FISCHBESTAND
Der Dorsch in der Ostsee ist nicht vom Aussterben bedroht. Trotzdem ist die Lage kritisch. Jetzt wollen deutsche Forscher testen, inwiefern Aufzucht helfen kann.
Eines soll gleich zu Beginn klar gestellt werden: Der Dorsch, wirtschaftlich wichtigster Fisch der Ostsee, ist nicht vom Aussterben bedroht. Richtig ist, dass der Dorschbestand in den 1970er- und 80er-Jahren wohl deutlich größer und die Reproduktionsrate höher waren. Falsch ist allerdings, dass es so gut wie keinen Dorsch mehr in der Ostsee gibt, wie landläufig kolportiert wird. Nach Berechnungen des deutschen Instituts für Ostseefischerei, das zur Bundesforschungsanstalt für Fischerei gehört, lebten Anfang dieses Jahres rund 123.000 Tonnen Dorsch in laichfähigem Alter, das heißt über zwei Jahren, in der Ostsee.
Auch wenn vor allem die Fischer das Gegenteil behaupteten, müsse dabei allerdings fein getrennt werden zwischen einem östlichen und einem westlichen Bestand, erläutert Dorschexperte Christopher Zimmermann vom Institut für Ostseefischerei. Er ist dort unter anderem zuständig für die Bestandserfassung des Dorsches und die wissenschaftlichen Fangquotenempfehlungen. Die dänische Insel Bornholm ist der Scheidepunkt zwischen beiden Beständen. Während der westliche Bestand im Jahr 2006 um knapp zehn Prozent geschrumpft sei - nach einer 30-prozentigen Vergrößerung im Jahr 2005, habe der östliche trotz illegaler Überfischung 2006 um 20 Prozent zugelegt.
Gekennzeichnet sind sie durch biologische Unterschiede, andere Laichzeiten und andere Verbreitung. Diese Unterscheidung ist wichtig, basiert auf ihr doch sowohl die wissenschaftliche Bestandsforschung als auch die Erteilung der Fangquoten. Außerdem unterscheiden sich die Bedingungen beider Bestände und deren Bewirtschaftung signifikant. Während der östliche Bestand deutlich größer sei als der westliche, sei letzterer allerdings deutlich produktiver, erläutert Zimmermann. Anfang dieses Jahres taxierten die Experten den Bestand von laichfähigen Dorschen im Westen auf 22.400 Tonnen, den im Osten auf gut 100.000 Tonnen.
Im vergangenen Jahr fingen Fischer in der gesamten Ostsee gut 86.000 Tonnen des Fisches, der in der Nordsee Kabeljau genannt wird. 17.000 Tonnen davon wurden illegal, gegen jegliche Quotenvorgaben gefangen - fast ausschließlich im östlichen Bestand.
Seit rund 15 Jahren registrieren die Forscher in der Ostsee immer niedrigere Reproduktionsraten; es gibt immer weniger Dorschnachwuchs. Im Gegensatz zur Nordsee, wo das stetige Schrumpfen des Bestandes vornehmlich auf Überfischung zurückzuführen sei, habe der Dorsch in der Ostsee mehrere strukturelle Probleme, sagt Zimmermann. Die Fischerei habe in diesem Gebiet nur mittelbar Einfluss auf die Entwicklung der Population. Hauptproblem für den Dorsch ist die Lage der Ostsee als Binnenmeer ohne eigene Salzvorkommen: Denn der Salzgehalt ist entscheidend für das Überleben der Dorscheier; bei zu süßem Wasser steigen sie auf und platzen, bei zu salzigem sinken sie zu Boden. Durch einen hohen Süßwasserzufluss aus den Anrainerstaaten ist der Salzgehalt der Ostsee niedrig - häufig zu niedrig für den Dorschlaich. Ähnliches gilt für den Sauerstoffgehalt: Von den Anrainern werden Unmengen Nährstoffe in die Ostsee gespült, diese befördern das Wachstum von Plankton und Algen, die von Bakterien zersetzt werden, die dazu Sauerstoff verbrauchen, den der Dorsch-laich ebenfalls zum Wachsen benötigt.
Sauerstoff- und salzreiches Wasser gelangt nur aus der Nordsee durch Skagerak und Kattegatt in die Ostsee. Die dafür nötige Wetterlage, mit entsprechenden Winden zu entsprechenden Jahreszeiten, sei seit Anfang der 1990er- Jahre immer seltener, erläutert der Dorsch-experte. Folge seien die schlechten Überlebensbedingungen für den Laich des Dorsches. Für den östlichen Bestand seien diese Auswirkungen noch prekärer, da der Zufluss aus der Nordsee nur über die westliche Ostsee stattfinden könne, so Zimmermann.
Mit einem groß angelegten, 37 Millionen Euro schweren Aufzuchtprojekt, finanziert vom Land Mecklenburg-Vorpommern, dem Bund und der EU, soll erforscht werden, inwiefern diese schlechten Laichbedingungen durch Züchten der Dorsches, abgemildert werden können: Laich von wilden Beständen soll in einer maritimen Aquakulturanlage bei Rostock "naturgemäß" aufgezogen und wenn sie fingergroß sind, wieder in die Ostsee ausgesetzt werden.
"Für uns ist das Projekt ein großes Experiment, mit dem wir feststellen möchten, ob man überhaupt so viel Dorsch züchten kann, dass es im wilden Bestand messbar ist", beschreibt Christopher Zimmermann. Im Bundesverkehrsministerium, das für den Aufbau Ost zuständig ist und das Projekt mit finanziert, rechnet man damit, dass 2010 die ersten Tiere in der Ostsee ausgesetzt werden können.
Der Autor ist Volontär dieser Zeitung.