen Tagen.
Im Hafen ist es ruhig - nur "Bärbel", die SAS 105, stampft rhythmisch vor sich hin. Nebenan legt ein Kollege von Büdtner ab; es sind nur wenige, die in Sassnitz noch hauptberuflich als Fischer ihren Lebensunterhalt verdienen. Früher, als es die DDR noch gab, erzählt Büdtner, sei hier morgens um diese Zeit richtig was los gewesen. Jetzt liegen in dem Hafen, dem man seine Vergangenheit als zweitgrößtem Standort der DDR-Fischereinflotte - nach Rostock - ansieht, deutlich mehr Segeljachten als Fischkutter. Aufgereiht entlang der mit 1.450 Metern längsten Außenmole Europas schaukeln 30 vielleicht 40 Jachten dem Tag entgegen. Aus einigen Kajüten lugen verschlafene Augenpaare, die sich prüfend gen Himmel richten. Der präsentiert sich kurz vor Sonnenaufgang grau-blau marmoriert - ein schöner Tag steht bevor.
Käpt'n Ecki hat mittlerweile in seiner Technikecke auf der Brücke Platz genommen, Rechner und Autopilot eingeschaltet - und das Echolot, mit dem Fische per Schallwellen geortet werden können. Azubi Leo, der eigentlich Dirk heißt, aber vom Käpt'n wegen seines Nachnamens - Lefold - nur Leo genannt wird, hat die bunten Plastikkisten, in denen später der Fang transportiert wird, auf Deck gestapelt und brüht den ersten Kaffee des Tages auf. Von Schifffahrtsromantik hat Eckis und Leos Geschäft kaum noch etwas. Das wagenradgroße Steuerrad und der flexibel gelagerte schallplattengroße Kompass sind zwar noch Pflicht, kommen aber nur im Notfall, beim Ausfall der anderen Technik, zum Einsatz. Und das ist, Ecki grinst wieder, nur "sehr selten" der Fall.
Die wichtigen Ins-trumente des modernen Fischers hat Käpt'n Büdtner in greifbarer Nähe, wenn er auf seinem barhockerartigen Chefsitz sitzt: vorne links Computer und Monitor, der die aktuellsten Seekarten liefert und den Kurs anzeigt, darunter der dicke schwarze Drehknopf des Autopiloten, mit dem der Kurs angegeben wird, vorne rechts zwei Echolot-Monitore, eins mit gröberem, eines mit feinerem Signal, rechterhand den unscheinbaren Schubregler für die Geschwindigkeit und einen kleinen Joystick zum Lenken. "Bärbel", sieben Jahre alt, ist ein High-Tech-Kutter. "Ohne das geht es heute nicht mehr", sagt Ecki, während "Bärbel" mit 7,7 Knoten, knapp 15 Kilometern pro Stunde, die berühmte Kreideküste Richtung Norden entlang wummert. Königstuhl und Viktoriasicht, die beiden markantesten Felsen der Formation, schweben unter dem immer blauer werdenden Himmel vorbei. Trotz des eher schwachen Windes und des - wie Ecki sagt - "humanen" Seegangs, muss er seinen Kaffee in den selbstgebastelten Pott-Halter stellen. Mit zwölf Metern Länge und einem Gewicht von 56 Tonnen, die in Kombination "Bärbel" etwas gedrungen wirken lassen, ist der Kutter sehr flexibel, verkraftet extreme Schieflagen unbeschadet. Diese Flexibilität macht sich aber auch bei gutem Wetter wie an diesem Tag bemerkbar: "Bärbel" schaukelt hinaus Richtung Dänemark. Der Kaffeeduft hat sich mittlerweile über den Geruch des Meeres gelegt. Steuerbord verschwindet ein Kutter-Kollege im Nichts, am Horizont schiebt sich eine selbst aus dieser Entfernung immer noch riesig wirkende Scandline-Fähre vorbei.
Vorbei ist es nun auch mit Büdtners guter Laune; der 49-Jährige hat sich in Fahrt geredet. Er klagt sein Leid, das Leid der deutschen Fischer an der Ostsee: "Wir werden behandelt wie Strafgefangene", wettert er gegen das Tackern der Maschine an. "Mit uns darf man alles machen." Es sind die EU-Fischereipolitik und die festgeschriebenen Fangquoten, die Ecki vehement werden lassen. "Es ist überall genug Fisch da, nur rausholen dürfen wir ihn nicht", meckert er. Früher, früher sei das alles ganz anders, viel besser gewesen. "Heute schreiben sie dir vor, wie viel Fisch du rausholen darfst. Und über jedes Kilo, was du rausgeholt hast, musst du genau Buch führen." Der Käpt'n ist jetzt kaum noch zu bremsen, die Stimme überschlägt sich. "Diese Bürokratie macht uns kaputt. Nur damit jeder Beamte 'nen Zettel und 'nen Stempel hat." Damit jeder Beamte das bekommt, hat der Fischer an diesem Tag mal wieder ordentlich zu tun - Formulare für Zoll, Fischereiaufsicht und Seepolizei müssen ausgefüllt werden. Wo ist wann was in welcher Menge gefangen worden? Er fühle sich fast eher als Buchhalter, denn als Fischer. Ecki lacht wieder; "Galgenhumor", sagt er. Die Fangquoten auf den Dorsch, dem für die Fischer wichtigsten, weil lukrativsten Fisch der Ostsee, die den Bestand in der Ostsee sichern sollen, gefährdeten die Existenz der Fischer - sagt Ecki.
Weil seine Quote - rund 30 Tonnen pro Jahr - nahezu erfischt ist, wollen er und Leo die kommenden zwei Wochen "rauf ins Kattegatt", die Meerenge zwischen Dänemark und Schweden, "auf Kaisergranat gehen".
Außer Papierkram, Erzählungen von früher - als Büdtner, gelernter Fischer, mit der DDR-Fangflotte auf große Tour nach Afrika oder Irland ging - und einigen Pötten Kaffee ist nicht viel los in den folgenden Stunden. Morgens um kurz nach acht Uhr hatten Ecki und Leo rund 25 Seemeilen (knapp 50 Kilometer) nordöstlich vor Rügen das Schleppnetz ausgesetzt, seitdem hält "Bärbel" stetig Kurs Richtung Norden. In 40 bis 50 Metern Tiefe schleift das rund 20 Meter lange Netz an zwei mehreren Hundert Meter langen Leinen hinter dem Kutter über den Grund. Leo hat sich für ein Nickerchen in die enge Kajüte unter dem Führerhäuschen zurückgezogen, Ecki füllt Formulare aus, schnackt ein bisschen mit Kollegen über Funk und schaut sich die Tour de France im dänischen Fernsehen an. "Bärbel" schaukelt ratternd im Takt der Wellen.
Mittlerweile ist es kurz nach halb vier am Nachmittag, Ecki und Leo haben ihr orangenes Ölzeug übergestreift und beginnen mit dem Einholen des Netzes. Der Autopilot hält den Kurs. Obwohl Büdtner schon Jahrzehnte fischend zur See fährt und seine "Bärbel" mit allen technischen Fang-Finessen ausgestattet ist, ist er jedes Mal wieder gespannt, was er wohl mit in den Hafen bringen wird. Zwei Seilwinden am Heck ächzen das Netz aus der Tiefe empor, über den Köpfen der Männer wird es auf einer dritten aufgewickelt. Mit den Händen schlagen sie dabei alles, was zu klein für die genormten Maschen des Netzes ist, heraus, so dass lediglich vier Fische, so genannter Beifang (Discard), im Netz landen werden. Den am sackartigen Ende des Netzes gesammelten Fang wuchten die Männer routiniert längsseits über eine hölzerne Auffangkiste, öffnen das Netzende, und rund 500 Kilo Fisch flutschen heraus. So geruhsam die erste Hälfte des Tages war, so eingespielt zügig geht es nun auf Deck zur Sache.
Flink sortieren der Käpt'n und Leo den Fang: Dorsch, Flunder und überraschend viel Scholle. Eckis anfängliche Skepsis über die augenscheinlich nicht so gute Ausbeute schwindet langsam: "Doch gar nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte." Und gar nicht so schlecht ist auch der Auftrag, der ihn vor einigen Stunden per Funk erreicht hat: Das Institut für Ostseefischerei will 250 Kilo Dorsch für Forschungszwecke haben, nicht ausgenommen, für 2,30 Euro pro Kilo. 40 Cent mehr als Ecki normalerweise für ein Kilo Dorsch bekommt.
Die Schollen werden gleich an Bord ausgenommen. Nahezu mechanisch setzt Ecki die Schnitte. Mit dem ersten trennt er die kurze Brustflosse ab, mit dem zweiten zieht er die Eingeweide heraus; 1,60 Euro bekommt er dafür bei seiner Vermarktungsgesellschaft Kutter- und Küstenfisch Sassnitz. Die Flundern bleiben ganz, ein Ausnehmen lohnt sich bei 35 Cent pro Kilo nicht. Nach knapp anderthalb Stunden sind die 532 Kilo Dorsch, Scholle und Flunder verstaut und das Deck gereinigt. 930 Euro haben Ecki und Leo an diesem Tag verdient. "Das ist voll im Durchschnitt", sagt der Käpt'n. All zu viel bleibe ihm davon allerdings nicht - bei all den Unkosten. Ein Großteil des Erfischten gehe auch nach sieben Jahren noch monatlich an die Bank, um den Kredit für "Bärbel" zu tilgen, der Tank verschlinge bei einer Fahrt wie an diesem Tag - es werden am Ende gut 100 Kilometer werden - ebenfalls "einiges". Was dann noch bleibe, sei gerade genug zum "Auskommen" - mehr nicht. Käpt'n Ecki ist trotzdem zufrieden und nippt an seinem dampfenden Kaffee, während "Bärbel" dem Sonnenuntergang über der Kreideküste entgegenschraubt. So kommt wenigstens am Ende eines langen Tages etwas Seefahrerromantik auf - auch wenn sie Ecki nicht wirklich packt.
Wenig später lenkt er "Bärbel" um die Außenmole herum in den Hafen, es ist kurz vor 19 Uhr. Die Anlandung bei Kutter- und Küstenfisch ist der letzte Kraftakt des Tages - eine halbe Tonne Fisch wird mit Muskelkraft von Bord gehoben.
Nach 14 Stunden endet ein ganz normaler Fischertag. Ecki freut sich nun auf zu Hause - auf die zweite Bärbel in seinem Leben, seine Frau.